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MUMIA/720: Vorsätzliche Verweigerung (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 12.9.2015

Vorsätzliche Verweigerung
Kolumne für Mumia Abu-Jamal

Von Robert Boyle


Anwalt Robert Boyle aus New York sprach am 20.10.2015 auf einer Pressekonferenz, die unter der Schirmherrschaft der »Local 1199: National Health Care Workers' Union«, der US-Gewerkschaft des medizinischen Pflegepersonals, in New York stattfand.


Wenn ich jetzt über die rechtliche Auseinandersetzung um die medizinische Behandlung unseres Mandanten Mumia Abu-Jamal spreche, möchte ich hervorheben, dass in dieser Gesellschaft alles politisch ist und deshalb auch in dieser Frage der politische Kampf von größerer Bedeutung ist als der juristische Kampf. Das heißt, ohne den politischen Kampf um die Forderung, Mumia Abu-Jamal und alle anderen erkrankten Gefangenen angemessen zu behandeln, wird es diese medizinische Versorgung nicht geben.

Einer der Gründe dafür ist, dass die rechtliche Situation der medizinischen Versorgung in den US-Gefängnissen grauenhaft ist. Der 8. Zusatzartikel zur US-Verfassung besagt zwar, dass Gefangene ein Recht darauf haben. Eine Reihe von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der USA hebelt dieses Recht jedoch aus, indem der Nachweis verlangt wird, dass eine vorsätzliche Nichtbehandlung stattfindet. Für eine Verfassungsbeschwerde reicht es also nicht zu sagen, dass zu wenig getan wird, sondern man muss beweisen, dass gar nicht behandelt wird. Darum ringen wir gerade in den Gerichten, weshalb es äußerst wichtig ist, dass der politische Druck der Öffentlichkeit verstärkt wird.

Obwohl es ein Medikament gibt, mit dem Mumia und etwa 10.000 andere an akuter Hepatitis C erkrankte Gefangene völlig geheilt werden könnten, vertritt die Gefängnisbehörde von Pennsylvania den Standpunkt, sie tue auch ohne das Medikament genug. Sie ließe unseren Mandanten untersuchen, kontrolliere seine Leberwerte, und er bekommen hin und wieder auch eine Salbe, wenn sein durch die Krankheit bedingtes Hautekzem sich verschlimmere. Die Verantwortlichen betonen also, dass sie etwas tun. Vor dem Bundesgericht müssen wir aber beweisen, dass sie nicht das Richtige tun, wenn wir ihnen den Bruch der Verfassung nachweisen wollen. Die Behörde sagt also, sie behandele die Symptome, sobald sie sich verschlimmern. Die wissen aber, dass es ein Medikament gibt, durch das die Hepatitis-C-Infektion vollständig geheilt werden kann und damit auch die Symptome verschwinden.

Es geht in dieser Haltung der Behörde also nicht nur um eine medizinische Vernachlässigung, sondern um die vorsätzliche Verweigerung, Mumia und den anderen 10.000 Gefangenen dieses Medikament zu verabreichen. Sie werden nicht zugeben, dass es ihnen dabei ums Geld geht, denn der 8. Zusatzartikel besagt, dass die medizinische Behandlung nicht aus Kostengründen verweigert werden darf. Deshalb behaupten sie, dass sie genug tun, um der Verfassung zu entsprechen. Aus diesem Grund haben wir im August bei Gericht eine einstweilige Verfügung beantragt, um den Bundesstaat Pennsylvania zu zwingen, Mumia angemessen zu behandeln. Vor kurzem hat eine Magistratsrichterin, die den Fall zugewiesen bekam, unseren Antrag mit der Begründung abgelehnt, unser Mandant stehe unter medizinischer Beobachtung und erhalte einige Mittel. Dagegen sind wir vor dem Bundesbezirksgericht mit dem Argument in Berufung gegangen, das reiche nach dem 8. Zusatzartikel nicht aus, weil das entscheidende Heilmittel verweigert wird. Wir hoffen nun, dass der Bezirksrichter unserer Argumentation folgt oder dass uns eine Anhörung vor Gericht bewilligt wird, damit wir ausführen können, welche Behandlung jetzt notwendig ist für Mumia.

Abschließend möchte ich noch etwas sagen, was über die Situation von Mumia und seinen Mitgefangenen hinausgeht. Hepatitis C ist eine ansteckende Krankheit. Wenn daran erkrankte Häftlinge aus dem Gefängnis entlassen werden - und die meisten werden ja irgendwann entlassen, und wir hoffen, dass auch Mumia sehr bald freikommt -, dann kehren sie krank in ihre Gemeinden zurück. Die Nichtbehandlung der Häftlinge beschwört somit eine Krise im öffentlichen Gesundheitswesen herauf. Um diese abzuwenden, müsste jeder an Hepatitis C erkrankte Gefangene logischerweise behandelt und geheilt werden, weil sich sonst auch draußen immer mehr Menschen mit dem Virus anstecken. Setzen wir also den Kampf für die angemessene Versorgung der Inhaftierten fort. Freiheit für Mumia Abu-Jamal und alle politischen Gefangenen!

Übersetzung: Jürgen Heiser



https://www.jungewelt.de/2015/10-26/014.php

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Quelle:
junge Welt vom 26.10.2015, Seite 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2015

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