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BERICHT/073: Deutsch-arabisches Kultur- und Integrationszentrum - Aufbruch ... (SB)


Engagiert, vital und solidarisch

Vereinsgründung am 17. März 2016 in Hamburg-Altona

Die Gründung eines Vereins ist für gewöhnlich nicht gerade ein Vorgang, um den man sich reißen würde. Angesichts der gebotenen Erfüllung aller diesbezüglichen rechtlichen Vorgaben zwecks nachfolgender Eintragung ins Vereinsregister samt Anerkennung der Gemeinnützigkeit steht ein mindestens trockenes, zähes bis ermüdend langweiliges Prozedere, wenn nicht gar Schlimmeres zu befürchten, nämlich fruchtloses Gezänk um Banalitäten und unverhohlene Postenschacherei. Daß es in den frühen Abendstunden des 17. März 2016 bei der Gründungsversammlung des "Deutsch-arabischen Kultur- und Integrationszentrums e.V." im Kollegiensaal des Rathauses Hamburg-Altona ganz anders kommen sollte, wo sich entschiedenes Engagement, Lebensfreude und solidarischer Umgang miteinander zu einem bemerkenswert vitalen Schaffensprozeß vereinten, ist folglich ein Phänomen, das auszuloten sich allemal lohnt.


Auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Jutta Noetzel, Fathi Abu Toboul, Uwe Franke
Foto: © 2016 by Schattenblick

An der Bedeutung und Hochwertigkeit des Vereinszieles, namentlich Flüchtlinge wie auch Migrantinnen und Migranten aus Ländern des arabischen Sprachraums zu unterstützen und ihre Integration zu fördern, dürfte kein Zweifel bestehen. Hamburg gehört zu den Brennpunkten der Flüchtlingsproblematik und ist in seinem vielzitierten Anspruch, das Tor zur Welt zu sein, auf ganz besondere Weise gefordert, soll die Hansestadt nicht für die vor Krieg und Unterdrückung, Hunger und Elend geflohenen Menschen lediglich eine weitere Station ihrer Drangsal sein.

Herr Dr. Uwe Franke, der in der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration die Abteilung Integration, Zivilgesellschaft und Opferschutz leitet, sparte in seinem Grußwort nicht an Wertschätzung hinsichtlich der Ziele des Vereins, wie sie in dessen Satzung zum Ausdruck kommen. Diese greife Themen auf, die für das Zusammenleben von größerer Bedeutung als jemals zuvor seien. Wenngleich der Staat sehr viel tue, könne er diese Aufgaben nicht allein bewältigen. Daher sei das Engagement von Vereinen wie auch einzelnen Bürgerinnen und Bürgern notwendig und sehr willkommen. Die nach wie vor beeindruckende Anteilnahme der Bevölkerung sei ein Ausdruck von Willkommenskultur, zu der auch der Verein beitragen werde, was man gar nicht hoch genug bewerten könne.

Franke begrüßte insbesondere die dreigestaltige Zielsetzung, sich für die Integration von Flüchtlingen, für in Hamburg lebende Menschen mit Migrationshintergrund und darüber hinaus für alle benachteiligten Kinder, Jugendlichen und Familien unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht, einzusetzen. Das Vorhaben, eine chancengerechte Teilhabe an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu fördern, wie es in der Satzung angelegt sei, gehe Hand in Hand mit den Integrationsansätzen des Senats, wozu auch der Integrationsbeirat ein wichtiges Wort mitzusprechen habe. Der Verein gebe ein starkes Signal, sich nicht nur für die Interessen der eigenen Community einzusetzen, sondern für alle Benachteiligten. Dies gelte um so mehr, als er nicht bei Null anfange, sondern an die engagierte Arbeit der "Arab Union of Photographers" anknüpfen könne, mit dessen Vorsitzenden Herrn Toboul die Behörde seit Jahren vertrauensvoll zusammenarbeite.


Podium von der Seite gesehen - Foto: © 2016 by Schattenblick

Jedes Wort der Mühe wert ...
Foto: © 2016 by Schattenblick

Fathi Abu Toboul, der gemeinsam mit Jutta Noetzel zur Gründungsversammlung eingeladen hatte und auf dieser zum 1. Vorsitzenden des neuen Vereins gewählt wurde, kann man als die Seele und den Motor der Initiative charakterisieren, ohne damit den kollektiven Beitrag zahlreicher Mitstreiterinnen und Mitstreiter in Abrede zu stellen. Herr Toboul hat sich seit mehreren Jahren in Hamburg als engagierter Fürsprecher und Unterstützer von Flüchtlingen und Migranten einen Namen gemacht, wobei nicht zuletzt die von ihm organisierten Fotoausstellungen zum Arabischen Frühling weithin Beachtung fanden.

Das "Deutsch-arabische Kultur- und Integrationszentrum" ist in der Tat kein Projekt, das mit frischem Optimismus, doch ansonsten leeren Händen daherkäme. Es verknüpft vielmehr die langjährige berufliche oder ehrenamtliche Arbeit einer ganzen Reihe von engagierten Menschen, die mittels der Vereinsstruktur ihre Kräfte bündeln, die erprobte Vernetzung ausbauen und den Zusammenhalt der Initiativen stärken wollen. Ein mehr als zehnjähriger Umgang mit dem Thema häusliche Gewalt, fünf Jahre Flüchtlingsarbeit gemeinsam mit verschiedenen Organisationen, dazu Rechtsberatung, Patenschaften, Übersetzungen und vieles mehr zeugen von einem fundierten Erfahrungsschatz, der in Zukunft noch erfolgreicher dazu beitragen soll, in der Stadt etwas zu bewegen.


Menschen im Publikum heben einen Arm - Foto: © 2016 by Schattenblick

Stimmabgabe per Handzeichen zur Vereinssatzung
Foto: © 2016 by Schattenblick

Da viele Gründungsmitglieder seit langem in Initiativen, Vereinen, Stadtteilgruppen, Kirchen, Moscheen und an sozialen Brennpunkten tätig sind, kann man mit Fug und Recht von einer Basisarbeit sprechen, die insbesondere von Menschen getragen wird, für die Deutschland so etwas wie eine zweite Heimat geworden ist oder werden könnte. Das verleiht dem Verein eine Eigenständigkeit und Kompetenz, die durch keinen von höherer Stelle verordneten politischen Auftrag oder NGO-vermittelten Impuls gefiltert oder gesteuert ist. Er versteht sich als Anlaufstelle für all jene, die einer Unterstützung bedürfen, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer Ethnie oder sonstigen Sonderheit. Diese Verbindung von vielfältiger Hilfestellung und weitgespannter Akzeptanz sollte dazu beitragen, aus Unterschieden gespeiste Konflikte abzubauen und Spaltungstendenzen das Wasser abzugraben.

Diese Offenheit darf man freilich nicht mit "Multikulti" verwechseln, jenem luftigen Begriff, der an diesem Abend erfreulicherweise nicht ein einziges Mal fiel. Zum einen ist das gemeinsame Anliegen zu ernst, zum anderen geht es gewiß nicht um das Liebäugeln mit einer aus hiesiger Sicht als exotisch empfundenen Angebotspalette an Konsummöglichkeiten für gehobene Ansprüche im Kontext der Gentrifizierung. Anliegen des Vereins ist es vielmehr, den interkulturellen Dialog mit der Nachbarschaft und im Stadtteil zu fördern, um die Akzeptanz und gegenseitige Verständigung zu verbessern. Die Stärkung des sozialen Zusammenhalts gilt insbesondere Zielgruppen, die zu den schwächsten der Gesellschaft gehörten: Flüchtlinge und Migranten, Opfer von Folter und Willkür, Opfer häuslicher Gewalt, Frauen, Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen im allgemeinen.


Kandidaten stellen sich vor - Foto: © 2016 by Schattenblick Kandidaten stellen sich vor - Foto: © 2016 by Schattenblick Kandidaten stellen sich vor - Foto: © 2016 by Schattenblick

Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl des Vorstands
Fotos: © 2016 by Schattenblick

Wie aus der Vorstellung der vorgesehenen Vereinsarbeit durch Herrn Toboul hervorging, bilden Beratung, Betreuung und Begleitung das Fundament. Für nicht minder wichtig erachte man die Einbettung im engeren und weiteren sozialen Umfeld, da Integration als ein beiderseitiger Prozeß aufgefaßt werden könne, dem durch persönliche Begegnung und Austausch am besten gedient sei. Veranstaltungen, Vorträge, Sprachkurse und nicht zuletzt politische Bildung dienten dazu, Kenntnisse zu vermitteln und den Wissensstand zu verbessern, was wiederum ausschlaggebend hinsichtlich der schulischen Bildung und beruflichen Perspektive sei. So gelte es insbesondere, Konflikte und Probleme von Jugendlichen frühzeitig zu erkennen und diese bei der Bewältigung zu unterstützen. Geplant ist auch künftig eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den maßgeblichen Behörden, natürlich dem Integrationsbeirat wie auch diversen Akteuren auf den Feldern der Politik, Arbeit und Bildung und Initiativen vor Ort.


Zettel am Rechner werden gezählt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Auszählung der Stimmen bei der Vorstandswahl
Foto: © 2016 by Schattenblick

Eine erfolgreiche Arbeit, so unterstrich Jutta Noetzel, hänge nicht zuletzt von der Unterstützung seitens engagierter Bürgerinnen und Bürger ab. Daher wolle man neben den vorhandenen Netzwerken auf Verwaltungsebene auch die persönlichen Kontakte nutzen und ausbauen, eine gute Presse- und Öffentlichkeitsarbeit entwickeln, mehrsprachige Broschüren mit Informationen erstellen, eine Webseite aufbauen und soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter nutzen, um Multiplikatoreneffekte zu erzielen.

Die leidige Aufgabe, die Beratung und Verabschiedung der Vereinssatzung über die Bühne zu bringen, fiel dem Versammlungsleiter Frank Lundbeck zu. Der Jurist war früher in der Baubehörde tätig und unterrichtet derzeit Deutsch in einer Flüchtlingsunterkunft in Barmbek-Süd. Wenngleich der Satzungsentwurf offenkundig sachgerecht konzipiert war, bedurfte es natürlich zum besten Verständnis der rund 80 Anwesenden, von denen sich 56 als stimmberechtigte Gründungsmitglieder eintrugen, einer angemessenen Debatte jeglicher Fragen, Einwände und Änderungsvorschläge samt deren Abstimmung. Das war auch unabhängig von den mitunter komplizierten Details und erforderlichen Verfahrensweisen kein leichtes Geschäft, da alle Wortbeiträge vom Deutschen ins Arabische und umgekehrt übersetzt werden mußten.


Fathi Abu Toboul liest Wahlergebnis vor Zuhörern ab - Foto: © 2016 by Schattenblick

Viel Applaus bei der Verlesung des Wahlergebnisses
Foto: © 2016 by Schattenblick

Aus den allesamt ausgiebig erörterten Änderungsvorschlägen sei hier beispielhaft die Debatte um den Begriff "arabisch" im Vereinsnamen angeführt, der in Widerspruch zu den in der Satzung genannten Zielen als Ausgrenzung anderer Gruppen aufgefaßt werden könnte. Herr Toboul entkräftete diese Bedenken mit der Erläuterung, man habe sich bewußt auf die arabische Sprache von Flüchtlingen fokussiert, die aus 23 verschiedenen Ländern kämen. In seiner praktischen Arbeit mache der Verein ohnehin keinen Unterschied, wen er konkret unterstütze, da es um Betroffenheit und nicht um Nationalität gehe. Realistisch gesehen sei es jedoch kaum zu bewältigen, allein die arabischen Flüchtlinge abzudecken, die heute die Mehrheit stellen. Daher plädiere er dafür, die eigenen Kapazitäten nicht zu überschätzen.


Verschiedene Personen reihen sich für ein Foto auf - Foto: © 2016 by Schattenblick

Gruppenbild zum Abschluß eines langen Abends
Foto: © 2016 by Schattenblick

Als die ursprünglich auf eine Stunde angesetzte Gründungsversammlung die zweite überschritten hatte und sich bedenklich der dritten zuneigte, gab Herr Lundbeck zu bedenken, daß eine Nachtschicht oder gar Vertagung drohe, wenn man so weitermache, wie bisher. Das sahen auch viele andere so, was die Anwesenden jedoch nicht daran hinderte, alle angemessen zu Wort kommen zu lassen, die das wünschten. Tatsächlich blieb den ganzen Abend jedweder Vorwurf aus, jemand halte den Laden unnötig auf. Noch erstaunlicher mutete freilich an, daß mit zunehmender Dauer des Verfahrens kein ersichtliches Unbehagen aufkam, sondern die Stimmung im Gegenteil stieg, bis sie in der einstimmigen Annahme der Satzung mit allen beschlossenen Änderungen einen ersten Höhepunkt erreichte, um schließlich bei der Vorstellung und Wahl der Kandidatinnen und Kandidaten für den Vorstand endgültig ihren Gipfel zu erreichen.

Man mag diese Gesprächskultur, solange miteinander zu diskutieren, bis alle zufrieden und einverstanden waren, selbst wenn ihr Antrag abgelehnt wurde, zugewandt oder solidarisch nennen. Daß die Gründungsversammlung als solche von wachsender Freude und Zuversicht geprägt war, ist jedenfalls ein gutes Omen für die künftige Vereinsarbeit, deren Grundstein an diesem Abend nicht nur in formaler Hinsicht gelegt worden sein dürfte.


Vorderfassade des weißen Gebäudes - Foto: © 2016 by Schattenblick

Vereinsgründung im Altonaer Rathaus
Foto: © 2016 by Schattenblick


29. März 2016


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