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BERICHT/002: Die "Kölner Klagemauer" im Abseits ideologischer Stigmatisierung (SB)

Klagemauer vor Kölner Dom

Die Kölner Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung


Kölner Klagemauer ... von unten gegen Thron und Altar

Umstritten war sie immer, denn streitbares Eintreten für die Schwachen ist das Anliegen ihrer Betreiber. Die Kölner Klagemauer war von Anbeginn ihrer Existenz Ende der 1980er Jahre an dafür gedacht, diejenigen Stimmen laut werden zu lassen, für die es normalerweise kein Forum gibt. Auf einem der zentralsten Plätze der rheinischen Metropole aufgebaut, der Freifläche unmittelbar vor dem Kölner Dom, war sie den Herren der Stadt in Kirche und Rathaus seit jeher ein Dorn im Auge. Wo sich gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen mit simpelsten Mitteln wie Bindfäden, Pappen und Filzschreibern Gehör verschaffen, wird die Ordnung schon dadurch herausgefordert, daß sie dies ohne Einbindung in ein administratives Konzept tun, das zur Legitimation dessen beiträgt, was eigentlich kritisiert werden soll. Wenn die Botschaften, die interessierte Passanten lesen können, von Dingen handeln, die die Herrschenden normalerweise in die dafür vorgesehenen Verwaltungsakte und Institutionen abschieben, um aus den Augen und aus dem Sinn zu haben, woran diese Gesellschaft krankt, dann ist der Eklat und seine Beseitigung bis zum bitteren Ende vorprogrammiert.

Der aus Würzburg stammende Lehrer Walter Herrmann zog 1967 nach Köln und war dort von Anfang an der politischen Basisarbeit der außerparlamentarischen Opposition, unter anderem in der Kampagne gegen Erziehungsheime und bei der Gründung von Wohngemeinschaften für jugendliche Trebegänger, beteiligt. 1989 verwandelte er die eigene Wohnungslosigkeit in einen öffentlichen Protest. Was damals im Rahmen einer Aktion gegen Zwangsräumungen als Klagemauer zur Wohnungsnot Gestalt annahm, wird allen Anfeindungen zum Trotz bis heute fortgesetzt. Während Wohnungsnot und Immobilienspekulation für Herrmann und seine Unterstützer bis heute wichtige Themen sind, wurde die Klagemauer zum öffentlichen Forum für fast alles, was die Menschen ganz unten drangsaliert und beschäftigt, ohne daß es in die Breite der Gesellschaft vordringt. Bedrängte Minderheiten wie kurdische Flüchtlinge, Sinti und Roma, indigene Völker, Migranten und Behinderte machten ihre Probleme an der Klagemauer öffentlich. Mit dem Angriff auf den Irak 1991 erhielt die Klagemauer einen friedenspolitischen Schwerpunkt, doch Verarmung und Unterdrückung auch der sogenannten Mehrheitsbevölkerung wurden an der Klagemauer ebenso thematisiert wie Auseinandersetzungen innerhalb Kölns.

Diese drehten und drehen sich nicht zuletzt um die Klagemauer selbst, ist sie doch dem katholischen Klerus ebenso ein Dorn im Auge wie der Stadtverwaltung. Man sorgt sich angesichts der als "schmuddelig" und "improvisiert" verworfenen Gestaltung der Plakatwand nicht nur um Ordnung und Sauberkeit, sondern um die politische Hygiene im Angesichte einer Kathedrale, die den baulichen Mittelpunkt eines der reichsten Bistümer der Welt und des mit 2,1 Millionen Gläubigen mitgliederstärksten Bistums der Bundesrepublik bildet. Das fromme Erschauern, das manchen Katholiken vor den himmelstürmenden Spitzbögen des Doms überkommt, soll nicht durch die profane Diesseitigkeit kreatürlicher Widrigkeiten beeinträchtigt werden. Der materielle Charakter der von den Aktivisten der Klagemauer ausgebreiteten Probleme soll die sakrale Stimmung nicht kontaminieren, an der auch die Kämmerer der Stadt interessiert sind, ist der Dom doch ein touristischer Publikumsmagnet erster Güte.

Walter Herrmann

Walter Herrmann

Herrmann war den Stadtoberen stets ein "querulatorischer" Sonderling, und auch seine Mitstreiter standen bei ihnen nicht in bestem Ansehen, handelte es sich doch oft um Obdachlose und andere durch den sozialen Rost gefallene Existenzen. Mit dem glänzenden Kleinwagen, der als Gewinn für die Dombau-Lotterie ("Sofortgewinne! Autos, Fernseher + Geld") auf einem Podest auf dem Domvorplatz Loskäufer lockte, konnte die Plakatwand natürlich nicht in einen Schönheitswettbewerb treten. Die Domherren wollten nichts anderes vor ihrer schönen Kirche erblicken als die Verheißung auf ein Mehr, das, wenn man seiner nicht schon im Diesseits habhaft wird, dann auf jeden Fall für das Jenseits in Aussicht gestellt werden soll.

Die "geschmacklose und widerliche" Klagemauer, mit der "ein weltweit bedeutendes Denkmal permanent geschändet werde", so der Vorsitzende des Haus- und Grundbesitzervereins, Hanns Schäfer, 1993 zur Begründung seiner Forderung nach "Säuberung der Domplatte", war eben nicht nur ein ästhetisches Ärgernis. Sie bildete den Fokus einer sozialen Auseinandersetzung, die seitens militanter reaktionärer Kräfte sehr aggressiv ausgetragen wurde, indem sie die Plakatinstallation immer wieder beschädigten und Herrmann mehrfach zusammenschlugen. Doch auch im Auge des Gesetzes war Herrmann eher ein Störfaktor als ein Bürger, der seine demokratischen Rechte wahrnimmt. Wegen seines Einsatzes für Obdachlose, bei dem er unter anderem einem Behinderten half, der bei einem Polizeieinsatz aus dem Rollstuhl auf die Straße fiel, erhielt der bis dahin nicht vorbestrafte Herrmann 1996 insgesamt sechs Monate Gefängnis auf Bewährung wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt [1].

In diesem Jahr trugen die langjährigen Versuche des Domkapitels und der Stadtverwaltung, dieses den Frieden des Konsums und der Affirmation störende Element loszuwerden, endlich Früchte. Nachdem das Kölner Landgericht der Hohen Domkirche bereits 1994 das Recht zugewiesen hatte, die auf ihrem Grund stehenden Teile der Klagemauer entfernen zu lassen, gab es im September 1996 auch der zivilrechtlichen Räumungsklage der Stadt Köln statt. Ohne das Ergebnis der Berufungsverhandlung abzuwarten, wurde die inzwischen international bekannte Klagemauer, an der sich zahlreiche Menschen aus aller Welt, darunter Prominente wie der nicaraguanische Schriftsteller Ernesto Cardenal, der russische Bürgerrechtler Sergej Kowaljow, der nigerianische Literaturpreisträger Wole Soyinka und nicht zuletzt Atombombenopfer aus Hiroshima und Nagasaki, ein Stelldichein gaben, im Oktober 1996 in einer Nacht- und Nebelaktion von der Polizei entfernt.

Klagemauer per Fahrrad mobil gemacht

Mobiles Einsatzkommando der ganz anderen Art ...

Schon zuvor war die Installation in andere Städte gereist, so 1990 nach Leipzig, wo den BRD-Neubürgern am Beispiel der Obdachlosigkeit vor Augen geführt wurde, daß in der BRD nicht alles Gold ist, was im Fernsehen glänzt. Nun stellt sich Herrmann auch in Köln auf eine mobile Klagemauer um, die er täglich mit dem Fahrrad zur Domplatte transportiert. In verschiedener Gestalt, zuerst mit einem drei Meter langen Holzpferd, dann mit einem einfachen Fahrradhänger, wird die Klagemauer immer wieder vor den Dom gekarrt. "Ein Glück, daß der Stall von Bethlehem nicht den Domherren gehört", so der Kommentar auf einer der dort angebrachten Pappkarten.

Die ungeklärte Rechtslage führte im August 2007 zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, mit der ein nicht nur für die Betreiber der Klagemauer wichtiger Sieg für die Versammlungsfreiheit errungen wurde. Herrmann hatte im Mai 2003 in Berlin eine Veranstaltung "Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo" mit dem gleichen Konzept, die Meinungsäußerungen der Passanten auf kleinen Texttafeln öffentlich auszustellen, angemeldet. Nachdem sich das Land Berlin dagegen verwahrt hatte, die Veranstaltung als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes anzusehen, sondern sie statt dessen als Informationsstand behandelte, hob das Leipziger Gericht diese Entscheidung vier Jahre später auf. Die Richter gelangten zu der Ansicht, daß die Veranstaltung durchaus als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und damit des Grundgesetzes zu verstehen war. Sie gestanden Herrmann zu, daß er Außenstehende unter dem von ihm gesetzten Thema in einen kollektiven Meinungsbildungs- und Meinungsäußerungsprozess einbeziehen wollte, um auf diese Weise zunächst unbeteiligte Personen dazu zu veranlassen, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten. [2]

Unterschriftenkampagne gegen bedingungslose Kooperation mit Israel

Unterschriftenkampagne "gegen bedingungslose Kooperation mit Israel"

Streitfall Palästina ... im Mahlstrom der Konfliktdynamik

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts legalisierte auch die weitere Präsenz der Klagemauer auf der Domplatte in Köln. Dort allerdings entfachte sich ein Streit um das die Installation zusehends dominierende Thema des Nahostkonflikts, in dem Herrmann sehr deutlich Partei für die Palästinenser ergriff. Insbesondere nach dem Überfall auf Gaza fühlten sich Unterstützer Israels auf den Plan gerufen, die ihrer Ansicht nach einseitig verzerrte Darstellung dieses Konflikts zum Anlaß zu nehmen, Herrmann eine antisemitische Gesinnung anzulasten. Die Präsentation einer sogenannten Karikatur, die er der Presseberichterstattung über internationale Proteste gegen den Gazakrieg entnahm, führte schließlich zu mehreren Anzeigen wegen Volksverhetzung gegen Walter Herrmann. In der Folge des bis heute anhaltenden Streits kam es zu Verbotsforderungen seitens der Kölner Synagogen-Gemeinde und eines Kommentators des Kölner Stadt-Anzeigers sowie der Distanzierung der im Stadtrat vertretenen Parteien von der Klagemauer. Auch Karl-Heinz Otten, der Vorsitzende des Aachener Friedenspreis e.V., der den an der Klagemauer beteiligten Aktivisten 1998 verliehen wurde, distanzierte sich von Herrmann.

Die Zeichnung [3] zeigt einen blau gekleideten, am oberen Bildrand abgeschnittenen Oberkörper. Die Brust ist mit einer weißen Serviette versehen, auf der ein Davidstern prangt. Die beiden Hände des kopflosen Torso halten Messer und Gabel, mit denen ein palästinensisches Kind zerlegt wird. Auf dem Messer ist die Aufschrift "Gaza" zu sehen, die Gabel mit einer US-Flagge versehen, und neben dem Teller steht ein Glas mit einer roten Flüssigkeit, die offensichtlich Blut darstellen soll. Zweifellos handelt es sich dabei um eine drastische Form der Anklage und Provokation, deren ikonographische Elemente Vergleiche mit antisemitischen Illustrationen der Nazis zulassen. Auch die in der antijüdischen Ritualmordpropaganda des Mittelalters wurzelnde Behauptung, Juden würden christliche Kinder verspeisen und ihr Blut essen, läßt sich in der Zeichnung wiederfinden. Auf dem an der Klagemauer präsentierten Foto, das laut Herrmann der Illustrierten Stern entnommen wurde, ist eine Frau zu erkennen, die das Plakat mit beiden Armen hochhält, zudem ist die Abbildung mit der ursprünglichen Textzeile des Stern versehen.

Die Staatsanwaltschaft, die einen Strafantrag gegen Volksverhetzung zurückwies, gelangte zu dem Schluß, daß es Herrmann um die politische Intention ging, die der Illustration ebenfalls entnommen werden kann:

"Das Plakat zielt nicht auf "die Juden" schlechthin als Gegenstand des Protestes ab, sondern auf die israelische Militärpolitik und deren Unterstützung durch die US-amerikanische Regierung. Abbildung und Symbolik lassen jedenfalls eine solche Deutung zweifelsfrei zu. Das Kleinkind soll die Schwäche und Wehrlosigkeit der Palästinenser im Gaza-Streifen symbolisieren, die wehrlos sind und mit "Rückendeckung", Billigung o.ä. der US-Amerikaner von Israel auf grausame Art "zerfleischt" werden. Dass Israel gemeint ist, ergibt sich zwingend daraus, dass der abgebildete männliche Torso in den Nationalfarben Israels und der Davidstern - gleich dem der israelischen Nationalfahne - in blau und weißem Hintergrund auf dem Latz gezeigt wird. Zudem stellt die Betitelung einen eindeutigen Zusammenhang im Kontext der übrigen Bilder (Protest gegen die Militärpolitik Israels bzw. gegen dessen militärische Vorgehensweise im Gaza-Streifen) her. Die bildliche Gestaltung der Gabel in den US-amerikanischen Nationalfarben bringt insoweit auch fraglos eine "Protegierung" bzw. Unterstützung der israelischen Militärpolitik durch die US-amerikanische Politik zum Ausdruck. Die Ohnmacht der Palästinenser soll mit der Abbildung eines kindlichen Körpers nachhaltig symbolisiert werden." [4]

Auch wenn sich Herrmann unter dem Eindruck dieser Ohnmacht, denen die Palästinenser durch das Bombardement der israelischen Luftwaffe in einem Gebiet, das ihnen keinen Schutz bot und aus dem sie nicht einmal fliehen konnten, zur Präsentation dieser Zeichnung hinreißen ließ, hat er seinen Gegnern mit dieser Anprangerung der Grausamkeiten der israelischen Angriffsmaschinerie eine Steilvorlage gegeben. Es nützte ihm nichts mehr, daß er die Reproduktion des Fotos mit der Zeichnung wieder abnahm und praktisch eingestand, daß er mit ihrer öffentlichen Zurschaustellung einen Fehler begangen hatte. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte er: "Ich stimme nicht mit der Bildaussage der antiisraelischen Karikatur überein, vielmehr distanziere ich mich von ihr, da sie als antisemitisch aufgefasst werden kann". Wie der Kölner Stadtanzeiger (03.03.2010) berichtete, wollte Herrmann mit dem Pressefoto eine "offenen Diskussion" zum Israel-Palästina-Konflikt anstoßen. Er habe nicht nur die israelische Militäroffensive, "sondern auch die internationalen Reaktionen darauf anhand von Pressefotos" darstellen wollen. Für die Stichhaltigkeit dieses Arguments spricht der bildgebende Kontext, in den die sogenannte Karikatur eingebettet war.

Fotowand zum Überfall der israelischen Streitkräfte auf Gaza

Die Folgen der Bombardierung Gazas ... auf der Straße sehen, was Großmedien nicht zeigen

Was auch immer Herrmann in der Vergangenheit für Frieden und Völkerverständigung getan hat, wie auch immer er sich für die Interessen der Menschen einsetzte, die keine Stimme haben, mit welch schmerzhaften körperlichen Folgen er zum Angriffsziel von Rechtsextremisten wurde, all das scheint vergessen, als ob es nie passiert wäre. Ob die Klagemauer zur NRW-Wahl im Mai die negativen Folgen des Verkaufs bis dato erschwinglichen, öffentlich geförderten Wohnraums an den US-amerikanischen Hedgefonds Whitehall durch die schwarzgelbe Landesregierung für die 30.000 Wohnungssuchenden der Domstadt anprangerte oder im August an die Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis erinnerte, alles geht unter im Furor dieses Eklats. Die Unversöhnlichkeit, mit der der 70jährige Aktivist nun zum Ziel von Bezichtigungen wird, die im Internet zu anonym geposteten Gewaltandrohungen entufern, negiert den sozialen Aktivismus und die für Rassisten ganz und gar nicht typische Solidarität mit den gesellschaftlichen Verlierern, mit Behinderten und Migranten, vollständig.

Wie konnte es so weit kommen, daß eine in ihrer sozialen Intention, ihrer friedenspolitischen Absicht und ihrer Relevanz für die politische Inanspruchnahme des öffentlichen Raums von unten beispielhafte Initiative einen solchen Niedergang in ihrem öffentlichen Ansehen erfuhr, daß sich auch langjährige Unterstützer von ihr lossagten? Die Betreiber der Klagemauer haben mit der Thematisierung eines in seinen Auswirkungen auf weltpolitische Belange kaum zu unterschätzenden Konflikts auf der Seite der Schwächeren Position bezogen und rühren trotz der in ihrer Reichweite sehr beschränkten Verbreitungsform an Problemen, die Gegenkräfte auf den Plan rufen, die sich nicht von ungefähr gemeint fühlen. Die mit Hilfe schockierender Fotos ins Bild gesetzte Anklage der an den Bewohnern Gazas begangenen Grausamkeiten bietet Anknüpfungspunkte für Fragen nach der Rolle des eigenen Landes in diesem Konflikt, der engen militär- und rüstungspolitischen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Israel, den Interessen der EU und der USA in der Region, des Anteils deutscher Außenpolitik an der drohenden Gefahr eines Krieges mit dem Iran und nicht zuletzt dem Mißverhältnis zwischen in Deutschland in Anspruch genommener Rechtstaatlichkeit und im Falle Israels akzeptierter Rechtsbrüche eklatanter Art.

Was auf der Ebene machtpolitischer Interessen unbehelligt von jeglicher wirksamen Gegenbewegung exekutiert wird, soll mit symbolpolitischen Mitteln zur läßlichen Sünde verharmlost werden. Der Zusammenhang zwischen kriegerischer Gewaltanwendung und seiner ideologischen Legitimation wird am Beispiel der gegen Herrmann und die Klagemauer in Stellung gebrachten Bezichtigungen in seinem ganzen Nutzen für herrschende Zwecke deutlich. Bei aller Widrigkeit und Fragwürdigkeit der von dem Betreiber der Klagemauer gewählten Mittel bleibt das damit angesprochene Problem, die seit Jahrzehnten währende Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel und die dabei zum Zuge kommenden Repressalien, virulent. Trotz aller Berichterstattung zu diesem Konflikt ist der Bedarf an Aufklärung über seine Genese, seine Auswirkungen auf die regionale Hegemonialordnung, über die von der israelischen Besatzungsmacht zur Aufrechterhaltung des etablierten Gewaltverhältnisses verwendeten Methoden und Strategien und die ideologischen Dispositionen der Unterstützer Israels in den Regierungen der wirtschaftlich und militärisch führenden Staaten immens. Allein über die Vorgeschichte des israelischen Überfalls auf Gaza wurden die Bundesbürger niemals vollständig aufgeklärt, ansonsten wäre es gar nicht möglich, daß die Sprachregelung, man habe sich mit diesem Überfall nur gegen palästinensische Raketenangriffe verteidigen wollen, als relevantes Argument Bestand hätte.

Rachel Corrie und Hagai Matar an der Klagemauer vertreten Rachel Corrie und Hagai Matar an der Klagemauer vertreten

Aktivistin und Aktivist gegen Häuserzerstörungen und Besatzungspolitik

So wird in der in Köln um die Person Walter Herrmanns entfachten Auseinandersetzung im Grunde genommen fortgeschrieben, was die Klagemauer auch früher schon zu einem unerwünschten Fremdkörper in dem von ordnungspolitischen und sozialregulativen Zwecken bestimmten öffentlichen Raum machte. Heute allerdings haben sich die Verhältnisse im Zuge der programmatischen Abwirtschaftung des Sozialstaats und der neofeudalen Reorganisation der Gesellschaft mehr noch polarisiert als in den 1990er Jahren. Die Welt wird von mehreren synchron verlaufenden Krisen durchschüttelt, die das materielle Überleben von immer mehr Menschen akut in Frage stellen. Die Forderungen emanzipatorischer Kräfte nach einer sozial gerechteren Weltordnung haben es schwer, sich gegen das die Aushungerung angeblich unproduktiver Menschen propagierende sozialdarwinistische Überlebensprimat zu behaupten. In Frage gestellt von dem neokonservativen Elitismus, der die Zentralen der administrativen und ökonomischen Macht erobert hat, wird nichts geringeres als der demokratische und egalitäre Charakter der Verfassungsordnung. Diese wird mit technokratischer Sachzwanglogik in eine Legitimationskrise manövriert, in der ihr die Umwertung aller Werte zugunsten eines postdemokratischen, den individuellen Erfolg zu Lasten jeder Form solidarischer Gemeinschaft glorifzierenden Mangelregulativs droht.

Die Kölner Klagemauer ist ein Ort der Begegnung, an dem dieser Absicht zuwidergehandelt wird. Daß dies auch am Beispiel Palästina erfolgt, liegt nahe, kreuzen sich in diesem Konflikt doch nicht nur neokolonialistische und geostrategische Interessen oder der orientalische und okzidentale Kulturkreis. Die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern ist zu einem Gutteil ein Sozialkonflikt. Die Gesellschaft, deren Regierung die Besatzungspolitik zu verantworten hat, genießt die materiellen Privilegien und politischen Freiheiten der sogenannten Ersten Welt, die in mehreren fremdverfügte Entitäten parzellierten Palästinenser hingegen erleiden das Elend und die Not des ausblutenden Südens.

So geht es bei der Auseinandersetzung um die Kölner Klagemauer nicht um vordergründige Sympathien und Abneigungen, wie sie am Beispiel der Person Walter Herrmann mit unverkennbarer sozialchauvinistischer Konnotation verhandelt werden. In ihr werden politische Dispositionen wirksam, mit denen der Vorwurf des Antisemitismus so sehr verabsolutiert wird, daß er all das unsagbar macht, worüber so dringend gesprochen werden müßte. Sollte Walter Herrmann verallgemeinernd über "die Juden" herziehen und sie kollektiv für das Schicksal der Palästinenser verantwortlich machen, dann wäre der an ihn gerichtete Vorwurf des Antisemitismus zweifellos berechtigt. Beweise dafür scheinen nicht vorzuliegen. Da eindeutig rassistische Ausfälle an der Klagemauer sehr viel mehr Handhabe für eine erfolgversprechende Anklage wegen Volksverhetzung böten, wären sie sicher schon gegen Herrmann eingesetzt worden.

Dessen Gegner haben, indem sie den Antisemitismusvorwurf bis zur fast beliebigen Verwendbarkeit verallgemeinern und gleichzeitig auf ein eng umgrenztes Exempel konzentrieren, leichtes Spiel. Ihn gegen die aktive Palästinasolidarität in Stellung zu bringen birgt in Anbetracht des außenpolitischen Primats weitreichender Unterstützung Israels und der regierungsamtlich propagierten Totalitarismusdoktrin, mit der Nazis und Linksradikale über den gleichen Kamm staatstragender Ideologie gesichert werden, ein weit geringeres Risiko, als sich mit einer auf der Höhe des kolonialistischen Gewaltverhältnisses angemessenen Kritik an der israelischen Regierungspolitik der Gefahr auszusetzen, als judenfeindlicher Rassist stigmatisiert zu werden. Äquivalent zur Aufstellung des transatlantischen Bündnisses in der geostragischen Arena des Nahen und Mittleren Ostens agiert die Apologie israelischer Besatzungs- und Annexionspolitik aus einer Position der Stärke heraus, der ein wandelnder Anachronismus wie der Straßenaktivist Herrmann kaum etwas entgegenzusetzen hat. Die Klagemauer zu verbieten, wie es ihre Gegner heute nicht anders fordern, als es das Domkapitel und die Stadtverwaltung vor 14 Jahren durchsetzten, hätte eine Sprachlosigkeit zum Ergebnis, die nur einem Interesse, der Vertiefung etablierter Herrschaftsverhältnisse, zuarbeitete.

Klaus Franke im Gespräch mit Passanten

Klaus Franke im Gespräch mit Passanten

"Volksverhetzung" die zweite ... ein Zivilpolizist klagt an

Während die Klagemauer die Folgen des israelischen Bombardements auf Gaza zum Thema hatte, kam es am 5. Juli 2009 zu einer folgenreichen Auseinandersetzung zwischen dem Klagemauer-Aktivisten Klaus Franke und einem Polizeikommissar, der als Zivilbeamter auf der Domplatte eingesetzt war. Aufgrund der Aussagen des Polizeibeamten wurde Franke am 18. März 2010 vor dem Kölner Amtsgericht wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der Angeklagte Juden und Homosexuelle auf eine Weise beschimpft habe, die den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle.

Da Wort gegen Wort standen und der Verurteilte auf seiner Schilderung der Hergangs der Auseinandersetzung besteht, kommt es am 19. August um 9.30 Uhr im Saal 213 vor dem Landgericht Köln zur Berufungsverhandlung. In einer Pressemitteilung, mit der zum Besuch des Prozesses aufgerufen wird, gibt Walter Herrmann seine Sicht des Vorgangs wieder.

Weil die Betreiber der Klagemauer zu Palästina fast täglich von Sympathisanten Israels als "Antisemiten" und "Nazis" beschimpft worden wären, hätten sie miteinander abgesprochen, auf Provokationen nach Möglichkeit nicht zu reagieren. Daran hätten sie sich auch am 18. März, an dem in Köln die alljährliche Christopher-Street-Day-Parade stattfand, gehalten. An diesem Tag sei die Klagemauer von zwei alkoholisierten jungen Frauen attackiert worden, indem sie die dort aufgestellten Blumentöpfe umtraten und Klagemauer-Flugblätter zerfetzten. Nachdem eine von Herrmann gerufene Polizistin sich der Angelegenheit angenommen hatte, sei der Polizeikommissar Schildmann in Zivilkleidung auf Franke, der ein Plakat zum Überfall auf Gaza hielt, zugegangen. Er habe ihn mit den Worten "Na, du Antisemit!" angepflaumt, wie Herrmann bezeugt. Der Angesprochene soll Schildmann lediglich aufgefordert haben, ihn in Ruhe zu lassen und weiterzugehen. Dieser ließ sich davon nicht beeindrucken, sondern bezeichnete die Klagemauer zu Palästina laut Herrmann als einen "Fall von Volksverhetzung" und warf ihren Betreibern "antisemitische Agitation" vor. Zudem habe er vorgegeben, für RTL zu arbeiten und damit gedroht, eine "große Sache" daraus zu machen. Der Polizist will demgegenüber lediglich gesagt haben, daß seine Frau, die Journalistin bei RTL sei, Frankes Äußerungen, wenn er sie ihr gegenüber getätigt hätte, zum Anlaß genommen hätte, die Sache groß aufzumachen.

Klaus Franke habe nicht weiter auf Schildmann reagiert, sondern seinen Blick auf die Polizistin und die jungen Frauen gerichtet. Nun jedoch sei dieser persönlich geworden und habe Franke bezichtigt, ein Homosexuellen- und Judenhasser zu sein. Dabei sei er noch einmal auf die Klagemauer zu sprechen gekommen und habe den Vorwurf der Volksverhetzung wiederholt. Erst dann habe Franke reagiert, indem er die Kopie eines Artikels des Kölner Stadtanzeigers vom 20. März mit der Überschrift "Schockierende Berichte über Gaza-Einsatz" hervorzog und meinte, dann müsse er auch dieser Tageszeitung "Volksverhetzung" vorwerfen. Daraufhin soll Schildmann Franke als "dreckiges Nazi-Schwein" beschimpft haben, was dieser mit "Arschloch!" quittierte. Das sei für Schildmann Anlaß gewesen, sich anhand seines Ausweises als Polizeibeamter zu erkennen zu geben. Franke stellte daraufhin sein Demo-Schild ab und setzte sich auf einen Stuhl vor dem Domforum. Als ihm der Polizeikommissar dorthin folgte, zog sich Franke in das Domforum zurück und blieb dort, bis dieser gegangen war.

Schildmann erstattete eine Woche später Anzeige wegen Volksverhetzung. Er sei als Zivilpolizist auf der Domplatte im Einsatz gewesen, um Taschendiebstähle zu verhindern. Zur Klagemauer sei er gekommen, um der Polizistin notfalls in der Auseinandersetzung mit den beiden jungen Frauen beizustehen. Dort habe Klaus Franke ihn aufgefordert, den Ort zu verlassen. Als Schildmann dem nicht nachkam, habe Franke ihn mit den Worten bedacht "Warum verschwindest du schwule Sau nicht?" Des weiteren, so Schildmanns Aussage in der Anklageschrift vom 17. Dezember 2009, soll er den Polizisten bezichtigt haben "so wie du aussiehst, bist du bestimmt auch einer dieser schwulen Perversen, die hier heute rumrennen." Dagegen habe sich Schildmann verwahrt, indem er seinen Ehering vorzeigte, um klarzumachen, daß Franke mit seiner Vermutung falsch liege. Daraufhin habe Franke erst recht mit einer Schimpftirade losgelegt: "Ah du bist also einer von diesen perversen, schwulen, jüdischen Arschlöchern, die auch noch andere Schwuchteln heiraten". Zudem habe er gesagt "Hab ich's doch gewusst: Jude! Sehe ich schon an der Nase". Dabei habe er einen Zeigefinger zu einer Hakenform gekrümmt und sein Gesicht zu einer Fratze verzerrt, um fortzufahren: "Na Jude, wer bezahlt dich schwules Judenarschloch dafür, dass du hier rumschnüffelst?" Franke soll Schildmann nach dessen Aussage schließlich noch als "Arschloch!", "Schwule Sau!" und "Judenarsch" tituliert haben.

In seiner Presserklärung bestreitet Herrmann, daß diese Version des Ereignisses auf die Situation auf der Domplatte und zur Person des Aktivisten passe. Dazu wirft er unter anderem folgende Fragen auf:

" - Warum sollte Klaus, der seit über 5 Jahren an der Klagemauer engagiert mitarbeitet, ohne daß es Klagen gab zu seinem Umgang mit Besuchern der Domplatte, plötzlich dermaßen ausrasten? - Hätte die Polizistin, zu der sich Schildmann gesellte, nicht zumindest den Anwurf 'Hau ab du schwule Sau!' mitbekommen müssen? - Und dann: Was wäre denn die normale Reaktion eines Polizisten, der in der Öffentlichkeit als 'schwule Sau!' beschimpft würde? Er würde doch, wenn er in Zivil wäre, sich als Polizist zu erkennen geben und von seinem Gegenüber sofort die Personalien anfordern für eine Anzeige wegen Beleidigung. Keinesfalls würde er seinen Ehering vorzeigen, um klarzustellen, daß er nicht schwul ist !! - Zu bedenken ist auch: Der Vater von Klaus war Halbjude und ist an den Folgen seiner Internierung in der Nazizeit gestorben. Klaus kooperiert seit 3 Jahren an der Klagemauer mit Jonas Müller-Brodmann, der ebenfalls jüdische Wurzeln hat. Woher soll sich eigentlich der ihm unterstellte Judenhass speisen? "

Klagemauer überschattet vom Dom

"... es liegt ein Grauschleier über der Stadt"

Der zuständige Amtsrichter Wiegelmann entschied mit Argumenten zugunsten der Version des als Zeuge der Staatsanwaltschaft auftretenden Polizeikommissars Schildmann, die Herrmann als "Glaubenssätze" anzweifelt. So habe Schildmann vor Gericht "einen ruhigen gelassenen Eindruck" gemacht, seine Aussage wäre "neutral und abwägend" gewesen, und er habe "nicht den Eindruck" vermittelt, "dem Angeklagten schaden zu wollen". Dem Richter erschien es "mehr als ungewöhnlich", daß Schildmann in seiner Funktion als Polizeibeamter in Zivil "grundlos Passanten, die allein dadurch auffallen, dass sie ein Schild festhalten, als Antisemit oder gar 'dreckiges Nazischwein' beschimpft". Darüberhinaus war es dem Richter "noch viel weniger plausibel (...), dass ein Polizeibeamter solche Beschimpfungen tätigt, wenn in unmittelbarer Nähe eine uniformierte Kollegin steht, so dass die Gefahr besteht, dass diese den ganzen Vorgang mitbekommt."

Vom Zeugen Herrmann hingegen hatte der Amtsrichter einen höchst unvorteilhaften Eindruck. Er habe das Gericht "trotz deutlicher Belehrung (...) offenkundig angelogen", er habe "fahrig und nervös" gewirkt und sei nicht in der Lage gewesen, "den Abteilungsrichter anzusehen". Herrmann habe sich "ständig bei dem Angeklagten mit Blickkontakten und Nicken" versichert, "dass er alles 'richtig' aussage". Insgesamt habe "die gesamte Aussage des Zeugen Herrmann unecht, einstudiert und allein von dem Wunsch beseelt, dem Angeklagten Franke zu helfen", gewirkt, so Richter Wiegelmann in der Urteilsbegründung.

Walter Herrmann und Mitstreiter

Die Glocke zum Aufwachen läuten ... Walter Herrmann (rechts) und Mitstreiter

Den Antrag der Verteidigung, die bei dem Vorfall anwesende uniformierte Polizistin zu ermitteln und anzuhören, wies das Gericht mit dem Argument zurück, daß es "nicht ersichtlich" sei, "dass die Polizeibeamtin irgendwelche Bekundungen zur Sache machen könnte. Dies insbesondere deshalb nicht, weil nach den insoweit übereinstimmenden Bekundungen der heute vernommenen Zeugen und des Angeklagten die Beamtin zum Einen mit dem Gespräch mit den randalierenden Frauen beschäftigt war und zum Anderen die Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen Schildmann nur in einer mäßigen Lautstärke ablief". Des weiteren wurde der am Ort des Geschehens herrschende Geräuschpegel angeführt, aufgrund dessen es "ausgeschlossen" erscheine, "dass die Beamtin Angaben zur Sache machen kann".

Die Identität dieser für die Verteidigung dennoch wichtigen Zeugin konnte laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 17. Dezember 2009 "nicht festgestellt werden". Ohnehin habe die unbekannte Polizistin "vor Ort gegenüber dem Zeugen Schildmann" angegeben, "nichts von dem Vorfall zwischen ihm und dem Angeschuldigten mitbekommen zu haben", so die Begründung für die in der Hauptverhandlung aufrechterhaltene Linie, diese Tatzeugin nicht zuzulassen.

Die Frage, wie vernehmlich die angeblichen Beschimpfungen gegenüber dem Zivilpolizisten ausgestoßen worden sein sollen, war für die Urteilsbegründung in mehrerlei Hinsicht wesentlich. Daß sie dazu geeignet waren, "den öffentlichen Frieden zu stören" und damit den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. I StGB zu erfüllen, setzte laut Urteilsbegründung zumindest voraus, daß sie "doch deutlich hörbar gegenüber einem Polizeibeamten abgegeben" wurden, der sich allerdings erst später als solcher zu erkennen gab. Als ob dies zur Begründung nicht ausreichte, argumentierte das Gericht des weiteren: "Aufgrund des ständigen Passantenstroms am Tatort war zudem nicht auszuschließen, dass auch vorübergehende Passanten die Beschimpfungen hören würden. Dies ist ohne Weiteres geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören." Zeugen dafür scheinen sich nicht gemeldet zu haben, andererseits hätte in diesem Fall die Aussage der unbekannten Polizistin auch als entlastend für den Angeklagten gewertet werden können.

Eine Begründung ganz besonderer Art, mit der die Glaubwürdigkeit des schuldig gesprochenen Klaus Franke in Abrede gestellt wurde, betrifft seinen familiären Hintergrund. Daß der Vater als Halbjude nach einer Denunziation ins KZ Auschwitz deportiert worden war, wurde für die Beurteilung der angeblichen antisemitischen Gesinnung Frankes nicht in Rechnung gestellt: "Es existiert kein Erfahrungssatz, nachdem Jemand, dessen Vater in der Zeit zwischen 1933 und 1945 im KZ gewesen ist, davor gefeit ist, selbst antisemitische Beschimpfungen zu tätigen". Nachdem sich das Gericht einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich der positiven Bewertung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Schildmann zugestanden hat, beruft es sich zu Lasten des Verurteilten auf das Fehlen eines empirischen Belegs dafür, daß Kinder von Eltern, die aufgrund der NS-Rassegesetze ins KZ verschleppt wurden, unter keinen Umständen Antisemiten werden. Anders herum gesagt - das Gericht macht im Falle Frankes den unwahrscheinlichen Fall geltend, daß das Kind eines halbjüdischen NS-Opfers zu einem Judenhasser wird, ohne dafür plausible Gründe anzuführen. Offensichtlich wurde der Vorwurf des Antisemitismus ganz im Sinne jener Fürsprecher der israelischen Regierungspolitik ausgelegt, die deren Kritiker als "selbsthassende Juden" geißeln. Wären die Betreiber der Klagemauer unter den Israelsympathisanten nicht so verfemt, dann wäre diese Mutmaßung über den potentiell antisemitischen Charakter der Nachkommen jüdischer NS-Opfer dererseits wohl kaum unkommentiert geblieben.

Klagemauer mit Fahne vor Kölner Dom

Mit Pappe und Bindfäden gegen tausendjährige Ordnungen

Nun will auch der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters gegen die Klagemauer vorgehen und zur "Abstimmung weiterer Maßnahmen" (Kölner Express, 06.07.2010) einen Runden Tisch mit Spitzen von Stadt, Politik, Polizei, Justiz, Kirchen und Synagogengemeinde einberufen. Die Beteiligung von Gruppen, die ihre Interessen über die Klagemauer artikulieren, scheint nicht vorgesehen zu sein. In einem Brief an Roters rechtfertigt Herrmann die Thematisierung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern und hebt das Konzept der Klagemauer als offenes Bürgerforum hervor, das Gegenmeinungen und Gegendarstellungen zuläßt. Er betont aber auch ihren parteilichen Charakter: "Die 'Kölner Klagemauer' wendet sich seit jeher gegen Krieg und rassistische Gewalt. Sie ist eine Stimme der Schwachen, derer, die unter unverhältnismäßiger Gewalt leiden und ihre Rechte nicht einklagen können. Insofern ist sie einseitig."

Fußnoten:

[1] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13401

[2] http://www.kostenlose-urteile.de/newslistview.CW1586.htm?view=4733&pos=20%3A1&referrer=news1805&scid=9cb96d

[3] http://www.hagalil.com/archiv/2010/02/21/antiwand/

[4] https://tapferimnirgendwo.wordpress.com/2010/04/14/die-staatsanwaltschaft-hat-das-wort/

Literatur:

Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Die Kölner Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung, Bad Honnef, 1997


Copyright aller in dem Artikel verwendeten Fotos: Sabine Werner

Kinderzeichnung gegen den Krieg

Von Kinderhänden lernen ...

17. August 2010