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INTERNATIONAL/015: Mexiko - Gefahr für Indigenenkultur, Bedenken gegen Waldschutzprogramm (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Mai 2011

Mexiko: Gefahr für Indigenenkultur - Bedenken gegen REDD-Waldschutzprogramm

Von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 11. Mai (IPS) - Die Umsetzung eines Waldschutzprogramms im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas als Teil internationaler Klimaschutzbemühungen stellt nach Ansicht lokaler Nichtregierungsorganisationen eine Gefahr für die dort lebenden indigenen Gemeinschaften und eine Provokation der zapatistischen Basisgruppen dar.

Das Programm zur Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern (REDD) werde die indigene Kultur verändern, da es dem Allgemeingut Natur - Luft, Wasser und Artenvielfalt - einen kommerziellen Wert beimesse, sagte Miguel García von der Umweltorganisation 'Maderas del Pueblo del Sureste' ('Hölzer vom Volk des Südostens').

Unter einem ökologischen Vorwand werde das soziale Gewebe der indigenen Gemeinschaften zerstört und die Gefahr einer Konfrontation mit den zapatistischen Basisgruppen heraufbeschworen, warnte García in Anspielung auf die Anhänger und Sympathisanten der linken Guerillabewegung Nationale Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN), die sich für indigene Rechte engagieren.

Die Regierung von Chiapas treibt die Umsetzung von REDD voran, das auf der 16. Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonferenz (UNFCCC) in der südostmexikanischen Stadt Cancún überarbeitet und als REDD+ vorgestellt wurde.


Indigene aus Konsultationsprozess ausgeschlossen

"Es gibt Regionen in Chiapas, in denen die Landbesitzverhältnisse nicht geklärt und somit Probleme bei der Anwendung von REDD+ zu erwarten sind", meinte Gustavo Sánchez vom Netz der Waldbauernorganisationen 'Red Mocaf'. Bevor an eine Umsetzung zu denken sei, müssten die Betroffenen vorab genau über das Vorhaben ins Bild gesetzt werden.

REDD+ ist Teil des 2009 gestarteten Aktionsplans gegen den Klimawandel im Bundesstaat Chiapas (PACCCH), der besonders unter den Folgen der Erderwärmung in Form von wolkenbruchartigen Regenfällen und Überschwemmungen zu leiden hat. Das Programm befindet sich derzeit in einem öffentlichen Konsultationsprozess.

Mexiko produziert jährlich 709 Millionen Tonnen Treibhausgase. Davon entfallen 32 Millionen Tonnen auf Chiapas. Die meisten der CO2-Emissionen werden durch die Land- und Viehwirtschaft und im Zuge der Waldzerstörung freigesetzt.

REDD+ soll in Regionen zum Tragen kommen, die von indigenen Lakandonen bewohnt werden. Die ethnische Minderheit, die ursprünglich aus dem südöstlichen Bundesstaat Campeche und aus Guatemala stammt und im 17. Jahrhundert nach Chiapas umgesiedelt wurde, sympathisiert mit der EZLN.

Die Rebellenorganisation hatte sich am 1. Januar 1994 in Chiapas erhoben, um gegen die Diskriminierung und Armut der mexikanischen Urbevölkerung zu protestieren, die in Chiapas eine der fast 4,8 Millionen Einwohner stellen. Nach anfänglichen bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Streitkräften und einem abgebrochenen Dialog mit der Zentralregierung zog sich die Guerilla Mitte des letzten Jahrzehnts in die Wälder von Chiapas zurück. Von 40 autonomen Pro-Zapatisten-Bezirken 2003 haben fünf überlebt.

In Chiapas werde im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Nutzung der Wälder großer Wert auf einen partizipativen Ansatz gelegt, erläuterte Tatiana Ramos vom Mexiko-Büro der US-amerikanischen Unweltorganisation 'Conservation International' (CI), die in Chiapas drei Umweltprojekte durchführt. Die Behörden hätten versäumt, die Betroffenen rechtzeitig in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.

Im Dezember wurde in Chiapas das Gesetz zur Anpassung und Abmilderung der Folgen des Klimawandels verabschiedet. Einen Monat zuvor hatte der Gouverneur des Bundesstaates, Juan Sabines, mit seinem brasilianischen Amtskollegen des Amazonasstaates Acre, Arnobio Marques, und dem damaligen Gouverneur Kaliforniens (USA), Arnold Schwarzenegger, ein Abkommen für den Handel mit CO2-Zertifikaten geschlossen. Es verpflichtet Chiapas dazu, seine Wälder zu schützen und entwaldete Fläche aufzuforsten.

1971 hatte die mexikanische Regierung einer Gruppe indigener Lakandonen 614.321 Hektar Wald überlassen, der heute als Lakandonendschungel bekannt ist. Sieben Jahre später beschloss die mexikanische Zentralregierung die Gründung der Biosphärenreservation Montes Azules ('Blaue Berge'). Das insgesamt 331.200 Hektar große Schutzgebiet überlappt sich zum Teil mit dem Lakandonendschungel.

Mexikos Wälder erstrecken sich über eine Gesamtfläche von 65 Millionen Hektar. Für 6,5 Millionen Hektar hat das Umweltministerium Nutzungsrechte ausgegeben. Nach Angaben der Behörden verliert das lateinamerikanische Land jährlich 150.000 Hektar Baumbestand, Umweltorganisationen hingegen halten einen Waldschwund von jährlich 500.000 Hektar für realistisch.


Maisanbauverbot

Wie Miguel García vom Maderas del Pueblo del Sureste kritisiert, werden die Indigenen aufgrund von REDD+ ihr Recht verlieren, Mais zu pflanzen, mit dem sie bislang ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Die Regierung von Staatspräsident Felipe Calderón ist für die Entwicklung der nationalen REDD-Strategie verantwortlich. Starten soll das Programm im kommenden Jahr. Mexiko ist einer von acht Pilotstaaten, die von der Waldkohlenstoff-Partnerschaftsfazilität (FCPF), einer Allianz aus 28 Ländern und Organisationen zur Verringerung der durch Entwaldung und Waldzerstörung verursachten Treibhausgase, ausgewählt wurden. Im Rahmen des Projekts erhält Mexiko eine Startfinanzierung in Höhe von 3,6 Millionen Dollar.

REDD wurde 2008 von der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO sowie dem Entwicklungs- und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNDP und UNEP) auf den Weg gebracht. Es zielt auf den Schutz der Artenvielfalt und die Rettung der Wälder als Klimasenken in Entwicklungsländern. Diese wiederum erhalten finanzielle und technische Hilfen für Waldschutz und Aufforstung. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.forestcarbonpartnership.org/fcp
http://mocaf.org.mx
http://blog.conservation.org
http://www.un-redd.org
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=55571

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2011