Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

FRAGEN/003: Ska Keller, Bündnis 90/Die Grünen - Stärkung des Parlaments (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände
EU-Koordination

EU-News - Donnerstag, 24. April 2014 / Politik & Recht

Ska Keller (Bündnis 90/Die Grünen): "Das Parlament soll nicht nur Ja oder Nein sagen dürfen"



Die Europawahl im Mai bietet die Chance, über den Weg mitzubestimmen, aus der Krise der Europäischen Union herauszukommen. Auf eine gerechtere Handelspolitik, die den Menschen und der Umwelt dient, statt den Interessen von Konzernen, setzt Ska Keller, Abgeordnete im EU-Parlament und Spitzenkandidatin der Europäischen Grünen.

Was waren für Sie die wichtigsten Themen, für die der Ausschuss für internationalen Handel in den letzten fünf Jahre federführend zuständig war? Was konnten Sie im Ausschuss dabei verbessern und verändern?

In dieser Legislaturperiode konnten wir feststellen, dass sich die europäische Handelspolitik zunehmend politisiert hat. Das lag vor allem an den durch Lissabon neu dazu gewonnen Kompetenzen des Europaparlaments in der Handelspolitik. Auch wenn immer noch viel im Argen liegt und verbesserungswürdig ist, kann ich doch behaupten, dass sich in der Handelspolitik in den letzten fünf Jahren einiges bewegt hat: Es gibt ein bisschen mehr Demokratie und wir sehen viel mehr Diskussionen in der Öffentlichkeit. Wir ParlamentarierInnen machen Informationen über aktuelle Dossiers in der Handelspolitik zugänglich und erklären den Menschen in einfachen Worten, worum es bei den oft hoch technischen Verhandlungen geht. Wir diskutieren im Parlament, und wir kämpfen für die Richtung, die die europäische Handelspolitik einschlagen soll - und das ist auch gut so, obwohl ich mir natürlich wünschte, dass die Grünen in diesem Richtungsstreit häufiger gewinnen würden.

Das Musterbeispiel ist in diesem Kontext natürlich ACTA - das Abkommen gegen Produktpiraterie. Als Grünen-Fraktion haben wir mehr als zwei Jahr lang gegen ACTA mobil gemacht und unsere Kritik lautstark im Parlament vorgebracht. Ich persönlich habe vor allen Dingen zum Entwicklungsaspekt von ACTA gearbeitet und deutlich gemacht, welche negativen Auswirkungen ACTA auf die Produktion von Generikamedizin hätte. Zusammen mit den Menschen auf der Straße und der Zivilgesellschaft haben wir schließlich das Abkommen gekippt - das war ein großer Erfolg.

Weniger erfreulich liefen die Abstimmungen zu dem Handelsabkommen mit Peru und Kolumbien ab. Obwohl wir hier auch große Bedenken hatten und viel Wind gemacht haben, zum Beispiel weil die Menschenrechtslage in Kolumbien desaströs ist, konnten wir nicht verhindern, dass die Mehrheit diesem Abkommen zustimmt. Selbst die sozialdemokratische Fraktion hat fast geschlossen zugestimmt, nachdem ihnen ein unverbindlicher Menschenrechtsaktionsplan versprochen wurde. Diese und andere Abstimmungen zeigen deutlich, wie die Mehrheit des Hauses in der Handelspolitik tickt: ein bisschen Kritik hier und da ist okay, aber zugestimmt wird auf jeden Fall, "weil Handel ja per se gut ist". Welche Bedeutung das Handelsabkommen mit den USA (TTIP) im Ausschuss mittlerweile erlangt hat, muss ich wahrscheinlich nicht erklären. Wir Grüne haben von Anfang an zu den Gefahren mobilisiert und - erfolgreich - versucht, die Aufmerksamkeit auf die großen Risiken zu lenken. Ich freue mich besonders, dass es so viel Lärm um die Investor-Staat-Klagen (ISDS) gibt. Schon seit längerem arbeite ich an dem Thema, denn ISDS wird auch in andere Handelsabkommen integriert. Noch vor einem halben Jahr hat sich niemand für unsere Kritikpunkte interessiert, aber jetzt hat sich endlich der Wind gedreht.

Wo sehen Sie die Herausforderungen für das kommende Europäische Parlament?

Ich glaube, dass der Lissabonvertrag ein sehr wichtiger Schritt für die Demokratisierung der EU-Handelspolitik war. Aber es kann nur der erste Schritt gewesen sein. Das Parlament hat kein Mitspracherecht bei der Erteilung des Mandats für Verhandlungen und das ist ein großes Problem - dem Parlament echte Mitentscheidungsbefugnisse bei dem Mandat einzuräumen, ist von entscheidender Bedeutung. Ebenso wichtig ist das Recht, später noch Teile des ausgehandelten Textes abändern zu können und nicht nur Ja oder Nein sagen zu dürfen. Zwar wird es vermutlich so schnell erstmal keine Vertragsänderung geben, allerdings kann das Parlament immer wieder mehr Rechte einfordern. Bedeutsam ist zudem ein öffentlicher Zugang zu den Verhandlungsdokumenten.

Was wird im kommenden EU-Parlament auf der Agenda des Ausschuss für internationalen Handel stehen, das Sie für besonders relevant halten?

Das wichtigste Dossier im kommenden EU-Parlament wird TTIP bleiben, das nach dem bisherigen Stand der Dinge 2015 fertiggestellt werden soll. Dringlichstes Anliegen für mich, ist es, die Investor-Staat-Klagen aus dem Abkommen herauszubekommen. Momentan wird die Diskussion auch in den Brüsseler Institutionen immer kritischer und die Stimmung kippt. Jetzt gilt es, sich hier weiter einzumischen!

Anfang 2015 werden wir über CETA, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, abstimmen müssen. Uns liegt zwar der Text nicht vor, aber da ISDS auf jeden Fall enthalten sein wird, steht für uns fest, dass wir auch gegen dieses Abkommen mobil machen. Des Weiteren stehen Abkommen mit Japan und China an. Die Kommission arbeitet außerdem daran, weitere "Wirtschaftspartnerschaftsabkommen" mit AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) abzuschließen. Alle diese Prozesse werde ich kritisch begleiten. Gleichzeitig ist es unerlässlich, weiter konzeptionell an einer alternativen grünen, sozialen und fairen Handelsagenda zu arbeiten.

Was haben Sie sich als Volksvertreterin vorgenommen, sollten Sie wieder ins Europaparlament gewählt werden?

Ich kämpfe im Handelsausschuss für eine gerechtere Handelspolitik, die den Menschen und der Umwelt dient und nicht alleine den Konzerninteressen. Insbesondere die Perspektive von Entwicklungsländern ist mir ein Anliegen. Das will ich in der nächsten Legislatur fortsetzten.

Im Konkreten bedeutet das: Menschenrechte müssen in die Beurteilung von Freihandelsabkommen mit einfließen, bevor diese beschlossen werden; Menschenrechte und soziale Standards müssen in Handelsabkommen durchgesetzt werden; Entwicklungsländer sollen nicht gezwungen werden, ihre Märkte auf eine drastische Weise zu öffnen, damit die Gefahr der Überflutung ihrer Märkte mit unseren hoch konkurrenzfähigen Waren vermieden wird; es muss sichergestellt werden, dass weder in unseren Partnerländern noch in der EU, Handelsabkommen das Recht auf Regulierung behindern. Das Parlament sollte auch die Kraft in der EU sein, die konstant um den multilateralen Ansatz kämpft. Schließlich sollte das Parlament sicherstellen, dass die Rechte der InvestorInnen nicht mehr gelten als die legitimen, demokratischen Entscheidungen der Regierung.

Leider sieht das die Mehrheit des Parlaments (noch) nicht so, aber ich werde mich weiter für diese Punkte einsetzen.

Was möchten Sie den deutschen Umweltverbänden für die kommende Legislaturperiode mit auf den Weg geben?

Handelspolitik ist nicht nur die Angelegenheit von einigen ExpertInnen sondern geht uns alle an. Handelspolitik kann starke Auswirkungen auf die Umweltpolitik haben, glücklicherweise hat hier die Diskussion um TTIP dies für viele Umweltbewegte deutlich gemacht. In der Handelspolitik gibt es momentan eine starke Lobby für mehr Liberalisierung und immer tiefergehende Handelsabkommen. Wir Grüne brauchen hier ein Gegengewicht an unserer Seite, bei unserem Einsatz für eine fairere und damit auch ökologischere Handelspolitik.

www.ska-keller.de

*

Quelle:
EU-News, 24.04.2014
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2014