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GESELLSCHAFT/048: Schnüffelklausel gegen Zivilgesellschaft (Mitteilungen)


MITTEILUNGEN Nr. 212, I - März 2011
Humanistische Union für Aufklärung und Bürgerrechte

Schnüffelklausel gegen Zivilgesellschaft

Von Tobias Baur


Demokratieerklärung

Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.

Als Träger der geförderten Maßnahme haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Trägern, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.

Ort, Datum, rechtsverbindliche Unterschrift


Mit "Demokratieerklärung" betitelt ist ein ideologischer Vorstoß aus dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Das auch für Engagementpolitik zuständige Haus Schröder verlangt neuerdings eine Verpflichtungserklärung von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die Projektmittel aus Förderprogrammen des BMFSFJ erhalten (s.o.).

Betroffen sind derzeit zwei Programme des Jugendministeriums: Die Initiative "Demokratie stärken" (Umfang 2011: 5 Mio. Euro) des BMFSFJ richtet sich seit Mitte 2010 präventiv gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus. Das Programm "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" (Umfang 2011: 24 Mio. Euro) führt seit Anfang 2011 die Arbeit früherer Jugendprogramme gegen Rechtsextremismus fort. Die Regiestelle für dieses Programm ist beim Bundesamt für Zivildienst (BAZ) im Geschäftsbereich des BMFSFJ.

Die Erklärung verlangt nicht nur ein bloßes Bekenntnis der Zuwendungsempfänger zur Verfassungstreue: Gefordert wird darüber hinaus die aktive Recherche zu einem möglichen extremistischen Hintergrund aller Personen und Organisationen, die am Projekt beteiligt sind oder mit denen die Initiative kooperiert, z.B. als Teilnehmende an einem Podium oder Workshop. Hierfür müssen von den Projektmachern alle verfügbaren Informationen recherchiert und ausgewertet, Informanten anderer Projektträger befragt und Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Bundesländer konsultiert werden. Wie ein Bürge trägt der Zuwendungsempfänger letztlich die Gesamtverantwortung für die Verfassungstreue aller Beteiligten.

Eine ernsthafte kritische Auseinandersetzung mit Extremisten soll zwar z.B. für antifaschistische und antirassistische Projekte prinzipiell möglich bleiben. Dennoch müssen künftig zahlreiche Besonderheiten beachtet werden, will man keine Rückforderungen, Schadenersatzzahlungen oder den Ausschluss von der Vergabe künftiger Fördermittel riskieren. Nähere Informationen zur "richtigen" Anwendung des Demokratiebekenntnisses liefern die "Hinweise zur Erklärung für Demokratie in den Programmen 'Toleranz fördern - Kompetenz stärken' und 'Initiative Demokratie stärken'" [1]: So ist beispielsweise "eine Zusammenarbeit mit der Partei 'DIE LINKE' (...) nicht grundsätzlich ausgeschlossen", wohl aber mit einzelnen ihrer Untergliederungen wie der "Kommunistischen Plattform" oder der "Sozialistischen Linken". Bei Kooperationen mit Vertreterinnen oder Vertretern dieser Partei sei immer zu "berücksichtigen, dass diese Partei sehr heterogen agiert." Im Zweifelsfall wird geraten, Kontakt mit den zuständigen (Verfassungsschutz-) Behörden aufzunehmen, bei Unklarheiten "sollte eine Rückfrage des Trägers beim Land oder beim Bund erfolgen." Auch das BMFSFJ oder die Regiestelle beim BAZ seien gern bereit zur Nachhilfe in Sachen Verfassungstreue: Einschlägige Hinweise prüfen BMFSFJ oder die Regiestelle beim BAZ "in Abstimmung mit den anderen zuständigen Bundesministerien bzw. mit den Verfassungsschutzbehörden". Eine zusätzliche Kontrolle erfolgt dann nach Projektende im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung durch die Behörde.

Der Zwang zur ständigen, umfassenden Kontrolle auch indirekt Projektbeteiligter zeitigt fatale Wirkungen: Bürokratieaufwand und ggf. wachsendes Misstrauen (evtl. Bespitzelung konkurrierender Projekte?) schädigen nicht nur die Vertrauenskultur im Netzwerk zivilgesellschaftlicher Projekte gegen rechts. Sie sind auch Ausdruck eines überholten Staatsverständnisses: Der engagementpolitische Roll-Back bevormundet anstatt zu ermuntern, schürt Misstrauen und Generalverdacht, setzt den Obrigkeitsstaat anstelle zivilgesellschaftlicher Initiative und bürgerschaftlichem Engagement. Der Verfassungsjurist Ulrich Battis bezeichnete die Extremismusklausel in einem Gutachten als verfassungsrechtlich teilweise unhaltbar. [2] So sei insbesondere die Verpflichtung zur Kontrolle der Projektpartner unzumutbar, unbestimmt und unverhältnismäßig.

Der Protest gegen diesen "Radikalenerlass" nimmt zu. Zum "Aktionstag für Demokratie - gegen Misstrauen und Bekenntniszwang" (Veranstalter: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., Kulturbüro Sachsen e.V., Opferperspektive Brandenburg e.V. und Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V.) wurden am 1. Februar etwa 1000 Protestschreiben an Ministerin Schröder und Bundeskanzlerin Merkel gesendet. Beteiligt waren u.a. SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, Die LINKE, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Initiativen und das Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte. Einige Initiativen schalteten an diesem Tag aus Protest ihre Internet-Angebote ab. Der Protest verhallte ungehört. Kurz darauf, am 10. Februar wurden die Anträge der Oppositionsparteien zur Abschaffung der "Bestätigungserklärung" im Bundestag abgelehnt.

Trotz aller Proteste macht die Schnüffelklausel weiter Karriere: Am 16. März 2011 wurde im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Antrag von CDU/CSU und FDP zur Weiterentwicklung der Extremismusklausel mit den Stimmen der Koalition verabschiedet: "Programme zur Bekämpfung von politischem Extremismus weiterentwickeln und stärken" (BT-Drs. 17/4432). Und auch die Länderebene kommt hinzu. Im Februar wurde die Demokratieerklärung vom Sächsischen Innenministerium übernommen und ist dort Voraussetzung für Projektanträge im Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements, wie z.B. "Weltoffenes Sachsen".

Die HU plant, das Thema gemeinsam mit anderen Bürgerrechtsorganisationen weiter zu verfolgen.


Tobias Baur ist Mitglied des Bundesvorstands der Humanistischen Union und dort u.a. für die Themen freiwilliges Engagement / Partizipation zuständig.


Anmerkungen:

[1] http://www.toleranz-foerdern-kompetenz-staerken.de/fileadmin/Content/Downloads/Demokratieerklaerung_FAQs.pdf
(Stand 12.1.2011)

[2] http://www.tagesschau.de/inland/extremismuserklaerung100.html
(Stand: 10.2.2011).


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Quelle:
Mitteilungen der Humanistischen Union e.V.
Nr. 212, I - März 2011, S. 16-17
Herausgeber: Humanistische Union e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2011