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AKTION/431: NATO-Gegengipfel - Die Chance, für Frieden zu demonstrieren! (IPPNWforum)


IPPNWforum | 115 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Die Chance, für Frieden zu demonstrieren!

Interview mit Reiner Braun, Mitorganisator der Aktionen und Veranstaltungen in Strassbourg und Baden-Baden


FORUM: Wer trägt die Aktionen zum NATO-Gegengipfel und wie ist das Bündnis entstanden?

REINER BRAUN: Ausgehend von der Afghanistan-Konferenz im Juni letzten Jahres hat sich ein internationales Vorbereitungskomitee gebildet, das sich mit der NATO Konferenz im vergangenen Oktober in Stuttgart konstituiert hat. Diesem internationalen Koordinierungsgremium gehören ca. 30 Organisationen an. Der internationale Aufruf, den wir in Stuttgart verabschiedet haben, ist zur Zeit von ca. 320-330 Initiativen und Organisationen gezeichnet. Dieser Kreis konzentriert sich in seiner Vorbereitung auf vier Schwerpunktaktivitäten:

Das ist erstens ein internationales Widerstandscamp vom 1. bis 5. April in Strassbourg mit einem kleinen Außencamp in Kehl. Zweitens eine große internationale Konferenz, die die Aufgabe hat, die Politik der NATO wissenschaftlich und politisch zu analysieren, ihre Strategien zu diskutieren und eigene strategische Optionen für die Überwindung und Möglichkeiten von Alternativen zur NATO zu entwickeln und zu diskutieren. Der Samstag ist der Tag der Aktionen und wird mit Aktionen des zivilen Ungehorsams am Samstag Vormittag beginnen, die im Umfeld des Konferenzgebäudes stattfinden werden und wird den Höhepunkt in einer internationalen Demonstration am Nachmittag dieses Tages haben. Diese Demonstration wird von deutscher Seite eingeleitet durch den Ostermarsch Baden-Württemberg, der in diesem Jahr vor Ostern stattfindet und von Kehl nach Strassbourg führt. Die internationalen und die französischen TeilnehmerInnen treffen sich in Strassbourg. Der Abschluss ist dann eine große gemeinsame Manifestation.

Bereits am Freitag gibt es Aktionen in Baden-Baden, dann findet sowohl das Außen- als auch das Verteidigungsministertreffen in Baden-Baden und zudem das große offizielle Abendessen statt. Dazu wird es in Baden-Baden, vorbereitet von einem Baden-Badener Vorbereitungskreis und unterstützt vom internationalen eine Demonstration und weitere Aktionen geben.

FORUM: Mit Blick auf die Politik der NATO, wo gibt es im Bündnis Gemeinsamkeiten, zu welchen Fragen gibt es Differenzen in der Einschätzung?

REINER BRAUN: Fangen wir mit den Differenzen an: Die gibt es besonders um die Frage, wie sehen Alternativen zur NATO aus? Geht es um einen Austritt aus der NATO, was nach dem NATO-Vertrag ja möglich ist, geht es um die Auflösung der NATO, geht es einfach um eine Beendigung der NATO? Die zweite und sich daraus ableitende Differenz ist die Frage: Was sind denn die Alternativen zur NATO? Wir sind uns einig, dass es so etwas wie eine Demokratisierung der NATO, was ja manchmal bei Weltbank und bei IWF diskutiert wird, überhaupt nicht geben kann. Es kann nur eine wie auch immer geartete Überwindung geben. Aber was ist mit einem europäischen Sicherheitssystem, oder einer neuen Sicherheitskonzeption für Europa, neuen regionalen Bündnis- und Zusammenarbeitsstrukturen in Europa? In all diesen Fragen gibt es Differenzen und Diskussionsbedarf. Deren Debatte und möglicher Klärung soll gerade der internationale Kongress dienen.

Erstaunlich viel Einigkeit gibt es bei der Analyse der NATO, was die aktuelle Situation der strategischen Optionen der NATO angeht, nicht nur die Ablehnung der sogenannten Osterweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands sondern darüber hinaus die strategische Ablehnung gegenüber dem mächtigsten Militärbündnis der Welt mit einem globalen Anspruch bis an die Grenzen zu Japan, Australien und Neuseeland bis an die Grenze zu Südkorea. Diese Ausdehnung wird als weltweite Militarisierungs- und Kriegsgefahr allgemein abgelehnt. Diese Ablehnung spiegelt sich auch in dem Aufruf wider, der darüber hinaus darauf hinweist, dass NATO-Politik mit Interventionen und aktuellen Kriegen zu tun hat, Schwerpunkt ist Afghanistan. Aber auch der Hinweis darauf, dass ungeheure Geldsummen ausgegeben werden für Rüstung und weitere Aufrüstung.

FORUM: Wie wird für Strassbourg, Baden-Baden und Kehl mobilisiert, wer wird erwartet?

REINER BRAUN: Zuerst einmal gehe ich davon aus, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen NATO-Ländern nach Strassbourg kommen werden. Die Mobilisierung liegt in den Händen der nationalen Vorbereitungskomitees, die gibt es im großen Umfang in Deutschland und in Frankreich. In Frankreich gibt es ein sehr, sehr breites und wirklich das gesamte linke und liberale politische Spektrum umfassendes Bündnis. Es gibt ähnliche Bündnisse auch in Holland und Belgien. Aus diesen Ländern werden mit Bussen oder sogar mit Zügen die TeilneherInnen kommen. In der Bundesrepublik liegt die Mobilisierung im wesentlichen bei den lokalen und regionalen Initiativen. Am weitesten ist wohl Nordrhein-Westfalen mit der sogenannten Friedenslok, die 1.200 Plätze fasst. Die Freundinnen und Freunde trauen sich zu, diesen Zug voll zu bekommen. Ansonsten ist der Mobilisierungsschwerpunkt die Region. Generell ist zu sagen: Das NATO-Treffen ist der Höhepunkt für die Friedensbewegung im ersten Halbjahr 2009.

FORUM: Gibt es Überlegungen für eine langfristige anti-NATO-Strategie über den Geburtstag hinaus?

REINER BRAUN: Es gibt sicher nur erste Überlegungen. Klar ist, dass wir unsere gemeinsamen Aktionen auswerten müssen. Dazu wird es entsprechend einer Vorbereitungskonferenz auch eine Nachbereitungskonferenz geben. Es gibt Überlegungen der Weiterarbeit dieses Bündnisses als anti-Kriegs- und antimilitaristisches Bündnis zumindest auf Europaebene. Aber auch die kanadischen Freunde und die aus den USA, wie United for Peace und Justice, haben ihr Interesse bekundet. Wie und zu welchem Schwerpunkt gearbeitet wird, fände ich noch viel zu früh zu sagen. Das politische Klima und die Bereitschaft zu einer weiteren Zusammenarbeit über den April 2009 hinaus ist meiner Ansicht nach vorhanden. Wie sich das konkret ausprägt, wird sehr davon abhängen, wie positiv aber auch wie viele Menschen sich an den Aktionen in Strassbourg und Baden-Baden beteiligen werden.

FORUM: Mal als fauler "Sesseldemonstrant" gefragt: Wieso sollte ich mich zu den Aktionen nach Strassbourg aufmachen?

REINER BRAUN: Du solltest da hin kommen, weil NATO gleich Krieg ist. Und wenn Du in diesem Jahr 2009 an einer entscheidenden Stelle gegen Krieg einmal demonstrieren kannst, dann solltest Du das in Strassbourg machen. Da wirst Du nicht nur viele Freundinnen und Freunde aus Deutschland wieder treffen, sondern ganz viele neue internationale Bekanntschaften machen können. Und das an einem Ort der wunderschön ist und Dir zeigt, welche Kulturgüter wir durch Frieden sichern müssen.


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Internationaler Appell, beschlossen in Stuttgart am 5. Oktober 2008
Nein zum Krieg - Nein zur NATO

Aus Anlass des 60. Geburtstages des NATO-Militärbündnisses rufen wir alle Menschen auf, im April 2009 nach Straßburg und Kehl zu kommen, um gegen die aggressive Militär- und Nuklearpolitik der NATO zu demonstrieren und unsere Vision einer gerechten Welt ohne Krieg zu beteuern.

Die NATO ist ein wachsendes Hindernis für den Frieden in der Welt. Seit dem Ende des Kalten Kriegs hat sich die NATO als Mittel für militärische Aktionen der "internationalen Gemeinschaft" neu erfunden, einschließlich der Forcierung des sogenannten "Kriegs gegen den Terror". In Wirklichkeit ist sie ein Vehikel für den Einsatz von Gewalt unter Führung der USA mit ihren Militärstützpunkten auf allen Kontinenten; handelt an den Vereinten Nationen und am Völkerrechtssystem vorbei; sie beschleunigt die Militarisierung und sie erhöht die Rüstungsausgaben. Die NATO-Staaten sind für 75 Prozent der globalen Militärausgaben verantwortlich. Seit 1991 betreibt die NATO diese expansionistische Politik mit dem Ziel, ihre strategischen und Ressourceninteressen zu vertreten. Die NATO hat auf dem Balkan unter dem Deckmantel der sog. "humanitären Intervention" Krieg geführt und sie führt seit 7 Jahren einen brutalen Krieg in Afghanistan, wo die tragische Situation eskaliert und der Krieg sich nach Pakistan ausgebreitet hat.

In Europa verschärft die NATO Spannungen und befeuert den Rüstungswettlauf mit der sog. Raketenabwehr", einem massiven Atomwaffenarsenal und einer atomaren Erstschlagstrategie. Die Politik der EU wird immer enger an die NATO angebunden. Die andauernde und potentielle Erweiterung der NATO nach Osteuropa und darüber hinaus und ihre "out-of-area"-Einsätze machen die Welt unsicherer. Der Konflikt im Kaukasus ist ein klarer Hinweis auf die Gefahren. Mit jeder Erweiterung der NATO-Grenzen wächst die Möglichkeit eines Krieges - einschließlich des Einsatzes von Atomwaffen.

Um unsere Vision einer friedlichen Welt zu erreichen, lehnen wir militärische Antworten auf globale und regionale Krisen ab - sie sind Teil des Problems und nicht der Lösung. Wir weigern uns, unter dem Terror von Atomwaffen zu leben, und widersetzen uns einem neuen Rüstungswettlauf. Wir müssen die Militärausgaben reduzieren und die dadurch frei werdenden Ressourcen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse einsetzen. Alle ausländischen Militärstützpunkte sind zu schließen. Wir lehnen alle militärischen Strukturen ab, die für Militärinterventionen genutzt werden. Wir müssen die Beziehungen zwischen den Völkern demokratisieren und demilitarisieren und neue Formen der friedlichen Zusammenarbeit einrichten, um eine sicherere und gerechtere Welt zu schaffen.

Wir bitten Sie/euch, diesen Aufruf in Ihren/euren Gemeinden und Bewegungen zu verbreiten und nach Straßburg und Kehl zu kommen, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Wir glauben daran, dass eine friedliche Welt möglich ist.


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Der NATO-Gegengipfel

Die Protesttage "Nein zum Krieg - Nein zur NATO" anlässlich des NATO-Gipfels 2009 bestehen aus einer Reihe von Aktivitäten:

Mittwoch, der 1. bis zum 5. April: Internationales Widerstandscamp mit vielfältigen und kulturellen Veranstaltungen und Aktionen.

Freitag, den 3. April: Aktionen zu den Ministertreffen und dem Galadinner in Baden-Baden.

Freitag, den 3. und Sonntag, den 5. April: Internationale Konferenz zur Analyse der NATO-Politik und -Strategie, sowie der Diskussion um Alternativen und einer längerfristigen Aktionsplanung der Friedensbewegung.

Samstag, den 4. April: "Tag der Aktionen" mit großer Demonstration "No to War - No to NATO" in Straßburg.

Aktuelle Informationen auf der Webseite: www.no-to-nato.org


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Quelle:
IPPNWforum | 115 | 09, S. 12-13
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2009