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STANDPUNKT/148: "Links" und "rechts" und die DFG-VK (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai/Juni 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Links" und "rechts" und die DFG-VK
Ein Aufruf zur Diskussion und für mehr Klarheit

Von Cornelia Mannewitz


Im Zusammenhang mit dem "Friedenswinter" und den "Mahnwachen für den Frieden" im letzten und vorletzten Jahr entstand teilweise Verwirrung über die politische Positionierung und Strategie der Friedensbewegung. Die Einschätzungen sind unterschiedlich - auch in der DFG-VK. Grund genug, die Debatte unaufgeregt, aber argumentativ gut begründet weiterzuführen.


Das "Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus" schreibt über den Ursprung der Begriffe links und rechts:

"Die Redeweise l/r kommt in der Französischen Revolution zur Welt. Wie Christus 'zur Rechten Gottes' sitzt und regiert, so bestanden die Monarchisten darauf, zur Rechten des Königs zu sitzen. Links mussten die Gegner des Königs Platz nehmen. In der Nationalversammlung, in der sich die bürgerlich-liberalen Gegner und konstitutionalistischen Kritiker der Monarchie auf der linken Parlamentsseite wiederfanden, die Royalisten auf der rechten, setzte sich diese Sitzordnung fort (...)."

"Links meint" (...) zunächst Liberalismus und Aufklärung als Ausdruck des wachsenden Selbstbewusstseins des aufstrebenden Bürgertums (...). (...) Die Forderung nach einem gesetzgebenden Parlament als institutionellem Ausdruck der Gewaltenteilung macht Gleichheit zur wichtigsten Maxime des Bürgertums."

"Die aus dem Naturrecht abgeleitete Forderung nach Gleichheit bzw. Gleichstellung im politischen Raum lässt sich auf alle anderen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens (z.B. Arbeitsplatz, Einkommen, Vermögen), d.h. die sozialen Grundlagen der Demokratie, ausdehnen."

[Haug, W.; Haug, F.; Jehle, P.; Küttler, W. (Hrsg): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 8/II: Links/rechts bis Maschinenstürmer. Hamburg, 2015, Sp. 1154-1155]

Allerdings: Links und rechts sind politische Grundkonzepte. Mit ihnen bewertet man gesellschaftliche Verhältnisse. Meinem Eindruck nach wird in der Alltagswahrnehmung von links und rechts Folgendes gern verwechselt:

• linkes und rechtes Denken;
• Menschen, Parteien, Bewegungen ..., die "links" oder "rechts" im Namen tragen;
• linke und rechte Politik.

Bei allen diesen dreien müsste links mit links und rechts mit rechts eigentlich deckungsgleich sein, ist es aber in der Realität oft nicht: Die Gedanken sind frei, Politik richtet sich leider auch nach den Umständen und Name ist nun ja: Schall und Rauch. Diskrepanzen werden unter politisch Interessierten und Gebildeten oft diskutiert ("ist das noch linke Politik" o.ä.). Über den Kreis der politisch Interessierten und Gebildeten hinaus führen sie oft zu Verwirrung und münden gern in Unwilligkeit, sich überhaupt noch mit Politik zu beschäftigen ("Hat ja keinen Sinn, die machen ja doch, was sie wollen").

Die Tatsache, dass diskutiert wird, bedeutet aber auch: Es gibt durchaus noch klare Vorstellungen von links und rechts.

Unklarheiten über links und rechts beim Blick auf die Geschichte

Immer wieder hat es taktische Verwendungen der Wörter "links" und "rechts" gegeben; sogar parteienintern, um Flügelkämpfe zu begründen. Auch in der Praxis der Linken des 20. Jahrhunderts gab es Verwirrungen: Die Sozialdemokratie ging bei der Abstimmung über die Kriegskredite mit dem bürgerlichen Lager zusammen. Die KPD kooperierte beim BVG-Streik im November 1932 aus wahltaktischen Erwägungen zeitweise mit den Nazis [Langer, B.: Antifaschistische Aktion: Geschichte einer linksradikalen Bewegung. Münster: Unrast Verlag, 2014, S. 82-85]. Ältere Ost-Linke tragen heute manchmal einen sehr platten Antiamerikanismus mit sich herum - es fällt ihnen schwer, von dem in der Zeit der Ost-West-Konfrontation erworbenen Zweckpatriotismus abzulassen und anzuerkennen, dass die USA nicht mehr der Erzfeind sind, sondern dass man jetzt selbst in einem kapitalistischen Land lebt, das mindestens dieselben wirtschaftlichen und strategischen Ambitionen hat wie das kapitalistische Musterland.

Unklarheiten über links und rechts unter den Bedingungen des gegenwärtigen Rechtsrucks

Rechtes Gedankengut wechselt seit Jahren offen in die "Mitte der Gesellschaft" über. Der Rechtsradikalismus hat sich intellektualisiert. Als komplementäre Bewegungen von unten sind Pegida und AfD entstanden. Die deutsche Rechte holt hier etwas nach, was in den Nachbarstaaten schon seit Jahren gang und gäbe und zum Teil bereits an der Macht ist. Deshalb ist Wachsamkeit geboten. Die Rechtstendenzen sind keine kurzfristigen Verirrungen.

Wo liegen die Probleme der Friedensbewegung dabei?

Was ich beobachte (andere Interpretationen oder Gegenbeispiele willkommen!):

Einige haben etwas gegen Linke: Vielleicht, weil sie manche Parteien als zu dogmatisch empfinden. Vielleicht, weil sie mit einzelnen Personen schlechte Erfahrungen gemacht haben. Der Bewegungscharakter der Friedensbewegung und die geringe Zahl der wirklich Aktiven spielen dieser Haltung in die Hände.

Viele haben etwas gegen Rechte, erkennen sie in ihren modernen Gewändern aber nicht. Mit Neuen Rechten, Reichsbürgern, Identitäten und anderen wissen nicht viele etwas anzufangen. Esoterik wird belächelt, aber nicht immer als rechts erkannt. (Dabei stand in der Frühzeit mancher sogenannter Mahnwachen für den Frieden ein Publikum auf dem Platz, angesichts dessen man erschrecken konnte, so klar wurde auf einmal das Bewusstsein von einer Subkultur, die schon lange existiert haben musste, bevor sie jetzt an die Oberfläche getreten war.)

Es wird einzelnen Wörtern geglaubt: Wer "Frieden" sagt, wird nur zu bereitwillig als Teil der Friedensbewegung angesehen. Manche wissen über unterschiedliche Freiheits- und Demokratiebegriffe Bescheid, berücksichtigen aber nicht, dass diese ebenso wie "Kapitalismus" und "USA" auch zum politischen Vokabular der Rechten gehören [siehe Gießelmann, Bente; Heun, Robin; Kerst, Benjamin; Suermann, Lenard; Virchow, Fabian (Hrsg): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag, 2016]. Auch Ersatzhandlungen mittels Wörtern sind durchaus akzeptiert: Eine verbale Distanzierung ist wohlfeil, für manche aber ausreichend. Im Selbstverständnis der Friedensbewegung, allgemeinmenschliche Interessen zu vertreten, irgendwie für alle sprechen und alle gewinnen zu wollen, ist Gespür für politische Besonderheiten auch nicht gerade gut aufgehoben.

Die geschmeidige Verbindung nach rechts liefern die Populisten. Sie reden den Unzufriedenen nach dem Mund und versuchen, sie auf ihre Seite zu ziehen. Viele Friedensbewegte vertrauen Einzelnen in der Friedensbewegung etablierten Autoritäten. Wenn diese mit rechten Populisten Zusammengehen, gehen ganze Bündnisse mit. Jahrzehntelange Freundschaften unter den Aktiven mögen zu einer unkritischen Wahrnehmung der Entwicklung Einzelner beitragen.

Einige wollen zurück zu den Großdemonstrationen ihrer Jahrzehnte zurückliegenden Jugend. Sie verkennen dabei, dass das Bedrohungsgefühl zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses in der breiten Bevölkerung ein anderes war, die Politisierung der Bevölkerung eine andere war und Rechte noch sehr gut zu erkennen waren. Sie sehen nicht deutlich genug, dass sich Inhalt und Methode friedenspolitischer Arbeit wandeln müssen. Was den Inhalt betrifft: Der bevorstehende Überfall auf den Irak war vermutlich das letzte Mal, dass jedem klar war: Da soll Krieg gemacht werden. Inzwischen hat sich der Kriegsbegriff aufgelöst in "humanitäre Interventionen", "friedenserzwingende Maßnahmen", Drohneneinsätze. Das muss besser reflektiert werden. Was die Methode betrifft: Die Zeit der Massenmobilisierungen ist offenbar vorbei. Die Vereinzelung der Menschen ist unter den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen weiter fortgeschritten. Der Drang, sich Organisationen anzuschließen, noch dazu generationenübergreifend, ist wenig verbreitet. Das heißt nicht, dass die politisch Interessierten nicht arbeiten. Sie arbeiten zum Teil sehr anspruchsvoll theoretisch und vereinigen sich zu einzelnen Aktionen. Eine gewisse Wahllosigkeit in Bezug auf Mittel und Partner zur Erreichung ihrer Ziele, die in der Friedensbewegung schon oft zu beobachten war, wird von ihnen mit Argwohn betrachtet, vermutlich mit dem Bild der Friedensbewegung der 1970-er und 1980-er Jahre vor Augen. Man versteht allmählich, warum "Friedensbewegung" in manchen Kreisen geradezu ein Schimpfwort ist.

Einige wollen auch einfach nur ihr Ego streicheln.

Wem nützt es, wenn man links und rechts als nicht mehr existent erklärt?

Denen, die das Ende der Geschichte ausgerufen haben: Seit dem Ende der sozialistischen Staaten in Europa gibt es angeblich keine wirklichen gesellschaftlichen Gegensätze mehr; links und rechts gehören damit angeblich ebenso in die Mottenkiste; "Ideologie" ist nur noch negativ konnotiert; mit Worthülsen wie "Freiheit" und "Demokratie" werden militärische Interventionen begründet; faschistische Tendenzen in der Gesellschaft werden nicht analysiert, sondern im Star-Wars-Stil mit der "Definition" "Dunkeldeutschland" belegt; und wer darüber hinaus noch etwas braucht, soll sich gefälligst den Regulierungskräften des Marktes ausliefern.

Denen, die etwas gegen Linke haben: Links steht unter Generalverdacht. Im Osten entsteht nichts originär Linkes mehr neu. Als Ost-Mensch schaut man neidisch auf die selbstverständliche linke Vergangenheit von West-Intellektuellen, auf die analytische Tiefe linken Denkens, das man sich selbst erarbeitet hatte, auf die gewachsenen Strukturen alternativen Lebens. Alles das hat nicht mehr die Chance, sozusagen zu einem gesamtdeutschen Erbe zu werden. Wer würde in Deutschland heute zum Beispiel noch einen Film über Che Guevara machen? Anderswo ist das unlängst noch geschehen.

Denen, die eine der letzten sozialen Bewegungen mit Breitenwirkungspotenzial kaputtmachen wollen. Dann stört sie keiner mehr.

Soll die Friedensbewegung also keine Meinung zu Links und Rechts haben?

Politikwissenschaftler bin ich übrigens nicht. Diese sind aber herzlich gebeten, mein "Wildern in ihren Jagdgründen" zu bewerten. Wir haben ja auch welche unter uns. Ebenso, wie jeder zur Diskussion aufgerufen ist. Klarheit brauchen wir alle!


Cornelia Mannewitz ist DFG-VK-Bundessprecherin.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai/Juni 2016, S. 34 - 35
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
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Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2016

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