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GRENZEN/049: Festung der Unmenschlichkeit (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 41 vom 11. Oktober 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Festung der Unmenschlichkeit

von Manfred Idler



Retter und Helfer sind erschüttert: "Es ist furchtbar da unten, Dutzende Leichen, vielleicht Hunderte" berichtete ein Taucher, der zum Wrack des am 3. Oktober vor Lampedusa gesunkenen Flüchtlingsboots in 40 Metern Tiefe hinabgetaucht war. Särge standen aufgereiht auf dem Kai des gleichnamigen Hauptorts der Insel, ständig kamen neue hinzu.

Die Flüchtlingskatastrophe mit vermutlich über 300 Opfern wirft ein grelles Licht auf die Verantwortlichen. Die Toten sprechen das Urteil über die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union und ihr Konzept der "Festung Europa". "Wir haben die Pflicht, der italienischen Regierung und der Europäischen Union zu erklären, dass ihre Strukturen und ihre Politik nicht nur unakzeptabel sind, sondern kriminell", so der Regionalpräsident Siziliens, Rosario Crocetta. Die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, klagt, man habe in Brüssel vor der fortgesetzten Tragödie vor der Insel, die näher an Tunesien liegt als an Sizilien, die Augen verschlossen. Die 155 Geretteten wurden in das für 250 Personen ausgelegte, mit 1.050 Asylsuchenden bereits überfüllte Flüchtlingslager auf Lampedusa gepfercht. Gegen sie wird nun wegen illegaler Einreise ermittelt werden.

Es ist die Größe der Katastrophe, die nun zum Anlass für eine Fülle von Kommentaren und gegenseitigen Schuldzuweisungen geworden ist. Denn seit vielen Jahren sterben Menschen bei dem Versuch, aus politischer Verfolgung, Kriegen und Bürgerkriegen, Hunger und Elend nach Europa zu entkommen. Vier Tage vor dem Untergang des Bootes mit 518 Menschen an Bord war ein anderes vor Sizilien gescheitert, 13 Flüchtlinge ertranken. Die Medien nahmen kaum Notiz von dem Vorfall. Nach Schätzungen sind in den letzten 20 Jahren 19.000 Menschen an den Rändern der EU auf der Flucht umgekommen. Die Innenminister der 28 Staaten der Europäischen Union berieten am Dienstag in Luxemburg über Konsequenzen aus der Katastrophe. Dort machte sich besonders der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich für ein "Weiter-so" in der Flüchtlingspolitik stark: "Dublin-II bleibt unverändert, selbstverständlich." Die Dublin-II-Verordnung sieht vor, dass Flüchtlinge nur in dem Land Asyl beantragen können, in dem sie das erste Mal EU-Territorium betreten haben. Damit wird Griechenland, Zypern, Italien und Spanien die Hauptverantwortung für den humanitären Bankrott der EU zugeschoben. Folgerichtig sehen die Innenminister auch die Lösung in einer Verstärkung der Repression. Sie wollen "um mehr Leben zu retten" mehr Mittel für Frontex bereitstellen. Das heißt, es soll verhindert werden, dass die Flüchtlinge überhaupt aus Tunesien und Libyen in Richtung Norden herauskommen. Die "Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union", so der volle Name von Frontex, dient der Abschottung, sie dient einzig der "Flüchtlingsabwehr". Der UN-Berichterstatter für die Rechte von Migranten, der kanadische Jurist François Crepeau, hält dagegen, dass dieses Herangehen nur die Macht der Schlepper stärke - "illegale" Einwanderung könne nicht nur mit repressiven Maßnahmen bekämpft werden.

Kritik aus Brüssel geht vor allem an die Adresse Roms. EU-Abgeordnete machen die scharfen italienischen Immigrationsgesetze mitverantwortlich, die eine elementare Pflicht, die Rettung Schiffbrüchiger aus Seenot, mit Strafe bedrohen, wenn es um Flüchtlinge geht. Im August hatte die Regierung Maltas einem Tanker, der 102 Bootsflüchtlinge aus Seenot gerettet hatte, das Einlaufen in den Hafen von La Valetta verweigert. Italienische und tunesische Fischer fürchten kriminalisiert zu werden, wenn sie helfen. In Deutschland wurde der Fall "Cap Anamur" bekannt, dessen Kapitän Elias Bierdel 2004 den Befehl zur Rettung von 37 schiffbrüchigen Flüchtlingen gegeben hatte. Dieser Fall wurde fünf Jahre lang bis zum Freispruch 2009 vor italienischen Gerichten verhandelt.

Die Katastrophe von Lampedusa zeigt einmal mehr, dass die hehren Töne von Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit als Grundlagen der Europäischen Union kaum mehr sind als Lumpen, die notdürftig die wirkliche Basis - die Brutalität des Marktes und des Wettbewerbs - verhüllen sollen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 41 vom 11. Oktober 2013, Seite 1
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2013