Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN


FRAGEN/027: Journalist Joachim Umbach über Entwicklungsförderung in Äthiopien (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Portraits von Menschen - Äthiopien

von Milena Rampoldi, 6. Januar 2016


Der Journalist Joachim Umbach war über zehn Jahre Chefredakteur einer in Ravensburg erscheinenden Schwäbischen Zeitung. Er hat in seiner Amtszeit dort fast drei Millionen Euro gesammelt, um Menschen für Menschen zu unterstützen. Auch heute begleitet Joachim Umbach die Aktivitäten von Menschen für Menschen immer noch journalistisch. Pro Mosaik [1] hat ein Interview mit Herrn Umbach geführt.


Milena Rampoldi: Welche sind die wichtigsten Lehren, die Sie aus Äthiopien nach Hause mit genommen haben?

Joachim Umbach: Mich hat besonders beeindruckt, wie erfolgreich das Förderkonzept von Menschen für Menschen ist. Es ist möglich, den Ärmsten der Armen eine Perspektive zu geben. Natürlich findet das alles auf bescheidenem Niveau statt. Aber selbst das bewirkt, dass die Menschen gar nicht erst auf die Idee kommen, woanders ihr Glück zu suchen. Im Gegenteil: Es gibt viele Äthiopier, die schon wieder zurückgekommen sind - zum Beispiel aus Saudi-Arabien. Diesen Weg, die Menschen durch Aus- und Weiterbildung zum selbständigen Handeln zu motivieren, muss man weitergehen.

MR: Ein Grund zu bleiben als Grundsatz einer Entwicklungshilfe, die die Flüchtlingsströme aufhalten kann. Wie sehen Sie das? Was stimmt Sie optimistisch, was nicht?

JU: Mit dem Konzept von Menschen für Menschen kann man natürlich nur Flüchtlinge aufhalten, die aus wirtschaftlicher Not aufbrechen wollen. Wenn, wie in Syrien, Krieg herrscht oder, wie in einigen afrikanischen Ländern, diktatorische Systeme die Menschen unterdrücken, ist das etwas anderes. Da kann man mit Förderkonzepten, die in der Region, also im Kleinen wirken, wenig ausrichten. Auch in Äthiopien könnte die Situation problematisch werden. Die dortige Militärdiktatur schränkt die Freiheitsrechte deutlich ein - zum Beispiel bei den Medien. Man muss abwarten, wie sich das Land entwickelt.

MR: Warum ist es so wichtig, Portraits von Menschen zu präsentieren, wenn man über Menschenrechte und Entwicklungshilfe schreibt?

JU: Ob die Menschenrechte geachtet werden oder ob Entwicklungshilfe wirklich ankommt, können nur die Menschen selbst beantworten. Und deshalb ist es immer wichtig, die Betroffenen selbst anzusprechen und zu Wort kommen zu lassen. Das ist viel authentischer als irgendeine offizielle politisch geprägte Verlautbarung.

MR: Wie wichtig sind engagierte Filmproduktionen für Äthiopien? Erzählen Sie uns von Filmen, die Ihnen am Herzen liegen.

JU: Die äthiopische Filmproduktion ist auch für mich Neuland gewesen. Die Begegnungen mit der Schauspielerin Sayat Demissie und der Filmemacherin Terhas Berhe haben mir einen ersten Einblick gegeben. Mich hat vor allem das Engagement der Künstlerinnen beeindruckt. Und ihr Bemühen, einen eigenen äthiopischen Blickwinkel zu entwickeln, der die Lebensrealitäten in diesem Land berücksichtigt.

MR: Kleine Leute sind die, die für ProMosaik die Welt ändern. Was sehen Sie auf dem Horizont der Zukunft Äthiopiens?

JU: Äthiopien hat sich in den letzten Jahren wirtschaftlich ganz erfreulich entwickelt. Die Militärdiktatur hat - auch wenn man sie in vielen Bereichen kritisch sehen muss - für Stabilität gesorgt. Und das in einer Region, wo rundherum (Sudan, Eritrea, Somalia oder Nord-Kenia) der Krieg oder Terror tobt. Da muss man die Entwicklung abwarten. Von den kleinen Leuten ist in Äthiopien noch nie eine Eskalation ausgegangen. Bestes Beispiel ist, dass sich in vielen Regionen des Landes die Menschen unterschiedlichster Religion bestens verstehen. Auch hier gilt: Hoffentlich bleibt das so.

MR: Wie wichtig ist Bildung für die Zukunft Äthiopiens und warum?

JU: Bildung war und ist in Äthiopien das entscheidende Thema. In den Regionen, wo Menschen für Menschen aktiv war und ist, wird das ganz deutlich. Aber auch in ganz Äthiopien, da auch der Staat diese Notwendigkeit erkannt hat. Nach Schulen und Universitäten braucht es jetzt vor allem handwerkliche Ausbildungsstätten. Den Jugendlichen, die jetzt eine Grundschule besucht haben, muss eine Perspektive für die Zeit nach dem Abschluss geboten werden.


Über den Autor

Dr. phil. Milena Rampoldi ist freie Schriftstellerin, Buchübersetzerin und Menschenrechtlerin. 1973 in Bozen geboren, hat sie nach ihrem Studium in Theologie, Pädagogik und Orientalistik ihren Doktortitel mit einer Arbeit über arabische Didaktik des Korans in Wien erhalten. Neben ihrer Tätigkeit als Sprachlehrerin und Übersetzerin beschäftigt sie sich seit Jahren mit der islamischen Geschichte und Religion aus einem politischen und humanitären Standpunkt, mit Feminismus und Menschenrechten und mit der Geschichte des Mittleren Ostens und Afrikas. Sie wurde verschiedentlich publiziert, mehrheitlich in der deutschen Sprache. Sie ist auch die treibende Kraft hinter dem Verein für interkulturellen und interreligiösen Dialog Promosaik.
[1] www.promosaik.com


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

*

Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang