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STANDPUNKT/095: Verbindliche Nachhaltigkeitsziele für die Reichen gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. März 2015

Entwicklung: Verbindliche Nachhaltigkeitsziele für die Reichen gefordert

von Thalif Deen



Bild: © Mano/Weltbank

Ein Slowake vor seiner Hütte
Bild: © Mano/Weltbank

New York, 24. März (IPS) - Zeitgleich zum Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos, dem Jahrestreffen der Reichen und Superreichen, hatte Oxfam im Januar einen alarmierenden Bericht vorgestellt: Setzt sich der derzeitige Trend wachsender Ungleichheit fort, wird sich die Hälfte des globalen Wohlstands bis 2016 in den Händen von einem Prozent der Weltreichsten konzentrieren. Und gerade einmal 80 Menschen von diesen Privilegierten verfügen über das gleiche Vermögen, das sich 3,5 Milliarden Menschen - die Hälfte der Menschheit - teilen müssen.

Das Weltsozialforum (WSF), als Gegenspieler zum WEF geschaffen, wird sich auf seinen Treffen vom 25. bis 28. März in der tunesischen Hauptstadt Tunis mit dem Problem der Ungleichheit und einem neuen Bericht der Zivilgesellschaftlichen Reflektionsgruppe für globale Entwicklungsaussichten befassen. In der Studie heißt es, dass die Erfolge der künftigen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) davon abhängen, inwieweit die Reichen in die Pflicht genommen werden.

Die SDGs schließen an die acht Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) von 2000 bis 2015 an. Von diesen Zielen - Halbierung von Hunger und Armut, Grundschulbildung für alle, die Stärkung der Rolle der Frau, Senkung der Kindersterblichkeit, Verbesserung der Gesundheitsversorgung, Bekämpfung schwerer Krankheiten wie HIV/Aids und Malaria sowie ökologische Nachhaltigkeit und Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft - hatte sich explizit nur MDG 8 an die reichen Staaten gerichtet.


Nicht 'smart' genug

Doch wurde das Ziel viel zu vage und unverbindlich formuliert. Da jedoch nach wie vor ein Bedarf an einer Entwicklungspartnerschaft zwischen den reichen und armen Ländern besteht, soll es in der Post-2015-Agenda deutlich gestärkt wiederbelebt werden. Darüber hinaus kamen die Regierungen überein, die übrigen 16 SDGs mit ebenfalls verbindlichen Umsetzungsvorgaben zu versehen.

Nach Ansicht von Jens Martens, Leiter des 'Global Policy Forum' (GPF) mit Sitz in Bonn, sind viele dieser neuen Ziele jedoch nicht "smart" genug. Dass bedeutet, sie sind weder spezifisch genug noch messbar, erreichbar, realistisch oder an eine Frist gebunden. "Um die reichen Staaten in die Verantwortung nehmen zu können, brauchen wir jedoch 'smarte' Ziele", meinte er gegenüber IPS.

Martens zufolge sind Ziele, die nicht mit den Maßgaben ausgestattet sind, um sie zu erreichen, bedeutungslos. Die Post-2015-Nachhaltigkeitsziele ließen sich nur dann umsetzen, wenn sie mit bedeutenden und konkreten Zeitvorgaben und Verpflichtungen für die reichen Staaten ausgestattet würden, die sich beispielsweise in regulierenden und steuerlichen Reformen niederschlagen müssten.

Martens appellierte an die Regierungen, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Jede Post-2015-Agenda müsse die strukturellen Hindernisse und politischen Hürden, die die erfolgreiche Umsetzung der MDGs verhindert hätten, aus dem Weg räumen. Dazu gehörten unfaire Handels- und Investitionsbestimmungen (einschließlich des Investor-Staat-Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten) ebenso wie Steuerflucht und Steuertricks durch transnationale Konzerne und reiche Einzelpersonen.

Die SDGs beinhalten Vorschläge, wie sich Armut, Hunger und Ungleichheit bekämpfen lassen und den Menschen weltweit zu einem gesunden Leben, zu qualitativ hoher Bildung und Gleichberechtigung der Geschlechter verholfen werden kann. Auch unterbreiten sie Empfehlungen für einen nachhaltigeren Umgang mit Wasser, eine universelle Sanitärversorgung, eine produktive Beschäftigung und Industrialisierung sowie den Schutz der terrestrischen Ökosysteme.

Roberto Bissio, Koordinator der Nichtregierungsorganisation 'Social Watch', ist der Meinung, dass die Reichen auf drei konkrete Nachhaltigkeitsziele festgelegt werden müssten: auf die Verringerung der Ungleichheit innerhalb der Staaten und der Staatengemeinschaft, auf nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster und eine Revitalisierung der globalen Partnerschaft für Entwicklung.

Seiner Meinung nach gilt es das Prinzip der 'gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten' rigoros anzuwenden. Verbunden mit dem Menschenrechtsprinzip 'Gleiche Rechte für alle' und der Notwendigkeit, die Grenzen des Planeten zu respektieren, müsse sich dieses Prinzip in unterschiedlichen Verpflichtungen für unterschiedliche Kategorien von Ländern niederschlagen, betonte Bissio.

Henning Melber, emeritierter Direktor der 'Dag Hammarskjöld Foundation', wies darauf hin, dass der Namensgeber der Stiftung, ein ehemaliger UN-Generalsekretär, die Vereinten Nationen stets als Solidargemeinschaft verstanden habe. Solidarität mit den Armen bedeute jedoch, dass den Reichen klar werden müsse, dass im Zusammenhang mit Stabilität, Nachhaltigkeit, Gleichheit und Zukunftsfähigkeit des Planeten weniger mehr bedeute.

In der neuen Studie betont die Zivilgesellschaftliche Reflektionsgruppe, dass alle 17 SDGs für arme, reiche und Schwellenländer in Nord und Süd gleichermaßen relevant seien. Alle Staaten, die sich der Post-2015-Agenda verpflichtet fühlen würden, müssten ihren Beitrag zur Umsetzung sämtlicher Ziele leisten.


Fragiler Wohlstand

Auch wenn es danach aussehe, dass die Reichen weniger Probleme hätten, die Nachhaltigkeitsziele und -Zielvorgaben zu erreichen, habe sich gezeigt, dass soziale Errungenschaften durch Konflikte, Krisen und "wirtschaftlich verrückte und sozial zerstörerische Strategien" wie Austeritätsmaßnahmen und wirtschaftliche oder soziale Fehlentscheidungen aufs Spiel gesetzt würden.

Im Namen von Schuldenverringerung und Wettbewerbsfähigkeit hätten diese Strategien zu Arbeitslosigkeit und Verelendung geführt, seien oft mit dem Verlust von Basiseinkommen oder einer grundlegenden Gesundheitsversorgung einhergegangen. Und häufig genug habe sich der Schuldenberg von Staaten weiter vergrößert anstatt sich zu verkleinern.

In vielen reichen Ländern ist zu beobachten, wie die Armut zunimmt. Dem Bericht zufolge ist sie in den USA in den letzten 20 Jahren weiter gestiegen und betrifft bereits 50 Millionen Menschen. Eine vierköpfige Familie mit einem Einkommen von 23.850 US-Dollar im Jahr gilt in den USA als arm. In Deutschland seien 20,3 Prozent der Bevölkerung oder 16,2 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen.

In der gesamten Europäischen Union liegt der Anteil der Armen oder sozial Marginalisierten bei 24,5 Prozent, so die Zivilgesellschaftliche Reflektionsgruppe. Um diesen und ähnlichen Problemen gegenzusteuern, sollen die Länder nach den Vorstellungen der Offenen Arbeitsgruppe, die die SDGs entworfen hat, den Anteil armer Männer, Frauen und Kinder bis 2030 zumindest halbieren.

Die Dimension der Ziele für die Reichen hängt der Studie zufolge vor allem davon ab, ob die Staaten sich auf eine Innenansicht oder nationale Interessen beschränken oder ihren Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten gegenüber den anderen Staaten, der Menschheit und der Umwelt stellen und auch nichtstaatliche Akteure wie transnationale Konzerne und ihre Lieferketten zu einem verantwortlichen Handeln zwingen. (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/03/the-rich-should-be-held-accountable-in-the-u-n-s-new-development-goals-say-ngos/

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IPS-Tagesdienst vom 24. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2015

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