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NAHOST/244: Türkei - Appell an Merkel, Kurden nicht im Stich lassen


Presseerklärung vom 15. Oktober 2015

Offener Brief an
Bundeskanzlerin Angela Merkel

Bitte lassen Sie die Kurden nicht im Stich! Ankara muss zum Dialog zurückkehren und Hilfe für nordsyrische Kurdenenklaven zulassen!


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

wir bitten Sie, bei Ihrem Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu sowie mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan am kommenden Wochenende in Istanbul darauf zu drängen, dass die türkische Regierung ihre Unterdrückungs- und Verfolgungspolitik gegenüber den Kurden im eigenen Land, aber auch im benachbarten Syrien umgehend beendet. Bitte fordern Sie sie auf, umgehend zum Dialog zurückzukehren und eine friedliche Lösung der Kurdenfrage anzustreben.

Die logistische Unterstützung der Regierung in Ankara für islamistische Gruppen schadet nicht nur den Menschen in Syrien, im Irak, in Libyen oder Ägypten, sondern beeinträchtigt auch das friedliche Miteinander in der Türkei. Es liegt nahe, die blutigen Anschläge in Ankara am vergangenen Samstag (10.10.) mit fast 100 Toten und mehr als 500 Verletzten als ein Resultat dieser Politik zu sehen.

Unsere Menschenrechtsorganisation teilt die Sorgen der "Demokratischen Partei der Völker" HDP, die für das Wiederaufflammen der Gewalt zwischen der türkischen Armee und der kurdischen PKK vor allem Erdogan verantwortlich macht. «Wir standen kurz vor einer Lösung, der Frieden war so nah, doch dann hat Erdogan all unsere Hoffnungen zunichte gemacht», klagte HDP-Chef Selahattin Demirtas in einem Zeitungsinterview schon vor den furchtbaren Anschlägen in Ankara.

Eine weitere Eskalation der Gewalt in der Türkei muss unbedingt verhindert werden. Der türkische Präsident hat die Friedensverhandlungen mit den Kurden schon vor Monaten beendet und geht wieder gewaltsam gegen sie vor: Demokratisch gewählte kurdische Repräsentanten werden verfolgt, PKK-Stellungen im fernen autonomen Irakisch-Kurdistan bombardiert und die Grenzübergänge zu den Kurdengebieten Nordsyriens, wo Hunderttausende Binnenflüchtlinge, christliche Assyrer/Aramäer, Yeziden, Armenier, Kurden und Araber vor dem Terror des Islamischen Staates (IS) Schutz gesucht haben, bleiben abgeriegelt. Jetzt droht Erdogan den Kurden im Nachbarstaat sogar ganz unverhohlen. Deutschland und Europa dürfen dieses willkürliche und gewaltsame Vorgehen der türkischen Regierung nicht dulden! Bitte lassen Sie die Kurden und anderen Minderheiten nicht im Stich. Auch wenn Erdogan die vielen Flüchtlinge, denen er den Weg nach Westen abschneiden könnte, kalkuliert als Druckmittel benutzt, Deutschland und Europa dazu zu bringen, seine feindselige Kurdenpolitik widerspruchslos hinzunehmen. Denn diese heizt die Gewaltspirale in der Türkei an: Der PKK werden bereits blutige Racheakte zugeschrieben.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bitte drängen Sie bei Ihren Gesprächen energisch darauf, dass die türkischen Grenzen für lebensrettende Hilfslieferungen in die freien Kurdengebiete Nordsyriens geöffnet werden. Wenn dies nicht gelingt, werden noch viel mehr Menschen nach Europa fliehen müssen!

Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns über Ihre Bemühungen informieren könnten.


Mit freundlichen Grüßen

Tilman Zülch,
Präsident der GfbV International

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 15. Oktober 2015
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2015

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