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STANDPUNKT/080: André Shephed - "Der Irakkrieg ist falsch und illegal ..." (Zivilcourage)


ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Der Irakkrieg ist falsch und illegal. Ich konnte dabei nicht länger mitmachen!"

Interview von Chefredakteur Stefan Philipp mit André Shepherd, der als erster US-Deserteur in Deutschland Asyl beantragt hat


André, wann bist du Soldat geworden?

Vor genau fünf Jahren: Am 27. Januar 2004 begann ich meine Grundausbildung bei der US-Army.

Warum hat Du Dich verpflichtet?

Mir ging es ziemlich schlecht, als ich von einem Rekrutierungswerber der Armee angesprochen wurde: Ich konnte mein Informatikstudium aus Geldmangel nicht fortsetzen, jobbte in einem Fast-Food-Restaurant, lebte und schlief in meinem Auto und hatte keine Perspektive. Ich wollte endlich wieder ein normales Leben führen, da passte das Angebot der Armee gut zu meinen Veränderungsplänen.

Hattest Du vorher Kontakt zum Militär oder überlegt, dorthin zu gehen?

Nein, Militär war in meinem Leben zuvor niemals ein Thema gewesen. Mein Bild davon stammte nur aus Filmen und Zeitschriften. Außerdem ist mir meine Freiheit sehr wichtig, dazu passte die Vorstellung, Dinge zu tun, die andere mir vorschreiben, nicht besonders gut. Andererseits war ich auch abenteuerlustig, wollte die Welt sehen, andere Kulturen kennenlernen und war auch nicht gegen Militär eingestellt. Es war die Zeit nach den Anschlägen des 11. September, und natürlich wollte auch ich wie die meisten Amerikaner, dass die Schuldigen bestraft und weitere Anschläge verhindert werden. Gegen Osama Bin Laden, Saddam Hussein, Kim Jong Il zu kämpfen und der Welt Freiheit und Wohlstand zu bringen, das erschien mir gut und richtig, und so glaubte ich dem Rekrutierungssoldaten. Ich hatte keinen Grund, an seinen Worten und denen meiner Regierung zu zweifeln. Und schließlich gab es das Angebot, mich zunächst einmal gewissermaßen probeweise für 15 Monate zu verpflichten und nicht gleich für acht Jahre.

Das stimmte aber nicht.

Von der "Stop Loss Order", mit der meine Verpflichtung durch die Armee einseitig verlängert werden konnte, oder davon, dass ich nach den 15 Monaten als Reservist sechseinhalb Jahre jederzeit wieder einberufen werden konnte, wusste ich nichts.

Wo wurdest du eingesetzt?

Nach der Grundausbildung kam ich zunächst nach Deutschland, dann wurden wir im September 2004 in den Irak verlegt. Ich arbeitete als Mechaniker bei der Wartung von Apache-Kampfhubschraubern.

Wann kamen dir Zweifel?

Ich traf unter meinen Kameraden keinen einzigen, der gewusst oder verstanden hätte, warum wir im Irak waren. Wenn ich morgens zur Arbeit in den Hubschrauber-Hangars ging und die Iraker anschaute, die in unserer Basis als Hilfsarbeiter Sandwälle gegen Angriffe errichteten, dann sahen die nicht aus wie Menschen, die sich darüber freuten, dass wir sie befreit hatten. Ein bisschen beruhigte mich, dass unsere Einheit Hilfsgüter an arme Familien verteilte oder Bücher für Schulen besorgte. Gleichzeitig fragte ich mich aber auch: Würde diese Hilfe überhaupt benötigt, wenn wir nicht einmarschiert wären?

Wie hast du den Krieg, den ihr führtet, erlebt?

Als Mechaniker habe ich von den Kämpfen nichts direkt mitbekommen.

Hattest du mit den Piloten gesprochen?

Das wollte ich. Weil sie aber der Geheimhaltungspflicht unterliegen, war es ihnen verboten, über ihre Aufgaben und das, was sie erleben, zu sprechen.

Wie lange warst du im Irak?

Ich kam nach einem halben Jahr im Februar 2005 zurück nach Deutschland. Hier hatte ich dann Zeit, mich näher mit dem Krieg und seinen Hintergründen zu beschäftigen, im Internet zu recherchieren. Dadurch wurde mir langsam klar, wie verlogen und falsch das war, was wir taten; dass der Irakkrieg bereits vor den Terroranschlägen des 11. September geplant worden war, dass der Irak nichts mit Osama bin Ladens Netzwerk zu tun gehabt hatte, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besaß, mit denen er die USA hätte angreifen können. Ich erfuhr auch, was die Apache-Kampfhubschrauber anrichteten, die ich tagsüber repariert hatte.

Wie ging es dir mit diesen Erkenntnissen?

Für mich brach nach und nach eine Welt zusammen. Ich hatte immer an die Ehre, Integrität und Gerechtigkeit des US-Militärs geglaubt. Nun erkannte ich, dass dieser Krieg in keiner Weise gerecht war. Ich hatte mich an diesem Unrecht beteiligt, indirekt Menschen verletzt und getötet, und fühlte mich schuldig.

Ist für dich nur dieser Krieg ungerecht?

Schwierige Frage! Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass Krieg immer und in jedem Fall nur das allerletzte Mittel sein darf und der Selbstverteidigung im Falle eines Angriffs dienen muss. Unser Krieg gegen den Irak war auf Lügen aufgebaut. Die USA sind vom Irak nicht angegriffen worden, sondern wir haben ihn ohne Rechtfertigung angegriffen.

Warum hast du damals, als dir das klar wurde, nicht versucht, die Armee zu verlassen?

Ich hatte darüber nachgedacht, und es hätte einmal vielleicht dazu auch die Gelegenheit gegeben. Mir ging es immer schlechter, ich wurde depressiv, trank viel Alkohol, kam zu spät zum Dienst, stritt mit meinen Vorgesetzten. Mitte 2005 erhielt ich eine Disziplinarstrafe und mir wurde die Dienstentlassung angedroht. Ich war hin- und hergerissen, wollte aber meine Familie nicht enttäuschen, die so stolz auf mich gewesen war. Sollte ich ihnen nun erklären, dass ich unehrenhaft aus der Armee entlassen worden war? Ich entschied mich, zu bleiben und durchzuhalten. Ich hoffte insgeheim, nicht wieder in den Irak zu müssen, sondern das reguläre Ende meiner Dienstzeit hier in Deutschland zu erleben.

Du hättest aber wieder in den Irak gehen sollen.

Ja, im Januar 2007 kam meine Einheit auf die Verlegungsliste, und am 1. April erfuhr ich, daß ich ab Sommer wieder dort sein würde. Ein zweites Mal wollte ich nach dem, was ich nun alles wusste und wie sich meine innere Einstellung gewandelt hatte, unter gar keinen Umständen zurück, um dort bei einem illegalen Krieg mitzumachen.

Warum hast Du keinen KDV-Antrag gestellt?

Das habe ich mir lange überlegt, konnte und wollte das dann aber nicht. In der US-Armee ist die Kriegsdienstverweigerung sehr schwierig und das Verfahren langwierig. Außerdem ist die Voraussetzung für eine positive Entscheidung, dass ich grundsätzlich gegen jeden Krieg sein müsste, nicht nur gegen den Irakkrieg. Das bin ich aber, wie schon gesagt, nicht. Der zweite wichtige Grund, warum ich mich schließlich gegen einen KDV-Antrag entschieden habe, war das, was ich über den Kriegsdienstverweigerer Agustìn Aguayo erfahren hatte. Der war trotz laufenden KDV-Verfahrens in den Irak geschickt worden und kam für acht Monate ins Gefängnis, weil er sich weigerte, eine Waffe zu tragen. Das konnte nicht mein Weg sein.

Du bist also desertiert?

Ja, die schwierigste Entscheidung meines Lebens. Aber die richtige. Am 11. April 2007 packte ich einige Habseligkeiten zusammen und verschwand nachts aus der Kaserne und insgesamt aus der US-Army.


*


Einer von mehr als 25.000 US-amerikanischen Deserteuren seit Beginn des Irakkrieges ist André Shepherd. Der 31-Jährige ist aber der erste, der in Deutschland Asyl beantragt hat - und bringt damit die Bundesrepublik in erhebliche Schwierigkeiten. Er hat die Armee verlassen, nachdem er im Irak beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA zunächst mitgemacht hatte; einem Krieg, bei dem Deutschland die Teilnahme offiziell verweigert hatte, womit der damalige Kanzler Schröder die entscheidenden Punkte für den SPD-Erfolg und seine Wiederwahl 2002 gesammelt hatte, André Shepherd müsste hier also problemlos Asyl erhalten können, zumal ihm in den USA theoretisch sogar die Todesstrafe droht.

Andererseits hat die Bundesrepublik den Krieg der von den USA geführten Koalition faktisch z.B. mit der Zurverfügungstellung von Infrastruktur oder der Gewährung von Überflugrechten unterstützt, vielleicht sogar erst möglich gemacht. Die damalige Oppositionsführerin und heutige Kanzlerin hätte Deutschland aus blinder Bündnistreue an der Seite der USA am liebsten mit in den Krieg geschickt.

Eine schwierige Gemengelage also für einen Menschen, der die richtige Konsequenz aus dem Verbrechen d(ies)es Krieges gezogen hat. Er ist auf unsere Solidarität und konkrete Unterstützung angewiesen; vielleicht für einige Jahre, denn sein Asylverfahren könnte sich bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung lange hinziehen.

Aus der DFG-VK halten Sonnhild und Ulli Thiel von der Karlsruher Gruppe (Alberichstraße 9, 76185 Karlsruhe, Telefon 072l-552270) eine enge Verbindung zu ihm. Finanziell kann er bei seinen Kosten für den Rechtsanwalt unterstützt werden durch Spenden auf das Konto von Connection e.V., Just Say No Fund. Kontonummer 7085704, Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 37020500).
Bei Connection e.V. ist auch die im Januar erschienene 20-seitige Broschüre "US-Deserteur André Shepherd braucht Asyl" zum Preis von 4 Euro erhältlich (www.connection-ev.de/z.php?ID=187: Gerberstraße 5, 63065 Offenbach: Telefon 069-82 37 55 35).


Für die ZivilCourage sprach Chefredakteur Stefan Philipp Ende Januar in Karlsruhe mit André Shepherd.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2009, S. 4-5
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/18 05 82 87, Telefax: 03212/10 28 255
E-Mail: zc@dfg-vk.de, Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2009