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ITALIEN/034: Italiens neues Wahlgesetz soll Linke aus Parlament verbannen (Gerhard Feldbauer)


Italiens neues Wahlgesetz soll Linke aus Parlament verbannen

Exklusive Gespräche verschaffen Ex-Premier Berlusconi Comeback

von Gerhard Feldbauer, 24. Januar 2014



Ein vom neuen Sekretär der Demokratischen Partei (PD), Matteo Renzi, vorgelegter Entwurf für eine neues Wahlgesetz (Italicum) hat in der Partei zu schweren Auseinandersetzung mit der linken Minderheit, die 30 Prozent der Mitglieder zählt, und der Linken des Landes insgesamt geführt. Der Chef der Linkspartei SEL, Nicchi Vendola, hat angekündigt, seine Partei werde in dieser Form ablehnen. Nachdem der Parteilinke Gianni Cuperlo als PD-Vorsitzender aus Protest zurücktrat, befürchtet "La Repubblica" eine Spaltung der Partei. Das Blatt gibt Stimmen der Linken wieder, die befürchten, Renzi wolle die PD in eine christdemokratische Partei umwandeln.


"La Repubblica": Ein "Pakt mit dem Teufel"

Der erst im Dezember neu gewählte PD-Chef hatte den Entwurf ohne Konsultationen mit dem Parteivorstand vorgelegt. Dagegen traf er sich mit dem zu einer Gefängnisstrafe rechtskräftig verurteilten Ex-Premier und Führer der faschistoiden Forza Italia, Silvio Berlusconi, zur Absprache. Renzi habe Berlusconi, bekanntermaßen ein Straftäter, dem der Senat sein Mandat entzogen hat, der sich weigert, seine Strafe anzutreten und dem durch Gerichtsurteil die Ausübung öffentlicher Ämter untersagt ist, wie die linke "Unità" schreibt, "politisch rehabilitiert". Protestierende blockierten die PD-Zentrale, wo das Treffen stattfand und bewarfen Berlusconis Limousine mit Eiern. Der FI-Führer musste einen Hintereingang benutzen. "La Repubblicca" beschuldigte den PD-Chef, die Partei "nicht zu leiten, sondern zu kommandieren" und einen "Pakt mit dem Teufel" geschlossen zu haben. Das Hausblatt des Ex-Premiers "Il Giornale" dagegen jubelte, Berlusconi sei "prämiert worden". Protest meldete auch der Chef der in Konkurrenz zur FI Berlusconis stehenden neuen "moderaten" Rechtspartei NCD, Angelino Alfano, Koalitionspartner und Vizepremier in der derzeitigen PD geführten Regierung an. Er ist zwar grundsätzlich mit dem Italicum einverstanden, sieht sich aber durch seinen Ausschluss von Renzis Konsultationen brüskiert und fürchtet, hinter Berlusconi zurückzubleiben.


Sperrklauseln von acht und zwölf Prozent

Das Italicum soll an die Stelle des unter Berlusconi eingeführten Porcellum (Schweinerei) genannten Modus treten, der der Siegerpartei, mit auch nur einer Stimme Mehrheit in der Abgeordnetenkammer 340 der insgesamt 630 Sitze (54 Prozent) zusprach. Das Verfassungsgericht hatte das für verfassungswidrig erklärt. Der vorgelegte Entwurf sieht auf der Grundlage der Proportionalität die Beseitigung der bisherigen Ausgrenzung kleiner Parteien vor, die in Zukunft allein antreten können, dabei aber die von bisher vier auf acht Prozent erhöhte Sperrklausel überwinden müssen, was eindeutig darauf zielt, vor allem die Kommunisten und Linken aus dem Parlament auszuschließen. Diese müssten sich, um Mandate zu erreichen, wie bisher Koalitionen der großen Parteien, zu deren Bedingungen anschließen, wenn sie überhaupt aufgenommen werden. Für diese Wahlbündnisse soll eine Sperrklausel von zwölf Prozent gelten, wobei die einzelnen Parteien fünf Prozent erreichen müssen. Auch das dürfte Konkurrenz zu den großen Parteien generell ausschließen, denn bisher haben die betreffenden Parteien auf der Linken Mitte zusammen gerademal sieben Prozent erreichten. Italien wird damit Spitzenreiter in den unter Europas Linken heftig attackierten Sperrhürden.


Es bleibt bei "Schweinerei"

Das Bonussystem soll nur geringfügig modifiziert werden. Es bleibt bei rund 54 Prozent Mandaten, die aber die Siegerpartei nur erhalten soll, wenn sie 35 Prozent der Stimmen erreicht. Wird das verfehlt, soll ein Ballotaggio (Stichwahl) zwischen den beiden stärksten Parteien stattfinden. Der Sieger erhielte dann den Bonus.

Reformiert werden soll auch der Senat, die zweite Parlamentskammer, der bisher der Regierung zustimmen muss und auch ein Veto-Recht zu von der Abgeordnetenkammer verabschiedeten Gesetzen hat. Ihn sollen künftig Vertreter der Regierungen und Parlamente der Regionen (Länder) bilden. Ferner sollen die Provinzen abgeschafft werden, was jährlich Ausgaben von einer Mrd. Euro einsparen soll. Auch hier geht es jedoch vor allem darum, Kommunisten und Linken die Basis, die sie hier noch halten, zu entziehen.


Plant der PD-Chef den Sturz der Regierung?

Obwohl der PD-Vorstand inzwischen mehrheitlich dem Entwurf zugestimmt hat, bleibt offen, ob es dem PD-Chef gelingt, für sein Italicum in Parlament eine Mehrheit zu erhalten. Neben der SEL hat auch die Protestbewegung M5S mit einem Viertel der Sitze Ablehnung angekündigt. Cuperlo, der sich laut "Repubblica" als "Oppositionsführer der Linken in der PD" betrachtet, fordert, über den Entwurf in Primarie (Vorwahlen) abzustimmen. Wie La Repubblica" am Freitag schreibt, hat auch Premier Letta inzwischen Änderungen am Entwurf gefordert, die Renzi zurückwies und drohte, wenn Italicum nicht angenommen werde, drohten Neuwahlen. Das könne, meine Beobachter in Rom, nur bedeuten, dass der PD-Chef mit NCD-Führer Alfano, von dessen Stimmen die Regierung abhängt, deren Sturz plane.


Ausgang offen

Der Ausgang ist offen. Gibt es für das Wahlgesetz keine Mehrheit, dürfte auch der Stuhl des PD-Chefs wackeln. Nachträglich soll der umstrittene Entwurf jetzt im Verfassungsausschuss der Abgeordnetenkammer beraten werden. Die von Renzi geplante Vorlage zur Verabschiedung im Parlament bis 15. Februar dürfte in die Ferne rücken. Setzt sich Renzi durch, dürfte es Schluss sein mit einer noch vorhandenen linken Ausrichtung der PD, deren Wurzeln noch in der kommunistischen Vergangenheit liegen. Es sei denn, die Linke findet tatsächlich die Kraft, sich von der durch den früheren Christdemokraten Renzi auf ausgesprochenen Rechtskurs gesteuerten Partei zu trennen. Sie könnte sich dann mit der SEL Vendolas zusammenschließen und der Linken wieder Geltung verschaffen.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2014