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INTERVIEW/114: Messe links - die Japanroten als Linksexoten ...    Gregor Wakounig im Gespräch (SB)


Interview am 3. November 2018 in Nürnberg


Bei der 23. Linken Literaturmesse in Nürnberg stellte der Wiener Japanologe Gregor Wakounig das Buch "Die japanische Rote Armee Fraktion" [1] von William Andrews vor, an dessen Entstehung er beteiligt war und für das er das Vorwort geschrieben hat. Der britische Autor William Andrews lebt seit Jahren in Tokio, wo er vor allem zur Geschichte und Gegenwart der radikalen Linken in Japan wie auch zur freien japanischen Theaterszene forscht. Gregor Wakounig arbeitet wissenschaftlich zu aktuellen linken Bewegungen und insbesondere zur Antifa in Japan.

Im Anschluß an die Buchvorstellung beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur früheren Militanz der japanischen Linken, zur Rezeption der dortigen politischen Sphäre in Deutschland und zum Wiedererstarken linker Positionen in Japan seit Fukushima.


Bei der Buchvorstellung mit Laptop am Tisch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Gregor Wakounig
Foto: © 2018 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Gregor, wie ist es zu deinem Faible für Japan gekommen?

Gregor Wakounig (GW): Ich bin Japanologe an der Universität Wien und forsche hauptsächlich zur Geschichte und Gegenwart der radikalen Linken in Japan. Woher rührt mein Faible für Japan? Diese Frage würde in linken Kontexten nie gestellt, wenn es um Lateinamerika ginge. Das würde für völlig selbstverständlich erachtet und keiner Frage wert befunden. Wie viele Leute, die mit japanischer Populärkultur aufgewachsen sind, sprich mit Zeichentrickfilmen und Videospielen, habe ich auf diese Weise das erste Mal etwas mehr über Japan mitbekommen. Als ich im Zuge dessen beim Älterwerden anfing, mich auch politisch zu interessieren, lag es nahe, die japanische Politik davon nicht auszunehmen, sondern mich näher mit ihr auseinanderzusetzen.

SB: Wenn man die Berichte aus der damaligen Zeit hört und die Bilder sieht, erstaunt die Radikalität, mit der die Demonstrierenden zu Werke gegangen sind. Ist es ein kulturalistischer Reflex zu meinen, die Japaner seien ganz anders und besonders hart drauf, oder läßt sich das militante Auftreten aus historischen Zusammenhängen erschließen?

GW: In der Forschung gibt es einige Ansätze, das zu erklären. Einer, mit dem ich recht gut konform gehen kann, wäre beispielsweise der, daß Japan bis 1945 eine Militärdiktatur war, unter der die gesamte Gesellschaft wie eine Armee geführt wurde. Ein wirklicher Demokratisierungsprozeß fand in dem Sinn hinterher nicht statt. Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg zwar eine kurze Phase der Reeducation, wie wir dies auch aus Deutschland kennen, die de facto ein Demokratisierungsprozeß war. Dieser wurde jedoch bald zurückgefahren, weil Japan ab etwa 1948 durch starke Unterstützung der USA quasi zu einem antikommunistischen Bollwerk gegen die Sowjetunion und natürlich gegen China aufgebaut wurde. Dadurch wurden diese militärischen Verhaltensmuster - in Japan spricht man von Group society, alles ist in Gruppen organisiert - favorisiert. Das wäre ein Erklärungsansatz, wieso es beispielsweise zu diesen extremen Flügelkämpfen zwischen den zahlreichen Fraktionen der Linken kommen konnte.

Andererseits gab es diese Erscheinungen ja nicht nur in Japan. Es ist ein Teil der Japanforschung, bei dem ich mir auch selber an die Nase fassen könnte, wenn man stärker über die positiven Aspekte der japanischen Linken berichtet. Aber das ist in der Tat eine schwierige Frage, zumal leicht kulturalistische Aspekte mitschwingen.

SB: Die Geschichte der japanischen Roten Armee ist heutzutage in Deutschland weitgehend unbekannt. Damals wußte man mehr darüber, doch in der Wahrnehmung der heutigen Linken taucht sie kaum noch auf.

GW: Natürlich. Japan ist ja weit weg. Ich vergleiche das gern mit Lateinamerika, das von Europa aus gesehen etwa gleich weit entfernt ist. Da gibt es den sprachlichen und kulturellen Unterschied. Das Spanische ist eine europäische Sprache und dem Deutschen sehr viel näher als das Japanische. Wir haben mit dem Latein hier ohnehin eine Common language, und auch das Englische ist in Lateinamerika etwas verbreiteter. Die japanische Sprache hat mit den europäischen Sprachen überhaupt nichts zu tun. Allein das Lesen zu lernen und zu beherrschen erfordert Jahre. Und auch kulturell gibt es keine gemeinsame Geschichte wie im Falle Südamerikas. Was zudem ein wenig fehlt, ist die Romantik, die man mit Sonnenuntergängen in Havanna, Che-Guevara-Liedern und ein bißchen Zapatistas verbindet. Das fehlt im Sinne tradierter kultureller Klischees völlig, wenn es um Japan geht.

SB: Die Rezeption Japans in Europa ist denn doch eher religiös oder esoterisch oder auf die Kampfkünste bezogen, nicht aber politisch konnotiert und eben auch nicht in der deutschen Linken präsent.

GW: Genau. Es gab bis in die 60er Jahre hinein kaum Berührungspunkte zwischen der japanischen und der deutschen Linken. Mit den Reisen des SDS nach Japan Ende der 60er Jahre wurden erste Kontakte geknüpft. Vor dem digitalen Zeitalter war es natürlich schwerer als heute, sie aufrechtzuerhalten. Und worauf hätte man sich auch beziehen sollen? Die engste historische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Japan erfolgte im Sinne des Faschismus, als sich die Achsenmächte gegen die Alliierten als gemeinsamen Feind verbündeten. Aber ansonsten gab es so gut wie keine Anknüpfungspunkte.

SB: Hinsichtlich der Roten Brigaden in Italien standen Mutmaßungen im Raum, sie seien in einer bestimmten Phase unterwandert und instrumentalisiert worden. Gibt es Hinweise, daß das auch bei der japanischen Roten Armee Fraktion der Fall gewesen sein könnte, zumal diese nicht im Untergrund, sondern offen agierte?

GW: Zweifellos gab es Spitzel. Genauer kann ich es nicht sagen oder mit konkreten Fällen belegen. Ich habe das Buch selber nicht geschrieben, da müßtest du den Autor fragen. Aber ein Spitzelwesen gibt es in der japanischen Linken bis heute.

SB: Nach diesem großen Bruch von 1972 hat es lange gedauert, bis die japanische Linke zu einem neuen Aufbruch fähig war. Läßt sich das mit der Geschichte der deutschen Linken vergleichen, die während einer relativ langen Periode kaum noch zu existieren schien?

GW: Das ist eine gute Frage. Nein, ich glaube, das wäre ein bißchen weit hergeholt. Man braucht keine Analogien herzustellen, zumal es in Deutschland doch eine Linke gab, die es zumindest teilweise geschafft hat, noch gesellschaftlich relevant zu sein. Ich muß allerdings dazusagen, daß ich als Japanologe noch in der Ausbildung bin und hauptsächlich zu aktuellen Bewegungen forsche. Bevor ich mich in etwas verrenne, antworte ich lieber mit einem vorsichtigen Nein.

SB: Ich hatte im Zusammenhang mit der Reaktion auf Fukushima den Eindruck, daß die japanische Herrschaftsform und Ideologiebildung etwas anders als die deutsche vonstatten geht. Daß beispielsweise abweichende Meinungen und unerwünschte Positionen ausgeblendet und nicht in dem Maße im Zuge einer öffentlichen Kontroverse behandelt werden, wie es hierzulande noch stattfindet. Gibt es in Japan eher eine Art informeller Übermittlung, was opportun ist und was nicht?

GW: So verhält es sich nicht. Man kennt ein rassistisches Klischee von Japan als einer sehr dozilen und zurückhaltenden Gesellschaft, in der Konflikte nicht offen ausgetragen werden. Das ist kompletter Blödsinn. In Japan wird genauso diskutiert wie überall. Das Problem ist eher die Zusammensetzung der japanischen Medienlandschaft als solche. Japan gilt als die Industrienation mit dem geringsten Grad an Pressefreiheit und liegt in internationalen Presse-Rankings ganz weit hinten. Die Medien werden in hohem Maße staatlich kontrolliert, man bekommt als Journalistin oder Journalist kaum Zugang, wenn man nicht zumindest bis zu einem gewissen Grad im Sinne der japanischen Ideologie und Regierung schreibt. Von daher sind soziale Medien das wichtigste Medium der aktuellen japanischen Linken. Da spielen die großen Tageszeitungen eine sehr untergeordnete Rolle, wobei man einräumen muß, daß es nach Fukushima in gewissem Umfang wieder einen öffentlichen Diskurs gibt. Man kam halt doch nicht mehr drumherum, wenn wirklich Hunderttausende Leute auf der Straße sind.

SB: Wie stark würdest du die autonome Linke in Japan einschätzen, in der du dich selbst am ehesten politisch verorten könntest?

GW: Ich würde sie auf jeden Fall als schwach einschätzen. Bis auf einige glückliche Aktionen wie die überraschend große erste Anti-Atom-Demonstration kurz nach Fukushima sind es hauptsächlich undogmatische kleine Gruppen, die sehr viel Stadtteilarbeit und ähnliches machen, aber weit davon entfernt sind, stärker Einfluß zu nehmen. Der größte Erfolg der autonomen Linken, die ich im Sinne des Wortes als nichtparteigebunden begreife, wäre auf jeden Fall, daß es gelungen ist, zumindest wieder linke Inhalte im gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu einem Thema zu machen. Das war's dann aber auch.

SB: Gregor, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:


[1] William Andrews: Die japanische Rote Armee Fraktion, bahoe books Wien 2018, 154 Seiten, 15,00 Euro, ISBN 978-3-903022-77-5


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