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MELDUNG/035: Nord-Stream-Pipeline besiegelt Schicksal eines der letzten "echten" Nomadenvölker dieser Erde


Presseerklärung vom 8. November 2011

Rentierhirten vor dem Aus

Nord-Stream-Pipeline besiegelt Schicksal eines der letzten "echten" Nomadenvölker dieser Erde


Mit der Ostseepipeline Nord-Stream wird das Schicksal eines der letzten "echten" Nomadenvölker dieser Erde besiegelt: Die Nenzen müssen aufgrund der massiven Baumaßnahmen auf ihrem Gebiet ihre traditionelle Lebens- und Wirtschaftsweise, die sie noch ganzjährig gepflegt haben, endgültig aufgeben. Darauf weist die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) anlässlich der offiziellen Inbetriebnahme der Gaspipeline von Russland nach Deutschland in Lubmin bei Greifswald durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew hin.

"Aus dem Gebiet der Nenzen stammt der Großteil des nach Deutschland strömenden Gases", sagte die GfbV-Referentin für die GUS-Staaten, Sarah Reinke am Dienstag in Berlin. "Dort wurden bereits 2.500 Quadratkilometer ursprünglicher Natur zerstört. Mindestens 3.000 Quadratkilometer werden noch hinzukommen. Als Ausgleich dafür haben die Nenzen zwar Geld und neue Infrastruktur bekommen. Doch sie wurden nicht gefragt, ob sie ihr Leben und das ihrer Kinder komplett umstellen wollen. Jetzt bleibt ihnen nichts anderes mehr übrig als zu versuchen, bei Gazprom Arbeitsplätze zu ergattern."

Auf der Halbinsel Jamal, wo 61 Prozent der russischen Gas- und 15 Prozent der Ölreserven lagern, leben ca. 4.700 Nenzen als Nomaden. Hier gab es für die Rentiere intakte Weiden mit hoher Artenvielfalt. Im Winter trieben die Nenzen ihre Herden in Richtung Süden, um in den Wäldern Schutz vor den kalten Winden der Tundra zu suchen. Im Frühling zogen sie zurück in die Mitte der Halbinsel, wo die Rentierkälber geboren werden. Im Sommer hielten sich die Herden an der Küste auf, da hier der Wind die Mückenschwärme vertrieb. Die Rentiere gaben den Jamal-Nenzen Nahrung und Kleidung. Sie waren ihre Existenzgrundlage.

Die meisten der rund 41.300 Nenzen leben im Autonomen Kreis der Nenzen, im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen und im Autonomen Kreis Taimyr. Viele dieser Nomaden, die auf der Suche nach Arbeit in die Stadt zogen, leiden unter Alkoholismus und dem Verlust der Beziehung zum Land. Die Lebenserwartung der Ureinwohner liegt 15 Jahre unter dem russischen Durchschnitt, der bei Männern ohnehin nur bei 60 Jahren ist.

Gazprom trägt sowohl für die Gasförderung als auch für den Betrieb der Nord-Stream-Pipeline die Hauptverantwortung. Der Megakonzern hält 51 Prozent der Anteile an Nord Stream. Die deutschen Energieunternehmen Wintershall Holding GmbH und E.ON Ruhrgas AG sind mit jeweils 15,5 Prozent beteiligt, die niederländische N.V. Nederlandse Gasunie und der französische Energieversorger GDF SUEZ mit jeweils neun Prozent. Die GfbV hatte auch die deutschen Unternehmen wiederholt zum Dialog mit den betroffenen Indigenen aufgefordert.

2010 hat Gazprom 23,7 Mrd. Euro Gewinn gemacht. Der Konzern hat 25 Prozent Anteil am europäischen Gasgeschäft. Die Gasexporte finanzieren fast die Hälfte des russischen Staatshaushalts.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 8. November 2011
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Tel.: 0551/49906-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2011