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STANDPUNKT/012: Die Welt von den atomaren Fesseln befreien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Oktober 2011

Abrüstung: Die Welt von den atomaren Fesseln befreien

ein Gastbeitrag von Xanthe Hall


Berlin, 31. Oktober (IPS/IDN*) - Atomkraft und die Bombe sind über eine nukleare Kette unlösbar miteinander verbunden. Da das atomare Zeitalter in Deutschland seinen Anfang nahm, stehen wir hier in der besonderen Verantwortung, die Kette zu zerreißen.

Man redet immer über Atomwaffen oder Atomenergie, die es abzuschaffen gilt. Aber sie sind nur die sichtbaren Glieder der nuklearen Kette, die uns alle fesselt. Diese Kette richtet viel mehr Unheil an, als uns bewusst ist.

Am Anfang der Kette steht der Uranabbau - die gleiche Quelle für Atomenergie und Atomwaffen. Danach folgt die durch die Zentrifugentechnologie möglich gewordene Anreicherung. Es ist nur eine Frage des Anreicherungsgrades, ob Uran für die Stromherstellung oder den Bau von Atombomben genutzt wird. Wir können nie 100-prozentig sicher sein, ob das Uran zur Stromgewinnung oder zum Bau von Bomben verwendet wird. Das zeigt das Beispiel Iran. Spannungen und Misstrauen sind die Folge, die im schlimmsten Fall in einen Krieg münden.

Als Nebenprodukt der Anreicherung werden Uranwaffen aus dem abgereicherten Uran produziert. Diese Waffen sind schon oft zum Einsatz gekommen, etwa in Bosnien, im Irak und in Afghanistan. Die Folgen für die Gesundheit von Menschen und Umwelt waren verheerend.

Nächstes Glied in der atomaren Kette ist der Atomreaktor. Er produziert nicht nur Strom, sondern auch Plutonium, das wiederum durch die Wiederaufarbeitung aus abgebrannten Brennelementen herausgetrennt wird. Atomwaffen können sowohl mit hoch angereichertem Uran als auch mit Plutonium gebaut werden. Solange Atomwaffen existieren, können sie auch zum Einsatz kommen: entweder im Verlauf eines Krieges - wie in Hiroshima und Nagasaki - oder bei Atomtests. Und am Ende der Kette bleibt der Atommüll oder der Fallout.

Alle diese Kettenglieder gefährden durch die radioaktive Strahlung unsere Gesundheit und Umwelt. Sie produzieren radioaktiven Müll oder Fallout, die über Hunderttausende von Jahren in der Umwelt verbleiben. Die nukleare Kette ist nicht emissionsfrei, daher ist die Behauptung, dass die Atomenergie das Klima retten kann, eine Lüge.


Strahlung macht krank

Ob in Hiroshima, Tschernobyl oder Semipalatinsk; ob Atombombenabwürfe, Nuklearunfälle oder oberirdische Atomtests - in den betroffenen Regionen zeigen sich überall ähnliche Krankheitsbilder, je nach freigesetzten Radioisotopen: Schilddrüsenkrebs, verschiedene Karzinome, Darmkrebs, Lungenkrebs, Knochenkrebs, Leukämie (besonders bei Kindern), Leberkrebs, genetische Defekte und viele weitere Krankheiten. Auch in Fukushima werden all diese Krankheiten als Langzeitfolgen der Strahlung verstärkt auftreten.

Der Abzug US-amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland ist zwar beschlossene Sache, erweist sich aber wegen Bündnisverpflichtungen gegenüber der NATO als schwieriges Unterfangen. Auch der Ausstieg aus der Atomenergie ist gesichert. Doch ist es unzureichend, nur Deutschland von der Atomenergie zu befreien, da ja Strahlung an keiner Grenze haltmacht. Daher schreiben wir, die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), ein ganzheitliches Rezept: Es ist an der Zeit, in internationalen Kategorien zu denken und sich gleichzeitig mit der ganzen nuklearen Kette auseinanderzusetzen.


Holistische Rezeptur

Wir fordern ein weltweites Verbot des Uranabbaus. Die indigenen Völker leiden am meisten unter dem Uranabbau. Ihre Menschenrechte werden missachtet, ihre Umwelt wird zerstört. Das Uran soll in der Erde bleiben.

Ferner setzen wir uns für ein Ende der Atomtransporte ein. Das gilt sowohl für die Yellowcake-Transporte von Niger, Australien oder Indien nach Europa als auch für den Müll aus Deutschland nach Russland.

Drittens verlangen wir ein Ende der Herstellung von spaltbarem Material. Es soll sich allerdings nicht, wie von vielen Staaten gefordert, auf den Cut-Off für Waffenzwecke beschränken, sondern auch für die zivile Nutzung gelten. Innerhalb Europas begrüßen wir die Entscheidung, Sellafield in Großbritannien zu schließen, und verlangen die Schließung von Le Hague.

Außerdem soll der Atomteststoppvertrag endlich in Kraft treten, der von neun Staaten einschließlich USA und China blockiert wird. Zudem brauchen wir einen Vertrag zur Ächtung und Abschaffung von Atomwaffen (Nuklearwaffenkonvention). Die Verhandlungen müssen jetzt beginnen. Es ist wichtig, dass sich möglichst viele Bürger an der internationalen Kampagne ICAN für eine atomwaffenfreie Welt beteiligen.

Fünftens brauchen wir eine globale Energiewende. Es geht um die drei E: Erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Energiesparen - sie zeigen den Weg nach vorne. Energiepolitik ist Friedenspolitik - denn um Sonne oder Wind werden keine Kriege geführt. (Ende/IPS/kb/2011)


* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2011