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MELDUNG/055: Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung in Aktion (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 1 / 2019
Magazin der DFG-VK

Missstände und Lichtblicke
Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung in Aktion

Von Guido Grünewald


Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (Ebco = European Bureau for Conscientious Objection) entstand 1979 auf Initiative von Hein van Wijk, Gerd Greune, Jean van Lierde und Sam Biesemans, um das Recht auf KDV vor allem in den europäischen Institutionen zu fördern und das Recht auf Asyl für verfolgte KDVer einzufordern. Ursprünglich eine Dachorganisation nationaler KDV-Organisationen, fungiert Ebco heute faktisch als ein Netzwerk engagierter Einzelpersonen, die allerdings zum größten Teil in nationalen Organisationen verankert sind.

Die Aktivitäten von Ebco sind selten spektakulär und bestehen hauptsächlich aus Lobbytätigkeit, Stellungnahmen für europäische und internationale Gremien sowie der Unterstützung einzelner Verweigerer in einem Asylverfahren oder beim Klageweg durch die Instanzen bis zum Europäischen Menschengerichtshof.

Ein wichtiger Beitrag ist der jährliche Bericht zur Lage der KDV in Europa. Der Jahresbericht 2018 ist auf der Ebco-Webseite www.ebco-beoc.org abrufbar. Ebco-Präsident Friedhelm Schneider von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) beklagt darin das Versagen der europäischen Institutionen wie Europarat und EU, die seit einigen Jahren jeden Einsatz zugunsten diskriminierter und verfolgter Verweigerer vermissen lassen. Anlässe gäbe es genug:

• Aserbaidschan hat das beim Beitritt zum Europarat 2001 gegebene Versprechen, ein europäischen Standards entsprechendes Zivildienstgesetz zu verabschieden, nicht verwirklicht.

• In der Türkei ist das Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs zugunsten von Osman Murat Ülke bis heute nicht umgesetzt. Gegen die stellvertretende Vorsitzende des Vereins der Kriegsdienstverweigerer (VR-DER) laufen staatsanwaltliche Untersuchungen wegen "Propaganda für eine terroristische Organisation" (Merve Arkun hatte am 15. Mai 2016 - internationaler Tag der KDV - eine Erklärung verlesen, in der zum Schutz des Tahir Elci Stadtwalds im kurdischen Diyarbakir gegen die in der Region durchgeführten Militäroperationen aufgerufen wurde); der Inhaber der Vereinswebseite wird beschuldigt, "provokative Meldungen verbreitet zu haben in der Absicht, die Erfüllung der Militärdienstpflicht zu verhindern".

• In der Ukraine sowie den selbsternannten Republiken Luhansk und Donezk werden Verweigerer und alle Kriegsgegner verfolgt.

• In Russland sind seit April 2017 die Zeugen Jehovas als "extremistische Organisation" verboten, deren Mitglieder bislang den Großteil der Absolventen des staatlichen Zivildienstes stellten.

• Griechenland hat die diskriminierende KDV-Gesetzgebung bisher nicht revidiert. Vor diesem Hintergrund ist es besonders enttäuschend, dass die EU-Grundrechteagentur Ebco gegenüber erklärt hat, sie sei für den Schutz des Rechts auf KDV nicht zuständig; hier besteht dringender Klärungsbedarf.

Ungeachtet dieser Missstände gibt es auch Lichtblicke und Erfolge:

• Der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte hat im Oktober 2018 eine Klage von Euromil, dem Dachverband militärischer Berufsverbände, gegen Irland für zulässig erklärt. Es geht darum, eine gesetzliche Bestimmung einzuführen, nach der Berufssoldaten die Armee verlassen können, wenn sie den Kriegsdienst verweigern.

• Das Europäische Jugendforum, eine Plattform der nationalen Jugendvertretungen und internationaler Jugendverbände in Europa mit offiziellem Status bei EU, Europarat und den Vereinten Nationen, hat auf Ebco-Initiative im November 2018 erstmals eine Resolution zum Recht auf KDV verabschiedet, in der die Mitgliedsorganisationen u.a. aufgefordert werden, das Recht auf KDV als ein Jugendrecht zu fördern.

• Auf UN-Ebene hat der UN-Menschenrechtskommissar in einem Bericht über Jugend- und Menschenrechte bedauert, dass "einige Staaten das Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen praktisch nicht anerkennen oder nur eingeschränkt umsetzen".

• In Umsetzung eines Beschlusses des Menschenrechtsrats arbeitet das Menschenrechtskommissariat aktuell an einem Bericht über verschiedene Herangehensweisen und Herausforderungen mit Blick auf ein menschenrechtskonformes Anerkennungsverfahren für KDVer.

Ein unerwarteter Erfolg zeichnet sich aktuell auf Nordzypern ab. In der von der Türkei besetzten und international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern liegt seit dem 7. Januar ein Gesetzentwurf zur KDV vor, über den das Parlament im Februar berät. Seit 2009 haben bisher vier Männer die verpflichtenden jährlichen Wehrübungen verweigert; die Klage von Ebco-Vorstandsmitglied Murat Kanatli gegen seine Gefängnisstrafe aus dem Jahr 2009 ist vor dem Europäischen Menschengerichtshof anhängig.

Am 3. Januar wurde der bekannte Dichter Halil Karapaşaoğlu vom Militärgericht in Nikosia wegen vier verweigerter Reserveübungen zu 2000 Türkischen Lira Geldstrafe (ca. 335 Euro) bzw. 20 Tage Gefängnis verurteilt. Der Prozess erregte in beiden Teilen Zypern großes Aufsehen; die Initiative für Kriegsdienstverweigerung in Zypern und Ebco-Beobachter Derek Brett fanden in den Medien ausführlich Gehör.

Halil Karapaşaoğlu trat am 15. Januar seine Haftstrafe an und wurde drei Tage später freigelassen. Das Berufungsgericht urteilte, mit dem Gesetzentwurf seien strafmildernde Umstände eingetreten und reduzierte die Strafe auf drei Tage.

Der Gesetzentwurf ist aus Sicht der zypriotischen Verweigerer durchaus akzeptabel. Positivpunkte sind u.a.: ein Zivildienst von gleicher Dauer; Recht auf KDV für alle Motivationen, Soldaten und Reservisten sowie auch im Kriegs- oder Ausnahmezustand; Aufhebung der bisherigen Verurteilungen. Problematisch sind vor allem das Anerkennungsverfahren und die Ausgestaltung des Zivildienstes.

Hier wollen die zypriotischen KDVer im Beratungsprozess noch Einfluss nehmen.


Guido Grünewald ist internationaler Sprecher der DFG-VK.

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Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 1 / 2019, S. 24 - 25
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2019

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