Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

INTERNATIONAL/136: Mexiko - Ständiges Tribunal der Völker verurteilt Enteignung von Indigenen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2012

Mexiko: Ständiges Tribunal der Völker verurteilt Enteignung von Indigenen

von Daniela Pastrana



Temacapulín, Mexiko, 9. November (IPS) - María Abigail Agredani ist wütend. "Was verlieren wir, wenn der Staudamm hier gebaut wird? Alles!" Agredani ist Mitglied der Indigenen-Bewegung 'Retten wir Temacapulín, Acasico und Palmarejo!' im mexikanischen Bundestaat Jalisco. Hier soll ein neues Wasserkraftwerk gebaut werden, das die Indigenen von ihrem angestammten Territorium vertreiben würde.

"Wir würden unser Recht auf Existenz verlieren, unsere Kultur, unsere Traditionen - 14 Jahrhunderte unserer Geschichte! Wir würden nicht mehr in Frieden, Glückseligkeit und Freiheit leben können. Die Agave würde zerstört werden und der Grüne Fluss", warnt Agredani vor dem Ständigen Tribunal der Völker (PTT).

Die internationale unabhängige Instanz untersucht Menschenrechtsverletzungen. In Mexiko hat sie ihr Büro im Oktober vergangenen Jahres eröffnet und beschäftigt sich dort vor allem mit Verbrechen, die seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Felipe Calderón Ende 2006 im Namen der Drogenkriminalitätsbekämpfung begangen worden sind.

Das Ständige Tribunal hielt in der kleinen Gemeinde Temacapulín Anfang November Anhörungen über den sozialen und ökologischen Schaden von Wasserkraftwerken ab. Zwei Tage lang wurden Anwohner von neun Gemeinden angehört, die sich gegen Pläne zum Bau von insgesamt fünf Staudämmen im ganzen Land engagieren. Am 8. November sprach das Gericht schließlich sein Urteil aus und forderte von der mexikanischen Regierung, alle Mega-Staudammprojekte sofort einzustellen.


Rechte der Anwohner missachtet

Bei der Verlesung des Urteils sagte Jury-Mitglied Monti Aguirre von der Nichtregierungsorganisation 'International Rivers': "In keinem der Fälle wurden die Betroffenen vorher ausreichend informiert, geschweige denn befragt. Dabei ist dies ihr Recht." Bei der Planung des Baus der Wasserkraftwerke seien systematisch und kontinuierlich die kulturellen, ökonomischen und sozialen Rechte der Menschen verletzt worden.

Das PPT wurde 1979 auf Initiative des italienischen Senators Lelio Basso in Bologna gegründet. Die Institution versteht sich als Fortsetzung des Russell-Tribunals, das in den sechziger Jahren Menschenrechtsverletzungen während des Vietnam-Kriegs und später Verbrechen der von den USA unterstützten Militärregime in Lateinamerika untersuchte. Benannt war das Tribunal nach seinem Gründer, dem britischen Philosoph und Friedensaktivist Bertrand Russell.

Die Urteile des PPT basieren auf dem Völkerrecht und berücksichtigen die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Sie sind nicht bindend, habe aber eine hohe moralische Durchschlagskraft. Sitzungen wurden bereits in mehr als 40 Staaten abgehalten.

Die Anhörungen in Mexiko sollen bis Anfang 2014 laufen, dann werden die endgültigen Urteile verkündet. Der Krieg zwischen Drogenbanden und die Militarisierung der Bekämpfung des Drogenhandels hat in dem lateinamerikanischen Land an die 50.000 Menschenleben gefordert. Das PPT befasst sich insbesondere mit diesem 'schmutzigen Krieg', Straffreiheit, dem mangelnden Zugang zur Justiz, Migration, Flüchtlingen und Vertriebenen, Gewalt gegen Frauen, Nahrungssicherheit, Umweltzerstörung, Rechten indigener Völker sowie Pressezensur.


Internationale Jury

Die Jury-Mitglieder sind international: Bei den aktuellen Voranhörungen in Temacapulín waren es neben Monti Aguirre der ehemalige Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen, Miloon Kothari aus Indien, der Professor Carlos Bernardo Vainer von der Bundesuniversität von Rio de Janeiro sowie die kanadische Aktivistin für das Menschenrecht auf Wasser, Maude Barlow.

Aus Mexiko selbst saßen in der Jury der Anwalt für indigene Rechte, Francisco López Bárcenas, sowie Luis Daniel Vázquez von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften und Patricia Ávila vom Zentrum für Ökosystemforschung der Autonomen Universität Mexikos.

Die Bewohner der Gemeinde Temacapulín sehen sich vom Bau des Wasserkraftwerks 'El Zapotillo' bedroht: Sollte das Megaprojekt errichtet werden, müsste die Region überflutet werden, die Menschen, die dort leben, sich also ein neues Zuhause suchen. Diese haben daher Fehler bei der Planung dokumentiert.

"Wir sollen vertrieben werden, dabei ist noch nicht einmal klar, mit welchem Wasser der Staudamm gefüllt werden soll - hier regnet es bereits seit vier Jahren zu wenig", sagt der städtische Abgeordnete Alfonso Íñiguez Pérez gegenüber IPS.

"Um die Energieversorgung zu sichern muss man keine riesigen Wasserkraftwerke bauen", sagt Vainer gegenüber IPS. "Diese Riesenprojekte dienen nicht der regionalen Entwicklung sondern den großen Industriezentren." Den Wert von Energie und von einem Volk oder einer Kultur könne man nicht vergleichen.

"Die großen Unternehmen darf man gar nicht erst ins Land lassen. Am Ende setzen sie sich nämlich doch über die Köpfe der Menschen hinweg", sagt Rodolfo Chávez vom Rat der Gemeinden gegen das Wasserkraftwerk 'La Parota' in Guerrero. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.internazionaleleliobasso.it/?%20page_id=207&lang=en
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101862

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2012