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STANDPUNKT/198: Verfassung, Militär und Krieg (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 3 / 2019
Magazin der DFG-VK

Verfassung, Militär und Krieg
70 Jahre Grundgesetz: Friedensgedanke ausgehebelt und kriegstauglich gemacht

Von Thomas Rödl


Was hat Deutschland aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt? Wir sollen dem Frieden in der Welt dienen, wir werden nie wieder Angriffskriege unternehmen, so will es das Grundgesetz der BRD! Das hat man uns oft genug erzählt!

Die Artikel 24 bis 26 Grundgesetz sollten verhindern, dass Deutschland wieder Angriffskriege führt und dass es sich in das System der Vereinten Nationen einordnen kann. Das kann wohl als der Wille der "Väter des Grundgesetzes" betrachtet werden.

Denn in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg war "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" die vorherrschende Stimmung in der Bevölkerung nach der Katastrophe der Niederlage.

Gleichzeitig waren aber die Wähler, Parteimitglieder und Helfer der Nazis, die Eliten, die Hitler unterstützt und finanziert hatten, natürlich noch am Leben. Sie waren in der Wirtschaft, im Staat, in den Ministerien, in den nationalen und konservativen Parteien bald wieder in Amt und Würden, und sie stellten die Weichen auf Remilitarisierung. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht, der Beitritt zur Nato, die Aufstellung der Bundeswehr, ihre Ausrüstung mit Atomwaffen, die Verabschiedung der Notstandsgesetze - all die Maßnahmen die (West-)Deutschland zur Militärmacht und wieder kriegstauglich machen sollten, waren politisch umstritten. Immer gab es politischen Widerstand durch die politische Linke, nicht zuletzt auch durch die Internationale der Kriegsdienstgegner und andere PazifistInnen.

Für die national-konservative Elite in Deutschland, repräsentiert durch Adenauer und die Unionsparteien (und andere nationale Parteien damals) war die Wiederaufrüstung - unter dem Vorwand der Notwendigkeit der Verteidigung - der erste Schritt zurück zur deutschen Souveränität. Ein souveräner Staat nach konservativer Lesart ist ein solcher, der Militär zur Durchsetzung seiner Interessen nutzt. Diese Denkweise hat überlebt, trotz aller sozialer und politischer Veränderungen in der Zwischenzeit.

Die Wehrverfassung. Der Artikel 87a des Grundgesetzes beschränkt den Einsatz der Streitkräfte auf die Landesverteidigung (und die Bekämpfung bewaffneter Aufständischer).

Doch die Weichen für die Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland wurden früh und unbemerkt gestellt. Schon in den 1980er Jahren gab es "harmlose" Einsätze im Rahmen von Missionen der Vereinten Nationen. In den "verteidigungspolitischen Richtlinien" formuliert das Verteidigungsministerium seit 1992, Aufgabe der Bundeswehr sei, den Zugang zu Rohstoffen und die Freiheit der Handelswege zu sichern. Niemand hat zwischenzeitlich dargelegt, wie das funktionieren soll. Denn dann müssten die Planungsstäbe das Szenario eines Interventionskrieges z.B. zur Beschlagnahme von Ölquellen beschreiben. Diese "Richtlinien" sind kein Gesetz, das Verteidigungsministerium beschreibt seine Aufgaben selbst, der Bundestag nimmt das zustimmend zur Kenntnis.

1999 wurde die Bundeswehr zur Zerschlagung Rest-Jugoslawiens eingesetzt, in einem Krieg ohne Mandat der Vereinten Nationen. Der Vorwand, dies sei eine humanitäre Intervention, zur Verhinderung von Völkermord, wurde bald als Lüge entlarvt. Seither war und ist die Bundeswehr in Dutzenden von Auslandseinsätzen, ohne dass das Grundgesetz geändert worden wäre. Die Bundeswehr kann eingesetzt werden, wann immer eine Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages das für zweckmäßig hält und wenn der Einsatz irgendwie kollektiv und humanitär begründet ist. Schon die seit den 1990er Jahren stattfindende Umrüstung der Bundeswehr zur Interventionsarmee, der Aufbau von Führungsstrukturen, der Aufbau der logistischen Kapazitäten und die Beschaffung der vielen Angriffswaffensysteme muss als Vorbereitung von künftigen Angriffskriegen betrachtet werden.

Eine Dozentin der Bundeswehr-Führungsakademie, Sabine Jaberg, schrieb 2012: "Streitkräfte dienen wieder als Mittel der Politik", als "Instrument blanker Interessenpolitik". Damit ist genau das eingetreten, was die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten verhindern wollen!

Verstoß gegen Art. 26 Abs. 1 GG.
Der Krieg gegen Jugoslawien von 1999 war in vieler Hinsicht ein Wendepunkt. Zum ersten Mal haben viele Menschen aus der Friedensbewegung die Bundesregierung - namentlich Kanzler Schröder und Außenminister Fischer - angezeigt wegen der Führung eines Angriffskrieges unter Bezug auf Art. 26. Der § 80 des Strafgesetzbuches, 1969 (!) eingefügt, kriminalisiert aber nur einen solchen Krieg, bei dem das Territorium der BRD betroffen ist! "Wer einen Angriffskrieg an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft."

Art. 26 GG meint natürlich jeden Angriffskrieg, im Hinblick auf die Eroberungskriege der deutschen Wehrmacht!

Der Generalbundesanwalt hat damals mitgeteilt, Kanzler Schröder habe vor dem Bundestag erklärt, es handele sich bei den Bombardements um eine humanitäre Intervention, sei also nicht als Angriffskrieg im Sinne von Art. 26 GG zu betrachten.

Der § 80 StGB wurde 2016 ersetzt durch das "Verbrechen der Aggression" im 2002 in Kraft getretene Völkerstrafgesetzbuch (VStGB).

Anfang Texteinschub
§ 13 Völkerstrafgesetzbuch

(1) Wer einen Angriffskrieg führt oder eine sonstige Angriffshandlung begeht, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Wer einen Angriffskrieg oder eine sonstige Angriffshandlung im Sinne des Absatzes 1 plant, vorbereitet oder einleitet, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. Die Tat nach Satz 1 ist nur dann strafbar, wenn
1. der Angriffskrieg geführt oder die sonstige Angriffshandlung begangen worden ist oder
2. durch sie die Gefahr eines Angriffskrieges oder einer sonstigen Angriffshandlung für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt wird. (...)
Ende Texteinschub

Hier erfolgt also eine absurde Einschränkung, wenn die Aggression bereits begangen worden ist und wenn dadurch die Gefahr eines Angriffes auf die BRD herbeigeführt wird. Art. 26 GG sagt: Vorbereitung eines Angriffskrieges! Eine weitere Einschränkung ist die "offenkundige Verletzung".

In der Gesetzes-Begründung ist zu lesen, eine humanitäre Intervention oder eine präventive Selbstverteidigung sei nicht als offenkundige Verletzung zu betrachten.

Anfang Texteinschub
Artikel 24 Grundgesetz

(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. (...)
(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
(3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten.

Artikel 25 Grundgesetz
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. (...)

Artikel 26 Grundgesetz
(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
(2) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. (...)

Artikel 87a Grundgesetz
(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. (...)
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt. (...)
(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr (...) kann die Bundesregierung (...) Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.
Ende Texteinschub

Artikel 24 Grundgesetz ermöglicht die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen und die Einordnung in ein System kollektiver Sicherheit und in internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Damit sollte die Eingliederung Deutschlands in das System der 1945 gegründeten Vereinten Nationen (übrigens auch ein Erfolg der pazifistischen Idee!) ermöglicht werden.

Nach den Nato-Angriffen auf zivile Ziele in Jugoslawien hat die Regierung der Republik Jugoslawien die BRD auf Schadenersatz verklagt. Dann hat sich herausgestellt, dass sich die BRD bis dahin der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag nicht unterworfen hat. Erst 2008 hat die Bundesregierung das nachgeholt.

Dabei hat sie aber den Vorbehalt formuliert, dass der Internationale Gerichtshof nicht über die Tätigkeit der Bundeswehr im Ausland und nicht über die "Nutzung des Hoheitsgebietes der BRD für militärische Zwecke" zu befinden hat.

Damit wurde der klaren Formulierung des Art. 24 zuwidergehandelt. Das war ein Kabinettsbeschluss, der Vorbehalt ging nicht durch den Bundestag und nicht durch die Medien. Außenminister war Frank-Walter Steinmeier.

Der Bürger kann sich gegen solche Machenschaften nicht wehren. Verantwortung? Na klar! Aber doch nicht vor Gericht!

So wurde der Friedensgedanke des Grundgesetzes, konkretisiert in den Artikeln 24, 25, 26 und 87a, systematisch und vorsätzlich ausgehebelt. Das Verteidigungsministerium, das Außen- und das Justizministerium, also die Exekutive, zusammen mit den Regierungsparteien, handeln gezielt und systematisch gegen den Wortlaut des Grundgesetzes, assistiert und applaudiert von den meisten Massenmedien.

Was ist ihr Leitbild, ihre Staatsräson? Ein starker Staat braucht ein starkes Militär und muss bereit sein, dieses für machtpolitische Interessen einzusetzen. Völkerrechtliche Hürden werden ignoriert und wegdefiniert.


Thomas Rödl ist Sprecher des bayerischen DFG-VK-Landesverbands.

*

Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 3 / 2019, S. 20 - 21
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Hornbergstraße 100, 70188 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2019

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