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ITALIEN/011: Tribüne eines Schmierentheaters (Gerhard Feldbauer)


Tribüne eines Schmierentheaters

Wahl des Staatspräsidenten und Bildung neuer Regierung waren in Italien Ergebnis eines abgekarteten Spiels mit dem faschistoiden Ex-Premier Silvio Berlusconi (1)

von Gerhard Feldbauer, 6. Mai 2013



Den im März/April gestarteten Versuch einer Regierungsbildung unter dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei (DP) und Führer von Mitte Links, Luigi Bersani, brachten die Partei "Volk der Freiheit" (PdL) des faschistoiden Ex-Premier Silvio Berlusconi als auch Beppe Grillos Bewegung 5 Sterne (M5S) zu Fall. Auch etwa 100 Abgeordnete aus dem rechten Flügel der DP hatten ihren Parteichef abgelehnt. Damit drohte eine Unregierbarkeit.

In dieser Situation musste gleichzeitig der Nachfolger des 87jährigen Staatspräsidenten, Giorgio Napolitano, dessen Amtszeit nach sieben Jahren im Mai abläuft, gewählt werden. Zunächst scheiterte der von der DP zusammen mit der PdL ins Rennen geschickte rechte Gewerkschaftsführer der katholischen CISL Franco Marini an den Gegenstimmen der Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) von Nicchi Vendola.

Den früheren EU-Kommissionspräsidenten und mehrmaligen Ministerpräsidenten Romano Prodi, der bis 2008 noch mit den Kommunisten regierte, brachten der Boykott Berlusconis und der rassistischen Lega Nord aber erneut auch fehlende Stimmen aus der DP zu Fall. Gegen Prodi, der als einziger Politiker in seinen Amtszeiten gegen den faschistoiden Berlusconi Front machte, demonstrierte die "Duce"-Enkelin Alessandra Mussolini von der PdL im Unterhemd mit der Aufschrift "Prodi ist der tatsächliche Teufel".

Auch der frühere unabhängige Linke in der PCI, später Linkspartei PDS, der ehemalige Verfassungsrechtler Stefano Rodonta, (Jura-Professor u. a. in Oxford und Paris), den die SEL mit M5S aufstellte, fiel durch. Dabei hatte der sonst chaotisch agierende Grillo mal Vernunft walten lassen und wollte im Gegenzug danach eine Regierung unter Bersani unterstützen. Nach diesem Fiasko erklärte sich Napolitano entgegen der vorherigen Erklärung, nicht zu einer Wiederwahl anzutreten, bereit, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Was sich dann abspielte, ließ sich nur als Tribüne eines Schmierentheaters bezeichnen. In verdächtiger Einmütigkeit wurde Napolitano von einer Mehrheit vor allem aus der DP und der PdL bereits im ersten Anlauf mit 738 der 1007 Stimmen gewählt und als Retter aus der Krise und regelrechter Nationalheld gefeiert. In Wirklichkeit kam ein Politiker - wahrscheinlich auf Zeit - ans Staatsruder, der seine Demokraten und damit das von ihnen angeführte Mitte Links-Bündnis in das Scheitern mehrerer ihrer Kandidaten zur Wahl des Staatschefs wie vorher bei der Regierungsbildung manövriert hatte.


Die Vita des "Retters der Nation"

Werfen wir einen Blick in die Vita des "Retters der Nation": Wie kaum bei einem anderen ehemaligen linken Politiker ist der Werdegang Napolitanos von Anpassung an die Macht des Kapitals geprägt. Seit 1966 Mitglied des Politbüros der IKP wurde er zum führenden Vertreter der Revisionisten, die die Partei 1991 mit der Umwandlung in die Linkspartei PDS liquidierten. Später Parlamentspräsident, mehrfach Minister, 2005 Senator auf Lebenszeit, 2006 Staatspräsident, beförderte er 2007 auch die Beseitigung der Linkspartei durch ihre Vereinigung mit dem katholischen Zentrum zur heutigen DP mit sozialdemokratischem Aushängeschild. Als die Linke beim Sturz Berlusconis 2011 Auftrieb erhielt und sofortige Neuwahlen forderte, die ihr und Mitte Links einen Sieg hätten bringen können, lehnte Napolitano ab und setzte stattdessen den von Brüssel und Berlin favorisierten ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti als Übergangspremier ein. Das verschaffte der extremen Rechten mit Berlusconi an der Spitze ein Comeback und damit bei den Parlamentswahlen im Februar 2013 den zweiten Platz hinter Mitte Links. Dies führte zum Patt und dem Scheitern einer Regierungsbildung.


Drohung mit Schicksal Griechenlands

Wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, wurde die Wiederwahl Napolitanos bei einem Treffen zwischen ihm, dem Ex-Premier Silvio Berlusconi der (obwohl er nicht mehr Parteichef ist) als Vertreter der PdL teilnahm, dem amtierenden Übergangs-Premier Mario Monti und dem DP-Vorsitzenden Luigi Bersani entschieden. Dabei sei auch Einigung erzielt worden, den 75jährigen parteiunabhängigen früheren Sozialisten und späteren Christdemokraten Giuliano Amato, der mehrmals Ministerämter inne hatte und auch Premier war, mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Die Ergebnisse waren eine weitere Verschärfung der Rechtswende. Der Staatschef überschritt mit diesem Treffen zur Absprache seiner eigenen Wiederwahl eindeutig seine Kompetenzen. Beppe Grillo von M5S nannte das mit Recht einen Staatsstreich, gegen den Tausende seiner Anhänger vor dem Montecitorio (Parlamentsgebäude) protestierten. Vor dem Treffen Napolitanos war auch Monti mit Berlusconi zusammengetroffen und hatte den Standpunkt aus Brüssel und Berlin geltend gemacht, dass Italien bei anhaltender Unregierbarkeit das Schicksal Griechenlands oder gar Zyperns drohe.

Bersani trat als Konsequenz der Opposition gegen ihn in der eigenen Partei zurück. Ein makabres Schauspiel bot sich, als Grillo und Berlusconi vor ihren Anhängern dessen Rücktritt frenetisch feierten. Die DP, die 2007 als eine Misch-Masch-Partei aus Linksdemokraten und Katholiken entstand, ist tief gespalten und könnte, wie "La Repubblica" befürchtet, vor dem Zerfall stehen. SEL-Vorsitzender Vendola kündigte eine entschiedene Opposition gegen eine Regierung mit Berlusconis PdL an. Das zu den Parlamentswahlen neu aufgelegte Mitte Links-Bündnis ist damit zerfallen.


Neue Regierung aus Sozialdemokraten und Berlusconis PdL

Widerstand an der Basis der DP veranlasste Napolitano offensichtlich auf eine Nominierung Amatos zu verzichten und den Vize-Chef der DP, Enrico Letta, mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Das sollte einer von der DP geführten Großen Koalition den Anschein einer gestärkten Position der Sozialdemokraten verleihen. Enrico Letta gelang es im Ergebnis des abgekarteten Spiels dann überraschend schnell nach über zwei Monaten des Scheiterns ein Kabinett aus der DP mit der faschistoiden PdL Berlusconis und der Bürgerliste des vorherigen Übergangspremiers Monti zu bilden. Mit Stimmen der DP, PdL und der Bürgerliste Montis erhielt es erwartungsgemäß im Abgeordnetenhaus und dem Senat die erforderliche Mehrheit. Die SEL lehnte einen Eintritt in das Kabinett ab und kündigte entschiedene Opposition an. Der bisherige Bündnispartner Berlusconis, die rassistische und sezessionistische Lega Nord, enthielt sich, da ihre auf eine weitere Autonomie der Nordregionen vom Zentralstaat gerichteten Forderungen nicht berücksichtigt worden seien. Offiziell wurde ferner erklärt, damit werde gegen die Aufnahme der gebürtigen Afrikanerin aus Kongo (früheres Zaire), die Augenärztin Cecile Kyenge, die Integrationsministerin wurde, protestiert. Die Lega werde einer Regierung "mit einer Farbigen" nie das Vertrauen aussprechen. Beppe Grillo nannte Lettas Kabinett "eine Regierung der Gauner und Strolche".

Mit dem 46jährigen Enrico Letta kam ein verhältnismäßig junger Politiker an die Spitze des Palazzo. Er betrieb 2007 aus der Führung der katholischen Zentrumspartei Margerita den Zusammenschluss mit den Linksdemokraten zur heutigen DP. 2006-08 gehörte er der Mitte Links-Regierung unter Romano Prodi an. Sein Onkel ist Gianni Letta, die rechte Hand Berlusconis in der PdL, was hinter den Kulissen zum Zustandekommen der jetzigen Koalition beigetragen haben dürfte. Napolitano nannte die neue Exekutive die "einzig mögliche Lösung", mit der ein Zeichen "der Einheit" gesetzt worden sei. Dem von der "Repubblica", Sprachrohr der DP, "Regierung der Schadensbegrenzung" getauften Kabinett gehören 9 Minister der PD, 5 der PdL und 3 der Monti-Liste an. 4 sind parteiunabhängig, darunter der bisherige Direktor der Banca d'Italia (Staatsbank), Fabrizio Saccomanni, der das Wirtschafts- und Finanz-Ressort übernimmt, und die für Justiz zuständige Annamaria Cancellieri. Insgesamt sind ein Drittel der 21 Minister Frauen, unter ihnen auch die frühere EU-Kommissarin Emma Bonino von der DP, die das Außenministerium übernimmt. Sie war in der 2006-08 von Romano Prodi mit den Kommunisten gebildeten Mitte Links-Regierung Handels- und EU-Ministerin. Bekannt wurde sie vor allem als Befürworterin der Beteiligung Italiens an allen Interventionskriegen an der Seite der USA/NATO. Das EU-Ressort übertrug Letta dem parteiunabhängigen Enzo Moavero von der Bürgerliste Montis, der in der EU u.a. als Generaldirektor des EU-Büros an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt war. PdL-Chef Angelo Alfano wurde Vize-Premier und übernahm gleichzeitig das Innenministerium. Von ihm wird erwartet, dass er für eine Einstellung der gegen Berlusconi laufenden Strafprozesse sorgt. Die PdL besetzte ferner mit Senator Mario Mauro das Verteidigungs-Ressort.


Neue Stufe der Kollaboration der Revisionisten mit Faschisten

Der Industriellenverband Confindustria nannte das Kabinett Letta "eine Regierung der Qualität". Der 2011 gestürzte Ex-Premier Berlusconi zeigt sich als Strahlemann wie seit langem nicht mehr. Das vertuscht die Probleme, die alten wie die Neuen. Sicher wäre es zu begrüßen, dass es jüngere und neue Gesichter gibt und ohne umstrittene Quote ad hoc ein Drittel Frauen ins Kabinett einzogen. Aber stehen sie tatsächlich für positive Veränderungen? Wohl kaum, denn sie alle haben auf die eine oder andere Weise dazu beigetragen, dass Italien in die gegenwärtige tiefe Krise hineingeschlittert ist.

Wenn sich der neue Premier Hoffnungen macht, mit EU-erfahrenen Ministern, mit denen er die für die Außenpolitik und Brüssel zuständigen Ressorts besetzte, für Italien bessere Bedingungen aushandeln zu können, gibt er sich, wie die Antrittsbesuche in Berlin und Brüssel bereits zeigten, einer besonders hoffnungslosen Illusion hin. Am Sitz der EU wie in Berlin, ist kein Deut Nachgeben zu erwarten. Die Daumenschrauben werden eher noch fester angezogen. Vor allem wächst die faschistische Gefahr, die jetzt noch stärker als in der Vergangenheit verdeckte Formen annimmt, drastisch an. Italiens neue sozialdemokratische Führerschicht, die einst aus der IKP in die Linkspartei wechselte und sich dann mit dem katholischen Zentrum zusammentat, hat schon seit langem mit den offenen und verkappten Faschisten vom Schlage eines Berlusconi kollaboriert. Davon konnte ein Luigi Bersani ausgenommen werden, und deshalb wurde er bei seinem Versuch einer Regierungsbildung, sich dem Druck Berlusconi zu widersetzen, ausgebootet und zwar von Leuten in der eigenen Partei.

Neu an dieser Kollaboration ist, dass sie erstmals in einer gemeinsamen Regierung erfolgt. Das wird schwerwiegende, noch gar nicht abzusehende Konsequenzen für die weitere Entwicklung haben. Bisher wurde der von der faschistischen Putschloge P2 1994 erstmals an die Regierung gehievte Berlusconi, der zu ihrem Dreierdirektorium gehörte, von führenden und auf seinen hemmungslosen Antikommunismus setzenden Kapitalkreisen befördert. Jetzt tun sich mit diesem hochgradig Kriminellen Politiker zusammen, die sich ein sozialdemokratisches Mäntelchen umhängen. Es ist in Rom ein offenes Geheimnis, dass der in mehreren Strafverfahren, u. a. wegen Bestechungsaffären in Millionenhöhe, wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch angeklagte Berlusconi die Niederschlagung seiner Prozesse zur Bedingung einer Regierungszusammenarbeit gemacht hat. Das soll im Rahmen einer Justizreform erfolgen, in der die Ermittlungsbehörden dem Innenminister unterstellt werden, der dann die Einstellung der Verfahren anordnen kann. Das zuständige Ressort hat der Chef der PdL, Angelo Alfano, übernommen, der obendrein Vizepremier geworden ist. Er war unter Berlusconi zwischen 2008 und 2011 Justizminister und hat alle in dieser Zeit angenommenen Gesetze zu dessen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung ausgearbeitet. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Justizministerin Cancellerie und die Justiz dem unterordnen und damit eine der drei Säulen der bürgerlichen Gesellschaft, die Gewaltenteilung, zu Fall bringen.


Auftrieb für Berlusconi

Auf welch gefährliches Abenteuer der Staatschef und sein neuer Ministerpräsident sich eingelassen haben, verdeutlichte das Auftreten des Mediendiktators. Obwohl formell nicht mehr Partei-Chef, agiert er in der Öffentlichkeit über sein privates Fernsehmonopol wie der eigentliche Herrscher der PdL. So verlangte er eine Woche nach der Regierungsbildung den Vorsitz der für eine Justiz- und Strukturreformen mit Verfassungsänderungen zuständigen Parlamentskommission. Das hieße nichts anders, als ihm u. a. die Zuständigkeit für die Einstellung der gegen ihn laufenden Strafverfahren zu übertragen, ferner Verfassungsänderungen in Richtung einer von ihm schon immer vertretenen Herstellung einer Präsidialherrschaft, unter der die Rechte der Legislative eingeschränkt werden sollen. Anderenfalls drohte er, wie der "Unita" vom 4. Mai zu entnehmen war, an, dem Kabinett die Unterstützung durch seine PdL zu entziehen und, da dieses dann wieder ohne Mehrheit dastünde, eine neue Regierungskrise auszulösen. Berlusconi wittert Morgenluft und rechnet sich bei Neuwahlen eine Rückkehr an die Regierung aus. In der DP gab es kaum Proteste, Napolitano, der die Unterstützung der Regierung durch Berlusconi als Zeichen "der Einheit" gefeiert hatte, hüllt sich in Schweigen. In Rom vergleichen Beobachter die Situation in gewisser Weise mit dem Zerfall der bürgerlichen Demokratie und dem Untergang der Weimarer Republik in Deutschland, dem der Machtantritt der Hitlerfaschisten vor 75 Jahren folgte.


Anmerkung:

(1) Der Beitrag knüpft an die bisher zur Situation gebrachten Artikel an und vertieft die Erkenntnisse zur gegenwärtigen Entwicklung in Italien.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2013