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ARTIKEL/340: Frieden will gelernt sein - Protest und Gegeninformation bei der Didacta (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 2 / 2019
Magazin der DFG-VK

Frieden will gelernt sein
Protest und Gegeninformation bei der Bildungsmesse Didacta in Köln

Von Wilfried Porwol


Die Didacta ist nach eigenen Angaben die größte Fachmesse für Bildungswirtschaft in Europa. Auch in diesem Jahr in Köln war die Bundeswehr auf dieser Messe für Lehrer*innen, Referendar*innen und Lehramtsstudent*innen wieder mit einem großen Stand vertreten: laut Ausstellerverzeichnis das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr. So straft sich die Armee selber Lügen, wenn sie fortwährend behauptet, ihre Schulauftritte wären keine Werbung für den Dienst in der Armee!

Erneut wurde der Bundeswehraufritt begleitet von Protesten vor der Messe, aber auch durchaus erfolgreich an dem Armeestand selber. dazu mehr im folgenden Erfahrungsbericht von Wilfried Porwol von der DFG-VK-Gruppe Kleve. Darüber hinaus lag am Stand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Infomaterial unter dem Motto "Friedensbildung statt Militärwerbung" aus, darunter auch Flyer der DFG-VK. Das Bündnis "Schule ohne Bundeswehr NRW", in dem unser DFG-VK-Landesverband mitarbeitete, hatte sich vorgenommen, als Gegenangebot zum von der Bundeswehr präsentierten Planspiel "Polis" das Lernspiel "Civil Powker" vorzustellen. Eine Präsentation am Stand der GEW musste leider aus technischen Gründen ausfallen. Stattdessen ergab sich die Möglichkeit, im Rahmen der GEW-Infoveranstaltung "Frieden will gelernt sein" das Spiel vorzustellen, was auch auf viel Interesse stieß. (Infos zum Spiel unter http://www.civilpowker.de/). Eine weitere GEW-Veranstaltung trug den Titel "Unter 18nie". Hier informierte der DFG-VK-Geschäftsführer Michael Schulze von Glaßer über die Rekrutierung Minderjähriger durch die Bundeswehr und stellte die neue Kampagne gegen diese Praxis vor, in der u.a. GEW und DFG-VK zusammenarbeiten: https://unter18nie.de/. Die Bundeswehr kämpft bei solchen Großveranstaltungen um die Herzen und Hirne von Multiplikator*innen, um später Zugang zu den Schulen zu erhalten - es lohnt sich also, dort präsent zu sein und dagegenzuhalten!

Joachim Schramm

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Mitte Februar beim schon seit Jahren bewährten Aktiventreffen der DFG-VK-Gruppen Niederrhein Krefeld, Neuss und Kleve vom Niederrhein hatten wir uns vorgenommen: Am Freitag, den 22. Februar, fahren wir zur Didacta nach Köln. Den Werbeauftritt der Bundeswehr dort wollten wir nicht unwidersprochen lassen. Mit schwer gefüllten Rucksäcken - Hunderte der bewährten Flyer "Kein Werben fürs Töten und Sterben" und der "War Games"-Broschüren über militärische Anlagen in unserer Region zerrten an unseren Schultern - kamen wir, Jo aus Krefeld, Heiner aus Neuss und ich aus Kleve, gegen 10 Uhr 30 Uhr am Deutzer Bahnhof in Köln an.

Vor dem Südeingang des Messegeländes hatten Freunde der Kölner DFG-VK-Gruppe schon einen Infostand aufgebaut. Gut sichtbar dabei: der ins Auge springende DFG-VK-Aktionsbus. Zunächst ging es uns um die Unterstützung des personell nur schwach besetzten Infostandes und darum, möglichst viele der massenhaft hineinströmenden MessebesucherInnen mit unseren Materialien zu erreichen. Wir streiften unsere DFG-VK-Aktions-T-Shirts - Motto: "Kein Werben fürs Töten und Sterben" - über und "ran ging es an die Massen".

Von den am Deutzer Bahnhof ankommenden Zügen strebten pausenlos Lehrkräfte diverser Schulformen, ReferendarInnen und LehramtsstudentInnen eiligen Schrittes auf den Messeeingang zu. Immer mit dem Ziel vor Augen, möglichst schnell an die in den Messehallen an unzähligen Ständen dargebotenen Objekte der Begierde zu gelangen: Lehrmittel und Unterrichtsmaterialien aller Art, gerne aus der neuesten digital-pädagogischen Zauberwelt. Da wurde unser Infostand vor dem Eingang so gut wie nicht beachtet und es war schwierig, den vorbeieilenden BesucherInnen in aller Kürze zu erklären, dass drinnen auch die Bundeswehr einen Werbestand habe, wir dagegen für eine Schule ohne Militär einträten und mit unserem dringend empfohlenem Flyer über die Hintergründe, die Risiken und Nebenwirkungen zum Rekrutenfang der Bundeswehr an Schulen und auf dieser Messe informieren würden. Schätzungsweise nur jedeR Zehnte nahm hier trotz persönlicher Ansprache beiläufig unseren Flyer und die Broschüre "War Games" entgegen.

Klein. Fein. Effizient. Gegen Mittag, nachdem der Infostand schon abgebaut war, beschlossen wir drei, mit unseren Materialien in den Rucksäcken und den Jacken über unsere nun nicht mehr sichtbaren DFG-VK-T-Shirts, den Bundeswehrstand in Messehalle 6 aufzusuchen. Wir hatten von Taschenkontrollen gehört. Würden wir durch die Eingangskontrolle kommen? Was wäre am Bundeswehrstand möglich? Würde uns die Messeleitung rausschmeißen lassen, wenn wir direkt am Bundeswehrstand in unseren T-Shirts unsere Materialien verteilen? Es war uns einen Versuch wert.

Es klappte, wir kamen durch die Gepäckkontrolle - Flyer und Broschüren waren für die Security uninteressant - und durchquerten das riesige Messegelände bis in die Halle 6. Dort am Ende, unübersehbar der schon durch seine Größe beeindruckende und mit edlen Materialien ausgestattete Werbestand der Bundeswehr. Hier waren weder Kosten noch Mühen gespart, um sich den pädagogischen MultiplikatorInnen als sicherheitspolitischer Problemlöser zu präsentieren mit faszinierender High Tech und dem Strategiespiel "Polis" als Bildungsangebot. Ein überdimensioniertes Banner - "Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst" - klärte uns schon von weitem auf, dass die Bundeswehr speziell für uns ihr Mordshandwerk verrichten würde, obwohl wir sie in keinster Weise darum gebeten hatten.

Unserer Jacken entledigt outeten wir uns mit unseren eindeutigen T-Shirts. Einige Uniformträger verfielen in eine Art hektischer Nervosität, und wir begannen, unser Material den vorbeikommenden MessebesucherInnen mit persönlicher Ansprache und Verweis auf die nicht zu übersehende Bundeswehrpräsenz darzubieten. Die Reaktionen übertrafen unsere kühnsten Erwartungen. Ganz im Gegensatz zu der Verteilaktion vor dem Messeeingang wurden hier unsere Materialien von den meisten BesucherInnen angenommen. Die Reaktionen reichten von einem abgeklärten "Schon richtig, dass ihr hier seid, man muss halt immer die beiden Seiten sehen" bis zu einem begeisterten "Dass die Bundeswehr hier ihr Unwesen treibt, war früher (in den 1980er Jahren) undenkbar. Toll, dass ihr hier seid. Das gibt mir Hoffnung".

Ein paar etwas ältere BesucherInnen zeigten ihre Freude, dass es uns, die DFG-VK, noch gibt und dass wir der Bundeswehrwerbung etwas entgegensetzen. Interessant auch die Reaktion einiger MessebesucherInnen auf das von uns angebotene Material: "Nein, von der Bundeswehr nehmen wir nichts!" Erst unter Verweis auf unsere T-Shirts funktionierte es dann wieder mit der zuvor wohl durch Reizüberflutung eingeschränkten Wahrnehmung: "Ach gegen die Bundeswehr, ja das ist gut."

Unsere Aktion wurde auch - entgegen unserer Befürchtung - nicht von der Messeleitung untersagt. Es wäre den MessebesucherInnen wohl auch schlecht zu vermitteln gewesen, wenn die Messeleitung uns in Absprache mit der Bundeswehr angesichts ihres Toleranz suggerierenden Werbegags hätte abräumen lassen.

So entspannen sich viele fruchtbare und auch längere Gespräche und Diskussionen mit BesucherInnen, in denen wir ausführlich auch Thematiken wie die Gefahren durch die militärischen Anlagen am Niederrhein, unsere Alternativen zu militärischer Gewalt und zur pädagogischen Verantwortung für eine Erziehung zum Frieden anschneiden konnten. Gegen 16 Uhr beendeten wir unsere Aktion, wir hatten schlichtweg keinen einzigen Flyer und keine Broschüre mehr.

Wir waren uns einig: Zu dritt und mit kleinem Aufwand - T-Shirts und unsere Materialien - war unsere Aktion unmittelbar vor dem Messestand der Bundeswehr höchst effektiv, und das Ganze hat - last but not least auch Spaß gemacht. Somit: Höchst empfehlenswert auch für künftige Didactas.

Wilfried Porwol ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Kleve.

Informationen zu Gegenaktionen:
https://keintagderbundeswehr.dfg-vk.de/ktdb-startseite

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Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 2 / 2019, S. 12 - 14
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
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E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: fünf Mal jährlich
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Einzelheft: 2,80 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2019

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