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INTERVIEW/193: Fleischprodukte - Zunder unter Kapitalverwurstung ...    Sanna und Tobi im Gespräch (SB)


An mindestens zwei Orten wurde auch in Hamburg an der von der Aktion Arbeitsunrecht initiierten und bundesweit ausgetragenen Aktion Freitag13 gegen den Schlachtkonzern Tönnies [1] protestiert. In St. Pauli hatten AktivistInnen der Industrial Workers of the World (IWW), der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU), der Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIF) und des "Anlaufpunktes gegen Arbeitsunrecht" in Wilhelmsburg einen gemeinsamen Stand organisiert. Dort wurde die Ausbeutung im Schlachthof, die die bei Tönnies als Angestellte von Werkvertragsfirmen besonders schlecht gestellten ArbeiterInnen am härtesten trifft, in Redebeiträgen und auf Flyern öffentlich gemacht. Sanna von der IWW und Tobi von der FAU waren bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu der Protestaktion zu beantworten.


Schattenblick (SB): Warum beteiligt ihr euch als unabhängige Gewerkschaften heute an dem bundesweiten Aktionstag gegen das Fleischunternehmen Tönnies?

Tobi: Das System Tönnies beutet die Arbeiter aus, Leiharbeiter wie auch Werksverträgler. Für uns als Gewerkschaft ist es ungemein wichtig, gegen diese Mißstände anzugehen. Die Leute müssen vernünftig bezahlt werden, weil es ein sich gegenseitig bedingendes System ist: Mitarbeiter, die schlecht bezahlt werden, können nicht viel Geld für Lebensmittel ausgeben und brauchen daher günstige Lebensmittel - um billige Lebensmittel herzustellen, werden wiederum Arbeiter und Arbeiterinnen eingesetzt, die sehr schlecht bezahlt werden. Um günstige Lebensmittel zu generieren und da etwas zu bewirken, sehen wir natürlich die Notwendigkeit, an den Bedingungen und der Organisation der Arbeit wie an der kompletten Produktionsweise der Fleisch- und Lebensmittelindustrie etwas zu verändern. Nur Bio reicht einfach nicht aus.

SB: Wißt ihr etwas darüber, was die DGB-Gewerkschaften, also etwa die NGG, in der Sache unternehmen?

Tobi: Vorhin wurde in einem Redebeitrag hier thematisiert, daß die NGG schon versucht, einen Fuß in die Tür zu kriegen, aber von seiten Tönnies' aus finden keine Verhandlungen statt. Es ist natürlich ein ganz unübersichtlicher Bereich, da man es mit Menschen zu tun hat, die bei Werksvertragsfirmen und Leiharbeitsunternehmen angestellt sind oder zur Stammbelegschaft gehören und dazu noch aus verschiedensten Ländern kommen. Da ist es natürlich sehr schwer zu organisieren, Mitglieder zu generieren und eine Basis aufzustellen, um in den Betrieben selber Fuß zu fassen. Das hat natürlich auch System.

SB: Sanna, könntest du etwas zum Standpunkt der IWW sagen?

Sanna: Wir sind grundsätzlich gegen Verträge, auch in diesem Fall gegen Werkverträge, die sich natürlich den Tarifverträgen vollkommen entziehen und wo die Arbeiter auch gar keine Möglichkeit haben, sich in irgendwelchen Gewerkschaften zu organisieren, zumal es in den Betrieben keinen Betriebsrat gibt. Das sind eben unsere Minimalanforderungen in einem System, in dem wir eigentlich generell gegen Verträge sind. Unser Anliegen ist aber auch, darauf aufmerksam zu machen, daß nicht einmal mehr Tarifverträge in diesem Land zustandekommen und daß es in großen Betrieben immer noch rechtliche Schlupflöcher gibt und die Politik nichts dagegen unternimmt.

SB: Ist es nicht so, daß Werkvertragsarbeit politisch unterstützt wird, weil Lohndrückerei der deutschen Exportwirtschaft, die im Fleischbereich sehr stark ist, unter die Arme greift?

Sanna: Das ist richtig, aber es sind die falschen Mittel, wenn Deutschland mit solchen Arbeitsbedingungen zu einem Exportland wird. Man muß sich auch die Hintergründe anschauen, warum die deutsche Wirtschaft so preiswert Waren exportieren kann. Man muß die Politik kritisieren und die Bevölkerung besser darüber informieren, unter welchen Bedingungen in solchen Riesenunternehmen gearbeitet wird. Bei Tönnies handelt sich um das größte Schweineschlachtunternehmen des Landes, das seine Geschäfte zudem in ganz Europa macht. Wir wollen darauf aufmerksam machen, daß die Leute de facto aus Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern angekauft werden, daß sie hier teilweise horrende Mieten zahlen müssen und überhaupt keine Chance haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren, weil alles über Subunternehmen gehandhabt wird. Diese Arbeiter sind ja auch in ihren Heimatländern nicht organisiert und haben daher überhaupt keinen Zugriff, etwas an ihrer Situation zu verändern.

SB: In Deutschland kann diese Hochleistungstierproduktion nur mit importiertem Soja und anderen Futtermitteln aus aller Welt, zum Beispiel aus Brasilien, betrieben werden. Protestiert ihr auch dagegen, daß die Fleischproduktion hierzulande wesentlich über die Ausbeutung von Arbeitskraft und Ressourcen in Ländern des Südens betrieben wird? Ist das Bestandteil eurer Überlegungen?

Tobi: Das beziehen wir natürlich in unsere Überlegungen mit ein, denn das ganze System ist in globale Zusammenhänge eingebettet. Daher üben wir nicht nur an Tönnies Kritik, sondern an der Nahrungs- und Lebensmittelindustrie insgesamt, da ist dieser Aspekt ganz klar wichtig. Das ist eine sehr weitreichende Ausbeutungskette. In Brasilien werden nicht nur die Waldbewohner aus den Regenwäldern vertrieben und die Leute, die Soja abbauen, ganz miserabel bezahlt, sondern es handelt sich um ein weltweites System. Das System heißt Kapitalismus und ist überall anzugreifen. IWW und FAU haben natürlich in aller Welt Schwestergewerkschaften, und wenn es da Aktionen gibt, beteiligen wir uns mit Soliaktionen und schauen, wie wir die Sache unterstützen können.

SB: Ihr seid ja schon einige Stunden hier. Wie waren die Reaktionen der Passanten, wie haben die Leute auf eure Flugblätter und eure Reden reagiert?

Sanna: Insgesamt gut, viele haben sich schon mit dem Themenbereich beschäftigt, wie wir in Gesprächen erfuhren. Möglichst viele, denen wir die Flugblätter gegeben haben, lesen diese hoffentlich zu Hause.

SB: Wie weit spielt der Aspekt der Tierausbeutung für euch eine Rolle?

Sanna: Wie schon gesagt wurde, greift das systemisch ineinander. Die Tierausbeutung ist natürlich systemimmanent und würde anders gar nicht funktionieren.

SB: Konntet ihr als unabhängige Gewerkschaften in der Arbeiterschaft von Tönnies oder anderer Fleischunternehmen irgendwelche Organisationsansätze schaffen? Könnt ihr direkt in die Betriebe hineinwirken?

Tobi: Es ist für uns direkt vor Ort schwer reinzukommen. Das liegt auch ein wenig an den zu geringen Kapazitäten, die wir momentan aufbringen können, zumindest hier in Hamburg, wo Tönnies gar nicht vertreten ist. Ich weiß nicht, wie es anderswo ist.

SB: In den USA, wo die IWW entstanden ist, gibt es eine stark ausgebaute Tierindustrie, die zum Beispiel auch eine Form des ökologischen Rassismus betreibt, wenn Schweinegülle in unmittelbarer Nähe von Ansiedlungen, in denen überwiegend nichtweiße Menschen leben, in die Luft gepustet wird. Wie ist die IWW dort aufgestellt?

Sanna: Dazu muß man sagen, daß die IWW zwischen dem nordamerikanischen Flügel und dem europäischen geteilt ist. Über den amerikanischen Flügel kann ich nur so viel sagen, daß es da wahrscheinlich auch eine radikalere Form der Zusammenarbeit gibt. Die amerikanischen Mitglieder der IWW schließen auch mit Tierbefreiungsbewegungen oder grünen Parteien Bündnisse. Insbesondere in den den liberaleren Bundesstaaten wie Washington State oder Kalifornien geht es schon ein bißchen militanter zu.

SB: Sanna und Tobi, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0131.html

19. September 2019


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