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STELLUNGNAHME/111: Fire and Fury (Wir Frauen)


WIR FRAUEN - Das feministische Blatt 4/2017 - Winter 2017

Fire and Fury

von Elena Simon


Das Abkommen zur Ächtung von Atomwaffen, das am 07. Juli 2017 von 122 Staaten der UN-Generalversammlung beschlossen und bislang von 53 Staaten unterschrieben wurde, kann in seiner Symbolik nicht genug hervorgehoben werden. Wie unter einem Brennglas werden der Zusammenhang zwischen militärischer Macht und ökonomischen Wohlstand sichtbar, wenn man die Liste der unterstützenden Staaten betrachtet. Weder NATO-Mitglieder noch Atommächte haben dem Vertrag zugestimmt bzw. auch nur an den Verhandlungen teilgenommen. Von den europäischen Staaten haben einzig Österreich, Irland und Liechtenstein das Abkommen unterzeichnet. Im Vorfeld der Verhandlungen gab es Befürchtungen, dass die Teilnahme zivilgesellschaftlicher, pazifistischer Organisationen den Prozess verlängern oder gar verhindern könnte.

Mit Trumps "fire and fury" (Feuer und Rage)-Rhetorik hat die Möglichkeit einer gewaltsamen Eskalation des Koreakonflikts neue Dimensionen erreicht. Die Bemühungen um Abrüstung und Demilitarisierung sind daher so wichtig wie lange nicht mehr. Umso wichtiger und richtiger war die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). Deutschland kann momentan aufgrund der Stationierung amerikanischer Atomwaffen in Büchel den Vertrag zu Abschaffung von Atomwaffen nicht ohne weiteres unterstützen. Die Auflösung dieses Mietverhältnisses wäre ein erster Schritt in eine atomwaffenfreiere Welt. Zentral sind außerdem die Bemühungen der US-amerikanischen Zivilgesellschaft, ein breites Bündnis gegen die aggressive Politik der Trump-Regierung zu formen. CODEPINK, eine Organisation, die maßgeblich und hauptsächlich von Frauen getragen wird, setzt sich seit 2002 für ein Ende der US-Kriege ein. Mit Humor, Satire und in Pink kämpfen die Aktivistinnen für die symbolische und materielle Abrüstung in den USA, die Demilitarisierung der US-Amerikanischen Wirtschaft und gegen den globalen Militarismus. Gemeinsam mit weiteren Friedensorganisationen suchen sie den Dialog mit der nord- und südkoreanischen Zivilgesellschaft, um eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern.

Vom 23.-28. Juli 2017 besuchte die Solidarische Friedensdelegation (The Solidarity Peace Delegation) Südkorea. Mit dabei waren Medea Benjamin (CODEPINK), Reece Chenault (US Labor against War), Will Griffin (Veterans for peace) und die Präsidentschaftskandidatin der US Grünen Jill Stein. Die Delegation veröffentlichte eine Stellungnahme, die auf Englisch auf der Website von CODEPINK zu finden ist (siehe www.codepink.org/as_tensions_explode_on_korean_peninsula):

Das Brodeln auf der koreanischen Halbinsel nimmt gefährliche Ausmaße an. Am letzten Tag unseres Besuchs, am 28. Juli, führte Nordkorea erneut einen Raketentest durch, der erneut durch das Abfeuern von Warnraketen durch die Regierungen der USA und Südkorea beantwortet wurde. Entgegen seiner früheren Aussagen erteilte der südkoreanische Präsident Moon den USA die Erlaubnis, das hochumstrittene Raketenabwehrsystem THAAD um vier zusätzliche Raketenwerfer zu erweitern. Angesichts dieser eskalierenden Dynamiken und der Wahrscheinlichkeit weiterer aggressiver Maßnahmen der Konfliktparteien müssen dringend Schritte der Deeskalation unternommen werden.

Nordkorea hat bereits mehrfach angeboten, sein Atomwaffenprogramm zu stoppen, wenn im Austausch die USA und Südkorea ihre gemeinsamen Kriegsübungen einstellen. Es ist höchste Zeit, dass die USA und Südkorea dieses Angebot ernst nehmen und als Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen begreifen, an deren Ende eine friedliche, unabhängige und atomwaffenfreie koreanische Halbinsel steht. Dazu gehört auch ein Ende der Konflikte global konkurrierender Mächte, die die Region schon so lange heimsuchen und destabilisieren.

Seit Jahrzehnten leben die Bevölkerungen Nord- und Südkoreas unter Bedingungen anhaltender kriegerischer Mobilisierung. Die BewohnerInnen Südkoreas leben in Nachbarschaft von 83 US-Militärbasen und fast 30 000 stationierten SoldatInnen. Immer häufiger kommt es zu militärischen Provokationen zwischen Nordkorea und den USA. Jeder Atomwaffen- und Raketentest Nordkoreas birgt die Gefahr einer weiteren Verschärfung und Verhärtung der Konfliktlinien und dezimiert die Möglichkeiten, die Spannungen abzubauen und den tatsächlichen Ausbruch des Konflikts auf der Halbinsel abzuwenden.

Jegliche gewaltsame Eskalation der Feindseligkeiten hätte katastrophale Folgen, allein durch die räumliche Nähe der koreanischen Grenze zu Seoul, einer Metropolregion mit 25 Millionen Menschen. Einem nordkoreanischen Angriff mit konventionellen Waffen könnten schätzungsweise 64 000 SüdkoreanerInnen allein am ersten Tag zum Opfer fallen. Selbst ein begrenzter Schusswechsel bei dem Atomwaffen zum Einsatz kommen könnten, könnte einen "nuklearen Winter" auslösen, bei dem es durch die bei der Explosion emporgeschleuderten Staub- und Trümmermassen zur Verdunkelung des Sonnenlichts und in der Folge zur Abkühlung der Erdatmosphäre kommen könnte. Dies hätte nicht zuletzt die drastische Reduktion landwirtschaftlicher Produktion zur Folge und könnte weltweite Hungersnöte mit Hundertmillionen Toten verursachen.

Da Seoul in jedem Szenario ins Kreuzfeuer der Feindseligkeiten geraten würde, ist es essentiell, dass der Konflikt in den Händen der Diplomatie bearbeitet wird. Je früher diplomatische Maßnahmen ergriffen werden, desto höher sind ihre Erfolgschancen.

Wir fordern deshalb das sofortige Einleiten diplomatischer Maßnahmen, die die Bedrohungsszenarien, die das nordkoreanische Atomwaffenprogramm antreiben, reduzieren. Als größte Bedrohung werden dabei die gemeinsamen Kampfübungen der USA und Südkoreas wahrgenommen, die das Abwerfen nuklearer Attrappen über nordkoreanischem Gebiet beinhalten. Hinzu kommt die US-Strategie des atomaren Erstschlags gegenüber Nordkorea. Die haarsträubende Gefahr eines präemptiven US-amerikanischen atomaren Angriffs liefert Nordkorea gute Gründe für ein eigenes Atomwaffenprogramm, das als einziges Mittel zur Abschreckung einer solchen Strategie angesehen wird.

Aber Spannungen können abgebaut werden, und zwar durch Maßnahmen, die diplomatisch, strategisch, gerecht und längst überfällig sind. Die Friedensdelegation fordert daher folgende Aktionen:

eine klare Absage und das Aufgeben der unethischen und hyper-aggressiven atomaren Erstschlags-Position der USA gegenüber Nordkorea.

die Verhängung eines sofortigen Moratoriums über die US-südkoreanischen Kriegsübungen, die das Abwerfen nuklearer Attrappen über nordkoreanischem Gebiet beinhalten. Dies wäre ein erster Schritt in Richtung eines Abkommens, das die US-südkoreanischen Kriegsübungen beendet und im Gegenzug Nordkoreas Waffen- und Atomprogramm einfriert. Die US-Regierung sollte endlich auf dieses seit langem bestehende Angebot Nordkoreas reagieren und Nordkorea zu ernsthaften Verhandlungen einladen. Und zwar jetzt.

den Abzug von THAAD, dem irreführend als "defensives" Raketenabwehrsystem deklarierten US-Waffensystem, aus Seongju, wo es trotz heftigstem und anhaltendem zivilen Widerstand der südkoreanischen Bevölkerung installiert wurde. THAAD ist nicht zur Verteidigung gegen herannahende Raketen geeignet. Unter realistischen Umständen, mit mehreren Sprengköpfen und Täuschungsattrappen, versagt das System. Sein wirkungsmächtiges Radarsystem steht vielmehr unter dem Verdacht, installiert worden zu sein, um China ausspionieren zu können, und verursacht daher gefährliche Spannungen in der Region.

Den Beginn von Friedensverhandlungen, um den Koreakrieg endlich formal zu beenden. Der Koreakrieg, in dem fast 20% der nordkoreanischen Bevölkerung getötet wurden, wurde nie mit einem Friedensvertrag offiziell für beendet erklärt.

Die südkoreanische Regierung sollte Reiseverbote für FriedensaktivistInnen aufheben. Durch ein solches Verbot konnte zum Beispiel unser koreanisch-amerikanischer Leiter Juyeon Rhee nicht an unserer Delegation teilnehmen.

Die Delegierten fordern außerdem mehr Friedensdelegationen, um die Solidarität zwischen US-amerikanischer und südkoreanischer Friedensbewegung zu stärken und die negativen Auswirkungen der US-Militärbasen auf koreanischem Boden mit eigenen Augen sehen zu können.

Die Koalition wird in den kommenden Wochen dabei helfen, eine Kampagne ins Leben zu rufen, die öffentlichen Druck für eine friedliche Lösung für den unberechenbaren Konflikt auf der koreanischen Halbinsel aufbaut.

(Übersetzung von Elena Simon)

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Quelle:
Wir Frauen - Das feministische Blatt 4/2017 - Winter 2017
36. Jahrgang, Seite 20-21
Herausgeberin:
Wir Frauen - Verein zur Förderung von Frauenpublizistik e.V.
Rochusstraße 43, 40479 Düsseldorf
E-Mail: info@wirfrauen.de
Internet: www.wirfrauen.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2018

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