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BERICHT/072: Linke Buchtage Berlin - Rote Zora und die Archive des Alltags ... (SB)


Die Ehefrau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, daß sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen, zu denen die Unwissenheit der Eheleute gehören kann, versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.
Aus einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 2. November 1966 [1]


Wie wäre die MeToo-Debatte wohl in den 1960er und 1970er-Jahren verlaufen? Was hätte damals, in einer Zeit ohne Internet und massenwirksame Hash Tags, dafür aber von weitgehend unhinterfragten Geschlechterrollen umstellt, einem öffentlichkeitswirksamen Protest gegen sexuelle Gewalt und sexistische Zumutungen entsprochen? Zum 50. Jahrestag der 68er-Bewegung ist vor allem zu erfahren, daß die Emanzipation der Frauen auch in der neuen Linken vor dem Problem stand, von paternalistischen Genossen nicht ernstgenommen und in der Öffentlichkeit nicht minder patriarchalisch lächerlich gemacht zu werden. Feministische Positionen mußten mühsam erkämpft werden, gerade weil die Aktivistinnen Gefahr liefen, auf einem angeblich nachrangigen Konfliktfeld tätig zu sein.

Heute wird leicht vergessen, daß das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau erst vor 60 Jahren, am 1. Juli 1958, in Kraft trat. Doch die offizielle Abschaffung des Letztentscheidungsrechtes des Mannes in allen Eheangelegenheiten stellte noch lange keine unabhängig von der jeweiligen Geschlechtszuschreibung herrschende Rechtsgleichheit her. Noch 1966 bestätigte der 4. Zivilsenat am Bundesgerichtshof das Vorrecht des Mannes, mit "seiner" Ehefrau nicht nur fast nach Belieben verfahren, sondern von dieser auch affektive Zuwendung verlangen zu können. Was immer ihm an Demütigungen und Erniedrigungen von anderen Männern zugefügt wurde, an der Ehefrau konnte und sollte er sich schadlos halten. Die Kleinfamilie sollte als reproduktive Keimzelle der patriarchalen Gesellschaft und Schaltstelle herrschaftsförmiger Konditionierung insbesondere der nachwachsenden Generationen vor den Ansprüchen von Frauen auf Selbstbestimmung und Autonomie geschützt werden.

Strafrechtlich können Vergewaltigungen in der Ehe erst seit dem 1. Juli 1997 verfolgt werden, mußte zuvor doch das Kriterium des "außerehelichen Beischlafes" erfüllt sein, um eine Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen. Doch auch die vor Gericht und meist männlichen Richtern verhandelten Vergewaltigungsfälle gingen für die Betroffenen häufig schlecht aus, wurde ihnen doch nicht selten unterstellt, die Vergewaltiger zu ihrer Tat provoziert oder nicht genügend Beweise vorgelegt zu haben. Im Februar 1977 wurde die 26jährige Susanne Schmidtke so brutal vergewaltigt, daß sie kurz darauf ihren Verletzungen erlag. In den Medien wurde diese Tat, wie damals üblich, als "Sittlichkeitsverbrechen" bezeichnet. Die Sozialwissenschaftlerin Katharina Karcher schildert anhand der der daraufhin erfolgenden Proteste und des kurz darauf in München stattgefundenen Nationalen Frauenkongresses der autonomen Frauenbewegung [2], wie sich Frauen in der Nacht zum 1. Mai 1977 erstmals zu Walpurgisnachtdemonstrationen versammelten, mit denen eine neue Qualität streitbarer feministischer Präsenz erzeugt wurde, für die es Anlässe in Hülle und Fülle gab.

Auf den Linken Buchtagen in Berlin stellte Karcher mit "Sisters in Arms - Militanter Feminismus in Westdeutschland seit 1968" das Ergebnis ihrer langjährigen Forschungsarbeit vor. Bei diesem Thema geht es nicht zuletzt um die linksradikale Frauengruppe Rote Zora. Ihren Aktivistinnen wurde bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das könnte bezeichnenderweise daran liegen, daß bei ihren politisch motivierten Anschlägen niemals Menschen zu Schaden kamen, könnte aber auch der von ihnen angegriffenen Dominanz patriarchaler Definitionshohheit geschuldet sein. So zündeten sie bereits wenige Tage vor dem 1. Mai 1977 eine Bombe in der Geschäftsstelle der Bundesärztekammer in Köln. Diese Aktion, die sich gegen das Verbot von Abtreibungen und Gewaltanwendung gegen Frauen durch Medizin und Wissenschaft richtete, verstanden sie als ihren Beitrag zur Walpurgisnacht.

Zu Beginn ihrer Buchpräsentation wies Katharina Karcher auf den auch in der feministischen Bewegung damals kontrovers verhandelten Charakter des Themas Militanz hin. In der Frauenbewegung habe damals eine regelrechte Dichotomie zwischen Gewaltfreiheit und Gewaltanwendung geherrscht, was auch zu einer Verurteilung der Frauen in der RAF durch viele Feministinnen geführt habe. Tatsächlich verstanden sich Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und andere nicht als Teil der feministischen Bewegung, gehörte doch der Kampf gegen die Unterdrückung der Frau selbstverständlich zu den Inhalten antiimperialistischer Politik. Die Charakterisierung der Frauen der RAF durch die Massenmedien und sogenannte Terrorismusexperten wiederum war und ist von patriarchalen Zuschreibungen wie etwa der Behauptung, sie seien Andreas Baader hörig, durchzogen. Die diffamierende Absicht, mit der der Tübinger Neuropathologe und Gerichtsmediziner Jürgen Pfeiffer und der Magdeburger Hirnforscher Bernhard Bogerts das Gehirn Ulrike Meinhofs untersuchten, fiel bei Bekanntwerden der Ergebnisse 2002 denn auch kaum auf. Nicht politische Absicht, sondern eine Hirnschädigung sei der ganze Grund für den Wandel Ulrike Meinhofs von einer Dame der gehobenen Hamburger Gesellschaft und erfolgreichen Journalistin zur Revolutionärin, die alle Brücken hinter sich abbrach, gewesen.

Die Trennung von den Revolutionären Zellen, denen die Aktivistinnen der Roten Zora anfangs angehörten, erfolgte laut damaliger Stellungnahmen auch in Kritik an ihrer Festlegung auf spezifisch Frauen zugeordneten Kampffeldern. Sie wollten keinen "Teilbereichskampf" führen, sondern begreiflich machen, "daß die Befreiung vom Patriarchat grundlegend für jede Befreiung ist". Die "gemeinsame Organisierung mit Männern bindet nicht nur unsere Energien in der ständigen Auseinandersetzung um die Behauptung von FrauenLesbenpositionen, sondern sie bindet uns auch in von Männern gesetzte Diskussionsprozesse ein, bringt uns immer wieder auf das Gleis der Orientierung an männlichen Normen, die wir selbst oft tief verinnerlicht haben. Sie blockiert uns damit in unserem Denken und unserer Entwicklung und steht der Herausbildung einer revolutionär- feministischen Perspektive ständig im Wege." [3]

Während ihrer aktiven Existenz von 1977 bis 1995 verübte die Rote Zora mindestens 40 Brand- und Bombenanschläge, die zum Teil erheblichen materiellen Schaden anrichteten. Dazu gehörten Anschläge mit spezifisch feministischem Hintergrund wie Attacken auf Pornoläden oder auf Forschungseinrichtungen humangenetischer und reproduktionsmedizinischer Art. Ihre Aktivistinnen führten im Rahmen internationaler Frauensolidarität Mitte der 1980er Jahre eine Anschlagskampagne gegen die Bekleidungsfirma Adler durch, die unter massiver Ausbeutung einheimischer Arbeiterinnen in Südkorea fertigen ließ. Dieser Kampf, den Katharina Karcher auf den Linken Literaturtagen ausführlicher vorstellte, war von dem Erfolg gekrönt, daß die Firma einlenkte und die Arbeitsbedingungen in der südkoreanischen Fabrik deutlich besser wurden. Daß Adler deren Standort schließlich nach Sri Lanka verlagerte, belegt aber auch, wie der globalisierte Kapitalismus derartige Angriffe kontert.

Im Selbstverständnis der Roten Zora war die Illegalität ihres Kampfes, der von den deutschen Sicherheitsbehörden als "terroristisch" eingestuft und mit dementsprechendem Nachdruck verfolgt wurde, das Ergebnis der Legalität jener Strukturen, die sie als inakzeptabel ausgemacht hatten. Ein Rechts- respektive Unrechtsverständnis, das die staatlicherseits in Anspruch genommene Legalität an ihren konkreten Auswirkungen bemißt und in ihrer exklusiven Gültigkeit verwirft, ist für weite Teile der Linken heute Geschichte, das gilt auch für die unter JuristInnen durchaus bekannte Disparität von Recht und Gerechtigkeit.

Auch wäre die heutige Frauenbewegung kaum damit einverstanden, einen frontalen Kampf gegen humangenetische und reproduktionsmedizinische Einrichtungen zu führen. Während die Rote Zora in ihren Bekennerschreiben internationalistische wie behindertenpolitische Motive anführte, wenn sie Anschläge auf Technologiezentren und Pharmafirmen verübte, denen sie bevölkerungspolitische und eugenische Zielsetzungen anlastete, werden zumindest einige biomedizinische Entwicklungen wie die IVF-Fertilisation oder hormonelle Hilfen bei der Geschlechtsumwandlung auch von Linken gutgeheißen, die damit Probleme ihrer geschlechtlichen Identität beheben können.

Dabei hatten die Aktivistinnen der Roten Zora insbesondere auf diesem Kampffeld eine historische Kontinuität sozialeugenischer Verfügungsgewalt im Blick, die die gesundheitliche und rassepolitische Aufwertung des "Volkskörpers" nicht mehr mit der offenen Vernichtung "unwerten" Lebens betreiben mußte, um dennoch die Menschen auf optimale Ausbeutbarkeit und Verwertbarkeit zuzurichten. Die in der Linken der 1980er und 1990er Jahre noch weit verbreitete und theoretisch umfassend fundierte Kritik am biomedizinischen Zugriff auf den Körper der ArbeiterInnen, der Kontrolle über die biologische Reproduktion wie der damit vertieften Festlegung der Frau auf die unbezahlte Alimentierung kapitalistischer Krisenökonomie, des behindertenfeindlichen Diskurses der humangenetischen Selektion und des bevölkerungspolitischen Rassismus ethnisch und sozial definierter Sterilisierungskampagnen haben mitnichten an Bedeutung verloren. Sie haben allerdings andere, in neoliberal maskierte Surrogate der Selbstbestimmung etwa durch die Freiheit, den Körper mit reproduktionsmedizinischen Dienstleistungen, pharmakologischer Stimulation und cyberprothetischer Aufrüstung transhumanistischer Effizienzlogik zu unterwerfen, gewandete, in ihrem sozialrassistischen Charakter daher weniger eindeutig zu durchschauende Formen angenommen.

Für Katharina Karcher hat die Diskussion um die historische Aufarbeitung des militanten Feminismus gerade erst begonnen. Bei ihrem Vortrag auf den Linken Literaturtagen sah sie ebensowenig Anlaß dazu, diese Art der Militanz rundheraus zu verwerfen als sie pauschal gutzuheißen. Zumindest gelte es aus der Geschichte zu lernen und zu sehen, was an damaligen Aktionsformen heute noch Bedeutung haben könne, meinte die an der Universität Bristol lehrende Wissenschaftlerin. Im Publikum wurde denn auch bezweifelt, daß ein solches Forschungsprojekt an einer deutschen Universität unterstützt werde.

Wenn das an diesem Tag im Kreuzberger Mehringhof gezeigte Interesse am Thema militanter Feminismus ein Indiz für die weitere Aufarbeitung dieses heute fast vergessenen Teils radikal linker Geschichte sein sollte, dann dürfte in Zukunft noch einiges dazu geschrieben und diskutiert werden. In Anbetracht anwachsender antifeministischer Aggressionen gäbe es jedenfalls gute Gründe, die wegen ihres explosiven Potentials massenmedial gut eingehegte MeToo-Kampagne in aktivistischere Bahnen zu lenken. Gründe dafür, sich nicht nur für Gender Mainstreaming bei Soldatinnen mit dem Ziel, sie für Kampfeinsätze in imperialistischen Kriegen zu rekrutieren, starkzumachen, gäbe es nach einem halben Jahrhundert Gleichstellungspolitik allemal.


Fußnoten:

[1] https://www.iurado.de/download.php?id=1154&t=1529334792

[2] https://www.akweb.de/ak_s/ak629/06.htm

[3] http://www.freilassung.de/div/texte/rz/milis/femi.htm

"Die Rote Zora" - 28minütiger Film mit Zeitzeuginnen von Oliver Ressler
http://www.ressler.at/de/die-rote-zora/

19. Juni 2018


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