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MUMIA/933: Kleiner Erfolg für Mumia (ivk-jw)


Kleiner Erfolg für Mumia

USA: Richter gibt politischem Gefangenen recht
Urteil muss geprüft werden

Von Jürgen Heiser, 7. Januar 2019


Der in jW leicht gekürzt abgedruckte Artikel hier in voller Länge:

»Lassen Sie Gerechtigkeit für Mumia geschehen!« skandierten am vergangenen Samstag Unterstützer des US-Bürgerrechtlers und politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal vor der Bezirksstaatsanwaltschaft in Philadelphia. Sie wollten den Leiter der Behörde, Lawrence »Larry« Krasner, der vor einem Jahr mit breiter Zustimmung der schwarzen Gemeinde gewählt worden war, an sein Versprechen erinnern, »grundlegende Veränderungen« in der Justiz bewirken zu wollen. Dazu gehöre jetzt auch, »nicht im Weg zu stehen«, nachdem Abu-Jamal zum ersten Mal in seiner seit 1981 andauernden Haft das Recht auf Überprüfung seines Urteils zugesprochen wurde.

Die Solidaritätsbewegung befürchtet, Krasner könnte dem Druck der rechten Polizeibruderschaft Fraternal Order of Police (FOP) nachgeben und Berufung gegen eine Entscheidung des Richters Leon Tucker vom Philadelphia Court of Common Pleas einlegen. Überraschend hatte der afroamerikanische Oberrichter des von Abu-Jamal angerufenen Straf- und Zivilgerichts am 27. Dezember 2018 wegen der Befangenheit des ehemaligen obersten Richters Ronald Castille eine erneute Prüfung der 37 Jahre zurückliegenden Verurteilung Abu-Jamals wegen angeblichen Polizistenmordes angeordnet.

Abu-Jamal selbst prüft noch die neue Rechtslage, erklärte aber, er habe es nun »das erste Mal mit einem Richter Pennsylvanias zu tun gehabt, der nicht von der anderen Seite gekauft« sei. Gemeint ist der Einfluss der FOP auf die Justiz Philadelphias, weil sie nicht nur Tausende von Polizisten, sondern auch Staatsanwälte und Richter zu ihren Mitgliedern zählt. Diese FOP versucht seit Ende der 1970er Jahre mit allen Mitteln, den preisgekrönten Journalisten Abu-Jamal wegen seines kritischen Engagements gegen die »Law & Order«-Fanatiker seiner Heimatstadt mundtot zu machen.

Mit seiner Entscheidung erteilte Richter Tucker dem Obersten Gerichtshof Pennsylvanias den Auftrag, über vier Berufungsanträge nach dem »Post Conviction Relief Act« (PCRA) neu zu verhandeln. Das Gesetz bietet Verurteilten das Recht auf Wiederaufnahme ihres Strafverfahrens. Die Rechtsmittel hatte Abu-Jamal zwischen 1998 und 2014 eingelegt, nachdem sein PCRA-Antrag von 1995 abgelehnt worden war. Das höchste Gericht des Bundesstaates hatte jedoch alle vier Anträge abgewiesen - unter Mitwirkung Castilles, der seit 1994 als Richter und von 2008 bis 2014 als Vorsitzender an diesem Gericht tätig war.

Zuvor war Castille leitender Bezirksstaatsanwalt und koordinierte das Vorgehen seiner Behörde gegen Abu-Jamals Berufungsersuchen. Da laut US-Gesetz kein Richter über Berufungen gegen Urteile befinden darf, an denen er direkt oder indirekt beteiligt war, monierte Tucker nun, Richter Castille hätte sich als ehemaliger Chefankläger von der Prüfung der Berufungsanträge zurückziehen müssen. Genau das hatte er jedoch nachweislich verweigert. Deswegen hatte Abu-Jamal im August 2016 Klage eingereicht.

Nach zwei Jahren, in denen die Anwältinnen Judith Ritter und Christina Swarns in Tuckers Anhörungen heftig mit der Anklagebehörde um die Herausgabe von Dokumenten über die Interessenkollision ihres früheren Chefs Castille stritten, musste der Richter abschließend feststellen, dass diese Dokumente »fehlen, weil das Büro des Bezirksstaatsanwalts diese Aktenteile verloren« habe. Handlungen und öffentliche Kommentare des seit 2014 pensionierten Richters Castille hätten indes einen »Mangel an Unparteilichkeit« gezeigt und den »Anschein von Befangenheit« erweckt, so Tucker. Als Richter am Obersten Gerichtshof Pennsylvanias habe Castille den Gouverneur aufgefordert, »Polizistenmördern« die »klare und drastische Botschaft« zu vermitteln, dass die Todesstrafe gegen sie vollstreckt werde. Zusätzlich hatten die Anwältinnen vorgetragen, Castille sei wegen seiner harten »Law & Order«-Politik bei seiner Wahl zum Richter finanziell von der FOP gefördert und von ihr zuvor schon als Staatsanwalt geehrt worden, weil er sich mit 45 Todesurteilen hervorgetan hatte.

Da unter diesen Umständen alle Berufungsersuchen Abu-Jamals vom Obersten Gerichtshof widerrechtlich abgewiesen worden seien, sah Richter Tucker grundlegende Verfassungsrechte des Verurteilten verletzt. Sein Fazit: Abu-Jamals Klage zur »Prüfung seines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens« werde »wegen der Besorgnis verfassungswidriger Befangenheit gemäß dem Grundsatz des fairen Verfahrens in der Verfassung der Vereinigten Staaten stattgegeben«. Tuckers Entscheidung beschränkt zwar die neuerliche Prüfung der Berufungsanträge auf die ursprünglichen Schriftsätze diverser Verteidigungsteams, deren Protagonisten wie Leonard Weinglass schon verstorben sind. Anwältin Ritter sieht indes Möglichkeiten, diese Einschränkung anzufechten und die Anträge zu aktualisieren, auch wenn es dafür keine Garantie gebe.

Zunächst ist es nun an Bezirksstaatsanwalt Krasner, mit der FOP-freundlichen Vergangenheit seiner Behörde zu brechen - oder innerhalb der Frist von dreißig Tagen Tuckers Minischritt Richtung Gerechtigkeit durch das Einlegen von Rechtsmitteln in eine weitere tödliche Spirale juristischer Winkelzüge zu verwandeln.


Link zur Kolumne von Mumia Abu-Jamal in junge Welt Nr. 5 vom 7. Januar 2019, in der er eine erste Stellungnahme abgibt zur Entscheidung von Richter Tucker:
https://www.jungewelt.de/artikel/346655.es-ist-noch-zu-fr%C3%BCh.html

Link zum Artikel in junge Welt
https://www.jungewelt.de/artikel/346654.repression-in-den-usa-kleiner-erfolg-f%C3%BCr-mumia.html

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Quelle:
Der Beitrag entstammt der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
Postfach 150 323, 28093 Bremen
E-Mail: ivk(at)freedom-now(dot)de
Internet: www.freedom-now.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2019

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