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MELDUNG/121: Ärztepensionen - Vorwurf des Landraubs in Brasilien erhärtet sich


Fian - Pressemitteilung vom 21.07.2016
Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht, sich zu ernähren

Ärztepensionen: Vorwurf des Landraubs in Brasilien erhärtet sich

Staatsanwaltschaft erklärt Landkäufe eines Mittelsmannes des Investmentfonds TIAA-CREF Global Agriculture, der Pensionen der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe verwaltet, als illegal und erwägt strafrechtliche Verfolgung.


Köln, 21. Juli 2016 - Neue Beweise aus Brasilien legen substantielle menschenrechtliche Probleme bei der Investition der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe in einen Landfonds nahe. Nach einem Urteil des State Court vom Bundesstaat Piauí vom 5. Juli hat sich der brasilianische Geschäftsmann Euclides De Carli 124.400 Hektar Land illegal angeeignet.

Der Landfonds TIAA-CREF Global Agriculture, in den die deutsche Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL) sowie US-amerikanische, kanadische und schwedische Pensionsfonds investiert haben, hatte eingeräumt, über seinen brasilianischer Partner, der Zuckerhersteller COSAN, Land in der Region Matopiba von Herrn De Carli gekauft zu haben. In dieser Region liegen auch die von der Staatsanwaltschaft als illegal angeeignet erklärten Ländereien.

FIAN Deutschland hatte bereits im Dezember 2015, nachdem international auf die Zusammenhänge zwischen dem Landfonds und den Machenschaften von De Carli aufmerksam gemacht worden war, an den Landtag NRW appelliert, sich aktiv um Aufklärung zu bemühen. "Solche substantiellen Vorwürfe von Landraub mit Beteiligung eines hiesigen Pensionswerkes müssen öffentlich geklärt werden", so Roman Herre, Agrarreferent der Menschenrechtsorganisation FIAN. "Letztendlich muss der Staat sicherstellen, dass durch solche Investitionen keine Menschenrechte verletzt werden."

Besonders pikant ist, dass die Landtage in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg die ÄVWL beauftragt haben, auch die Landtagspensionen zu verwalten. "Eine solche Kooperation macht es doppelt notwendig, diese schweren Vorwürfe öffentlich zu klären", so Herre weiter. Brasilianische und europäische Organisationen, darunter FIAN Deutschland, sowie Pensionäre fordern seit vier Jahren, die genauen Orte und Details der Farmen, die der Fonds in Brasilien und andernorts aufkauft, zu veröffentlichen.


Hintergrund
  • TIAA-CREF ist eines der größten Versorgungswerke weltweit und verwaltet die Renten von Lehrern und Professoren sowie von ArbeiterInnen in der Unterhaltungsbranche in den USA. 2012 legte es unter dem Namen TIAA-CREF Global Agriculture LLC (TCGA) einen 2 Milliarden US-Dollar schweren Fonds zum Kauf von Farmland weltweit auf. Neben der ÄVWL haben weitere Versorgungswerke weltweit Gelder in den Fonds angelegt. 2015 folgte ein zweiter, 3 Milliarden US-Dollar schwerer Farmland-Fonds (TCGA II).
  • Die ÄVWL ist ein berufsständisches Versorgungswerk, welches für die Alterssicherung von mehr als 50.000 ÄrztInnen und ihrer Familienangehörigen zuständig ist. Es verwaltet ein Vermögen von über 10 Milliarden Euro und hat sich 2012 mit etwa 80 Millionen Euro an dem Farmland-Fonds TCGA beteiligt.
  • 2010 hat der 113. Deutsche Ärztetag die Versorgungswerke der Ärzte aufgefordert, ihre Investitionen unter ethischen Gesichtspunkten vorzunehmen. Dies beinhaltet die Respektierung der Menschenrechte. Eine effektive Umsetzung dieses Beschlusses durch die Landeskammern findet nicht statt.
  • Land als Hehlerware: Ein Zwischenhändler organisiert sich teilweise gewaltsam und mit Einschüchterungen Land, welches von lokalen Gemeinden genutzt wird. Sobald das Land freigeräumt und abgesteckt ist, werden mithilfe von Bestechung formale Besitzurkunden und Grundbucheinträge organisiert. Diese in Brasilien gängige und in der Region der Landkäufe weit verbreitete Praxis wird auch grilagem genannt. So kann das Land an einen Investor verkauft werden, der dann erklärt, nichts mit gewaltsamen Vertreibungen oder anderen Menschenrechtsverletzungen zu tun zu haben.
  • Indigene Gemeinden aus der Region der Landkäufe haben sich in aller Deutlichkeit gegen die für sie lebensbedrohliche Expansion der Agrarindustrie ausgesprochen. Deren Stellungnahme "Matopiba: Killing the Cerrado and its people" vom 23. Juni 2016 finden Sie hier:
    http://www.farmlandgrab.org/post/view/26329

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Über FIAN Deutschland:

FIAN Deutschland ist die deutsche Sektion der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN. Der Verband setzt sich für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte ein, insbesondere für das Recht auf Nahrung. FIAN hat Mitglieder in mehr als 50 Ländern; in 19 Ländern bestehen nationale Vertretungen. FIAN steht für FoodFirst Informations- & Aktions-Netzwerk. Das Netzwerk feierte Anfang Juni sein 30-jähriges Bestehen.

FIAN (FoodFirst Informations- & Aktions-Netzwerk) ist die Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung mit Mitgliedern in 60 Ländern.

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Weitere Informationen:

gestrige Meldung von Thompson Reuters:
http://news.trust.org/item/20160720171912-k6rlu/?source=hpeditorial&siteVersion=mobile

Infografik zu TIAA-Cref:
http://www.fian.de/fileadmin/user_upload/bilder_allgemein/Presse/Mediathek/Website_Infografik_TCGA.jpg

FIAN-Pressemitteilung vom 16.12.2015 "Ärztepensionen in Landgrabbing verwickelt":
https://www.fian.de/artikelansicht/2015-12-16-aerztepensionen-in-landgrabbing-verwickelt/

Foreign Pension Funds and Land Grabbing in Brasil. Vollständiger Bericht:
https://www.grain.org/article/entries/5336-foreign-pension-funds-and-land-grabbing-in-brazil

Simon Romero, "TIAA-CREF, U.S. Investment Giant, Accused of Land Grabs in Brazil?, New York Times, 16 November 2015:
http://www.nytimes.com/2015/11/17/world/americas/tiaa-cref-us-investment-giant-accused-of-land-grabs-in-brazil.html?_r=0

Gregory Meyer, "The Great Land Rush: Investors face conflict in quest for farms?, Financial Times, 2 March 2016:
http://www.ft.com/intl/cms/s/0/84a646a0-dedc-11e5-b67f-a61732c1d025.html#axzz41qs4sBsO

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Quelle:
Pressemitteilung vom 21. Juli 2016
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Telefon: 221/702 00 72, Fax: 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2016

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