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STANDPUNKT/132: 70 Jahre Hiroshima und Nagasaki - Gedenken reicht nicht ... (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - August/September 2015
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

70 Jahre Hiroshima und Nagasaki
Gedenken reicht nicht - Atomwaffen abschaffen!
Die "nukleare Teilhabe" beenden und die US-Atomwaffen aus Deutschland "vertreiben"

Von Martin Otto


Breite Beteiligung an der Aktion zivilen Ungehorsams büchel65

Wie kann der gewaltfreie Widerstand gegen die Lagerung und Bereithaltung der Atombomben nahe dem Eifelörtchen Büchel gesteigert werden? Das fragten sich einige Aktive, nachdem vom 11. auf den 12. August 2013 alle neun Zufahrtstore des Bücheler Militärgeländes für 24 Stunden blockiert worden waren, und nachdem es ein Jahr später während eines einwöchigen Aktionscamps direkt am Fliegerhorst zu drei kleineren Sitzblockaden gekommen war.

Die Antwort auf diese Frage lautete: büchel65. Hinter diesem Namen steckte der Plan, nicht ein-, zwei- oder dreimal im Jahr mit Zivilem Ungehorsam "Sand im Getriebe" der nuklearen Teilhabe zu sein, sondern möglichst oft innerhalb eines Zeitraums von Ende März bis Ende Mai 2015. "Nukleare Teilhabe" wird in Büchel praktiziert, weil dort Atombomben der USA in einem Fliegerhorst der Bundeswehr stationiert sind, und weil dort deutsche Piloten mit deutschen Tornado-Kampfbombern üben, die amerikanischen Massenvernichtungswaffen im Ernstfall zu ihren Zielen zu fliegen.

Damit nicht immer wieder dieselben AktivistInnen sich der Kriegsmaschinerie widersetzen und juristische Verfolgung riskieren mussten, wurden viele verschiedene Gruppen eingeladen, für mindestens zwei Tage nach Büchel zu kommen. Jeweils ein Tag war für die Aktionsvorbereitung und der nächste Tag für das Blockieren vorgesehen. 35 Gruppen mit zusammen rund 400 Aktiven sind der Einladung gefolgt. An manchen Tagen waren mehrere Gruppen gemeinsam aktiv. Auch ein paar Leute, die in der Region rund um Büchel leben, haben sich erstmals an Zivilem Ungehorsam beteiligt.

Beginn am Jahrestag der Bundestagsentscheidung

Für den Auftakt wurde der 26. März gewählt. An diesem Tag war es genau fünf Jahre her, dass der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit die Bundesregierung dazu aufgefordert hatte, sich bei der Nato und direkt bei den USA für den Abzug der letzten noch auf deutschem Boden verbliebenen Atomwaffen, nämlich denen in Büchel, einzusetzen. Zudem stand im April und Mai bei den Vereinten Nationen wieder eine der vierwöchigen, alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen zum Atomwaffensperrvertrag an, und daher sollte in dieser Zeit ein Zeichen des Widerstands an die UN-Delegierten nach New York gesandt werden. An der Auftaktblockade, die an einem Donnerstagmorgen um 5 Uhr 30 begann, nahmen rund 25 AktivistInnen teil, begleitet von ReporterInnen von Deutschlandradio Kultur, Sat-1-Fernsehen, dem Evangelischen Pressdienst sowie von regionalen Radio- und Pressemedien. Vier Tore wurden besetzt. Nach einer Stunde räumte die Polizei eine von zwei Fahrspuren vor dem Haupttor frei, erteilte Platzverweise, kündigte Anzeigen wegen Nötigung an und nahm zwei Leute in Gewahrsam.

Ähnliches spielte sich in den folgenden Wochen immer wieder ab, als Aktionsgruppen beispielsweise aus Trier, Mainz, Mannheim, Saarbrücken, Köln, Stuttgart, Mutlangen, Nottuln, Bremen, Hamburg, Kiel, Berlin, Rostock, aus dem Wendland und aus Frankreich anreisten. Es gab Geburtstags-, Gottesdienst-, Betriebsausflugs-, Konzert-, Jugendnetzwerks-, Familien- und Lesungsblockaden. Selbst kleinen Gruppen, die nur vor dem Haupttor agierten, gelang es gelegentlich, den Militärbetrieb so zu stören, dass die Polizei sich zum Räumen veranlasst sah. Andererseits blieben größere Gruppen, die sich an Wochenenden einfanden, oft unbehelligt, obwohl sie mehrere Tore besetzen konnten.

Manche BlockiererInnen haben Handzettel an die PolizistInnen verteilt mit dem Hinweis auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. März 2011: Der besagt, dass der Schutz der Versammlungsfreiheit nicht auf Veranstaltungen beschränkt werden kann, auf denen argumentiert und gestritten wird (z.B. Demonstrationen und Mahnwachen). Vielmehr umfasst dieser Schutz auch "vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden". Nur wenn von ihnen eine "kollektive Unfriedlichkeit" ausgeht, stehen Sitzblockaden nicht mehr unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit.

Aber Behinderungen Dritter, selbst wenn sie gewollt sind (!), rechtfertigen nicht die Einschätzung, die Versammlung sei nicht mehr friedlich, sagt das Verfassungsgericht (Aktenzeichen: 1 BvR 388/05).

"Nukleare Teilhabe" verstößt gegen das Völkerrecht

Ein Merkmal solcher Versammlungen ist es, dass mehrere Personen an einem Ort zusammenkommen, um öffentlich einen Beitrag zur gesellschaftlichen Meinungsbildung zu leisten. Welcher Beitrag durch die Sitzblockaden-Versammlungen vor dem Fliegerhorst geleistet wurde, stand auch auf dem erwähnten Handzettel: Mit der Zustimmung zur Atombomben-Stationierung und zur nuklearen Teilhabe verstößt die Bundesregierung gegen Völkerrecht und Verfassung.

Deutschland hat durch den Atomwaffensperrvertrag auf jegliche Verfügungsgewalt über Atomwaffen verzichtet. Im Einsatzfall werden jedoch deutsche Piloten des Bücheler Luftwaffengeschwaders eine mittelbare Verfügungsgewalt über die Bomben erhalten.

Derselbe Vertrag verpflichtet die Staaten, die Atomwaffen besitzen, dazu, diese vollständig abzurüsten. Die Tatsache, dass die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten sich nicht daran halten, ändert nichts an der Rechtsverbindlichkeit. Diese hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in einem Gutachten aus dem Jahr 1996 noch einmal bekräftigt - gegen den Willen der Atomwaffenstaaten.

Auch in dem einzigen Fall, den der IGH offen ließ, wenn nämlich die Existenz eines Staates gefährdet ist, gilt das sogenannte "humanitäre Kriegsvölkerrecht". Das verbietet den Einsatz von Waffen, die nicht unterscheiden zwischen SoldatInnen und Zivilpersonen, von Waffen, deren Zerstörungskraft nicht an Staatsgrenzen Halt macht, und von Waffen, die "unnötige" Qualen verursachen.

Es gibt also kein Recht darauf, Atomwaffen einzusetzen oder mit ihrem Einsatz zu drohen. Der Einsatz der in Büchel bereit gehaltenen Bomben mit Hilfe deutscher Tornados wäre nach dem Völkerstrafgesetzbuch sogar kriminell, wie Richter a.D. Bernd Hahnfeld in seiner Rede beim Bücheler Ostermarsch 2014 deutlich gemacht hat.

Wenn gewaltfreie Blockaden des Militärflugplatzes bei Büchel gerechtfertigt sind: Waren dann die Aktionen von büchel65 gar kein Ziviler Ungehorsam? Leider doch. Denn die OrdnungshüterInnen nahmen die auf dem Handzettel geschilderten Argumente zwar zur Kenntnis - und kamen hoffentlich auch "ins Grübeln" - aber sie setzten ihre Räumungen, Platzverweise und Personalienfeststellungen trotzdem fort. Darauf zu hoffen, dass sie dies nicht tun würden, wäre naiv gewesen. Jedoch ist es nicht naiv anzunehmen, dass Aktive, gegen die Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Nötigung oder wegen Veranstaltens nicht angemeldeter Versammlungen geführt werden und die möglicherweise demnächst vor Gericht erscheinen sollen, dort straffrei ausgehen werden, wenn sie noch einmal auf die Inhalte des Handzettels verweisen.

"Zahnbürstenblockade"

Die Abschlussblockade am 29. Mai setzte noch einmal ein besonderes Zeichen. Sie wurde auch "Zahnbürstenblockade" genannt. Knapp 40 der AktionsteilnehmerInnen machten mit dem demonstrativen Mitführen ihrer Zahnbürsten deutlich: Wenn wir auch am letzten Tag wieder geräumt werden und Platzverweise erhalten, werden wir diese ignorieren und uns so lange wieder dem Fahrzeugverkehr in den Weg setzen, bis wir in Gewahrsam genommen werden. Der Gewahrsam kann bis zum folgenden Tag dauern (wie es bei einer Aktion in Büchel im Jahr 2008 schon einmal praktiziert wurde) und den in Gewahrsam Genommenen kann so ziemlich alles abgenommen werden - nicht aber ihre Zahnbürsten. (Der Autor dieses Artikels ließ sich dummerweise auch noch seine Zahnbürste abnehmen, was sich dann aber als "nicht tragisch" herausstellte, weil die Ingewahrsamnahmen "schon" nach rund sechs Stunden beendet werden sollten.)

22 beharrliche BlockiererInnen "schafften" es an diesem Tag in den Gefangenenbus, den Justiz und Polizei im Nachbarort, den Justiz und Polizei im Nachbarort Alflen als Gefangenensammelstelle aufgefahren hatten. Unter den 22 waren auch eine bekannte Schauspielerin, die schon in den 1980er Jahren bei den Sitzblockaden in Mutlangen festgenommen worden war, und eine Bundestagsabgeordnete. Eingepfercht in enge Einer-, Zweier- und Viererzellen im Bus, für ca. 6 Stunden ohne Essen und Trinken, sangen wir das Lied vom kleinen Johnny aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Der kleine Johnny demonstrierte seinerzeit mit anderen Kindern in den Straßen seiner Stadt gegen die Rassendiskriminierung, nachdem er sich von Martin Luther King hatte sagen lassen: "Hast du deine Zahnbürste dabei? / du wirst sie noch gebrauchen / man sperrt heut viele Menschen ein / die gegen Unrecht sind."

Die "Zahnbürstenblockade" stellte also das Ende von büchel65 dar - es sei denn, dass es noch ein "Nachspiel vor Gericht" geben wird, oder auch in "richtigen" Gefängnissen. (Wegen gewaltfreier Aktionen aus Protest gegen die Bomben von Büchel hat es in der Vergangenheit bereits zehn Inhaftierungen in Justizvollzugsanstalten gegeben, die zwischen vier Tagen und sechs Wochen dauerten.) Ob die diesmal angekündigten Strafanzeigen aber tatsächlich wieder zu Prozessen führen werden, ist derzeit noch ungewiss. Bisher sind anscheinend lediglich zwei Bescheide wegen Polizeieinsatzkosten eingegangen, gegen die die Betroffenen Widerspruch eingelegt haben.

büchel65 hat den Militärbetrieb gestört, aber - wie zu erwarten war - nicht "entscheidend" behindert. Der Kommodore des Luftwaffengeschwaders sagte in einem Zeitungsinterview in der Rhein-Zeitung vom 5. Juni, es sei "schon ein bisschen Unruhe in den normalen Tagesablauf" reingebracht worden, jedoch habe man "nicht einen geplanten Flug ausfallen lassen müssen". Einen geplanten Flug zu verhindern, war auch zwei Jahre zuvor nicht möglich gewesen, als gleichzeitig Hunderte von Menschen alle Zufahrtstore gleichzeitig für 24 Stunden blockiert hatten. Das Taktische Luftwaffengeschwader 33 in Büchel ist übrigens nach der Bundeswehr-Reform der einzig verbliebene Luftangriffsverband innerhalb der Luftwaffe. Und eine Flugstunde mit einem Tornado-Bomber kostet rund 45.000 Euro.

Nach der Auftaktblockade hat die überregionale Medienresonanz leider stark abgenommen. Die erwähnte Atomwaffen-Konferenz der Uno konnte nicht positiv beeinflusst werden. Eine Aktive der deutschen Kampagne "atomwaffenfrei. jetzt" war als Beobachterin der Konferenz in New York dabei und gab Informationen über büchel65 weiter, zeigte sich aber enttäuscht, dass dies nicht aufgegriffen wurde. Die Konferenz selbst ging wenig beachtet von der Öffentlichkeit über die Bühne und ist kläglich gescheitert. Der Verpflichtung zur vollständigen Abrüstung ihrer Nukleararsenale wollen die Atomwaffenstaaten nach wie vor nicht nachkommen, im Gegenteil: Sie alle sind entschlossen, enorme Geldsummen auszugeben, um ihre Massenvernichtungswaffen künftig noch "effektiver" zu machen. Das betrifft auch die US-Atombomben in Büchel. Zwar ist die Anzahl der Atomwaffen weltweit seit dem Ende des Kalten Kriegs deutlich gesunken, trotzdem ist die Gefahr eines Atomkriegs gegenwärtig so groß wie seit den 1980er Jahren nicht mehr.

Trotz alledem hat die Kampagne "atomwaffenfrei.jetzt" auf ihrer Tagung Anfang Juni in Köln ein positives Fazit von büchel65 gezogen. (Laut Mobilisierungs-Flyer war büchel65 in die Kampagne "eingebettet".) Besonders die Einbindung vieler verschiedener Gruppen in Verbindung mit der logistisch wichtigen koordinierenden Tätigkeit von Dauerpräsenz-Aktiven wurde hervorgehoben, ebenso die Pressearbeit und das gewaltfreie Verhalten aller AktivistInnen - auch in kritischen Situationen.

Ein Anstoß für weitere Aktionen des Zivilen Ungehorsams in Büchel konnte gegeben werden. Beispielsweise soll es demnächst ein Treffen derjenigen geben, die in der Region wohnen und sich an büchel65 beteiligt haben.

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Aktionsrahmen

Unter Zivilem Ungehorsam verstehen wir gewaltfreie Aktionen, bei denen wir uns nicht auf staatlich erlaubte Handlungen beschränken, sondern in besonnener Art und Weise bestimmte Verbote übertreten. Hierbei wird eine juristische Verfolgung wegen des Vorwurfs, eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat begangen zu haben, riskiert oder sogar mit voller Absicht provoziert. Damit wird der Ernsthaftigkeit unseres Protests gegen skandalöse Zustände besonderer Nachdruck verliehen.

Wir werden dabei keine körperliche Gewalt gegen Personen anwenden oder androhen und auch niemanden beschimpfen, verhöhnen oder abwerten, sondern unser Gegenüber (Polizist_innen, Soldat_innen, Gegner_innen unserer Aktionen) als Menschen achten, auch wenn wir ihr Handeln und ihre Rolle kritisieren. Dies gilt auch für den Fall, daß es zu juristischen Verfahren in Folge unserer Aktionen kommen sollte: Wir wollen mit Staatsanwält_innen, Richter_innen etc. auch dann respektvoll umgehen, wenn wir sie als Repräsentant_innen eines von uns kritisierten politischen und juristischen Systems nicht akzeptieren können.

Gewaltfreies Verhalten ist eine glaubwürdige Einladung an unser Gegenüber, von seinen Möglichkeiten, Gewalt anzuwenden, keinen Gebrauch zu machen, sondern unser Anliegen wohlwollend zu betrachten. Gewaltfreies Verhalten unsererseits ist aber keine Garantie dafür, dass wir selbst keine Gewalt erleiden müssen. Wir wollen auch dann, wenn wir provoziert werden, keine Gegengewalt anwenden, sondern ruhig und besonnen bleiben.

Wir werden gewaltfrei die Zufahrt zum Atomwaffenstandort Büchel blockieren.


Martin Otto ist DFG-VK-Mitglied und aktiv in dem büchel65-Orgateam. Weitere Informationen im Internet unter
www.buechel-atomwaffenfrei.de/buechel65/aktuell/

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - August/September 2015, S. 6-9
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2015

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