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ITALIEN/037: Premier Renzi tritt mit personell korrigierter Mannschaft an (Gerhard Feldbauer)


Premier Renzi tritt mit personell korrigierter Mannschaft an

Staatschef stoppte den Rottomatore

von Gerhard Feldbauer, 24. Februar 2014



Nach turbulenten Auseinandersetzungen um die Regierungsbildung ist der Sekretär der Demokratischen Partei (PD), Matteo Renzi, am Sonnabend in Rom mit seinem Kabinett von Staatspräsident Giorgio Napolitano vereidigt worden. Seine bereits am Freitag vorgestellte Squadra ist mit 16 Ministern um fünf schlanker als die vorangegangene und mit einem Durchschnittsalter von 47 Jahren auch verjüngt und zählt - ein Novum - die Hälfte Frauen. Neben Renzi als bisher jüngstem Regierungschef der Geschichte zählt das Kabinett mit der 33jährigen Maria Elena Boschi und der nur ein Jahr älteren Marianna Madia, beide PD, jetzt auch über die bisher jüngsten Mitglieder eines Kabinetts. Mit neun Ministern dominiert die PD mit meist neuen Gesichtern die Koalitions-Regierung. Das Justizministerium, wegen der Angriffe Berlusconis ein neuralgisches Ressort, hat Andrea Orlando (bisher Umwelt) übernommen. Der erfahrene Anwalt gilt als ein entscheidender Gegner Berlusconis. Der PD-Chef will wohl in die Fußstapfen der Bundeskanzlerin treten, wenn er Roberta Pinotti das Verteidigungsministerium übertrug, in dem sie - im Gegensatz zu van der Leyen - immerhin bereits Staatssekretärin war.

NCD-Chef als Vizepremier abgesetzt

Die neue Rechtspartei NCD, eine Abspaltung von der faschistoiden Partei Forza Italia (FI) des Ex-Premiers Berlusconi, behält mit ihrem Parteichef Angelino Alfano im Innenministerium wie bisher und ohne Personenwechsel auch ihre zwei weiteren Ressorts. Zwei Schlüsselministerien, das für Wirtschaft und Finanzen und das für Wirtschaftliche Entwicklung sind mit den Parteilosen Pier Carlo Padorn, Präsident des Statistischen Amtes (ISTAT) und früher Chefökonom der OECD, bzw. Federica Guidi, Chefin eines Familienunternehmens und Präsidentin der Verbandes der Jungunternehmer in der Emilia Romagna (der gute Kontakte zu Berlusconi nachgesagt werden), besetzt. Je ein Ministerium erhielten die von dem Übergangspremier Mario Monti gegründete Bürgerliste und die Union Demokratischer Christen (UDC), ein früherer Regierungspartner Berlusconis.

Umworbene Industrielle zeigten kalte Schulter

Mit seinem offen verkündeten Ziel, linkes Outfit der PD radikal zu beseitigen und für seinen verschärften arbeiterfeindlichen Kurs Schlüsselpositionen wie Wirtschaft und Finanzen mit hochrangigen Industriellen zu besetzen, ist Renzi komplett gescheitert. Andrea Guerra, Chefin des Brillenkonzerns Luxottica Group (eine italienische Fielmann), und die ehemalige Generaldirektorin der Europäischen Zentralbank, Lucrezia Reichlin, winkten ab. Der auch umworbene Ferrari-Chef und Agnelli-Erbe Luca Cordero di Montezemolo, zeigte offensichtlich keine Lust, sich mit dem wenig berechenbaren jungen Regierungschef einzulassen, der seinem erklärten Widersacher Berlusconi persönlich zum riskanten Comeback verhalf.

"Espresso" warnte vor "salto mortale"

Auf dem Colle (Hügel des Präsidentenpalastes Quirinale) war man beunruhigt, Renzi könnte, wie das Mailänder Nachrichtenagazin "Espresso" warnte, einen "salto mortale" vollführen. Denn der Führer der linken PD-Basis (rund 30 Prozent der PD-Parlamentarier), Giuseppe Civati, hatte aus Protest gegen den Rechtskurs Renzis angekündigt, mit seinen Anhängern die PD zu verlassen und appelliert, alle Linken sollten sich alternativ dagegen zusammenschließen. Staatspräident Giorgio Napolitano, der selbst noch aus der IKP kommt und zur PD gehört, selbst zu den PD-Rechten gerechnet wird, ging das nun doch zu weit. Er griff auf ungewöhnliche Weise in die Regierungsbildung ein und rief Renzi zu einem fast drei Stunden dauernden Gespräch zu sich, in dem er offensichtlich den Rottomatore stoppte. Zu den Ergebnissen dürfte gehören, dass der Squadra Renzis jetzt gleich vier Minister angehören, die zu Linken gerechnet werden, darunter nicht nur die eng mit Civati verbundene Maria Carmela Lanzetta (Regionalfragen), sondern drei, die noch in der IKP ihre Karriere begannen: Andrea Orlando Justiz, Giuliano Poletti (Arbeit) und man höre und staune Roberta Pinotti (Verteidigung). Das war auch eine Abfuhr für NCD-Chef Alfano, der als Bedingung der Fortsetzung der Koalition gefordert hatte: "keine linke Ausrichtung". Obendrein schaltete Renzi mit der Abschaffung des Postens des Vizepremiers, den bisher Alfano innehatte, diesen von der Mitsprache bei der Linie der Regierungspolitik aus. Außerdem wurde ein von Alfano verlangter Koalitionsvertrag nicht geschlossen.

Renzi rechnet mit Mehrheit in beiden Kammern

Am heutigen Montag beginnt die Vertrauensabstimmung im Senat und am Dienstag folgt das Votum in der Abgeordnetenkammer. Fest steht, dass die Protestbewegung M5S mit einem Viertel der Abgeordneten bzw. Senatoren die Regierung ablehnt, möglicherweise gar nicht an den Abstimmungen teilnehmen wird. Ihr Chef, der Starkomiker Beppe Grillo, ist bereits demonstrativ nicht zu den Konsultationen des Staatspräsidenten erschienen und fordert sofortige Neuwahlen. Nachdem Renzi seinen Rechtskurs in Personalfragen zurückrudern musste, erklärte Civati am Sonntagabend laut der Nachrichtenagentur ANSA, er werde die PD nicht verlassen und für Renzi stimmen. Dem dürfte die linke PD-Minderheit folgen und möglicherweise auch die Linkspartei SEL ihre ablehnende Haltung aufgeben oder zumindest Stimmenthaltung üben, was dem Kabinett eine Mehrheit sichern wird.

Berlusconi bleibt Unsichertheitsfaktor

Berlusconi, der aus der Opposition Renzi "Unterstützung" zusagte, bleibt ein Unsicherheitsfaktor. Von seinem Wohlwollen macht er abhängig, dass der neue Regierungschef die Existenz seines Mediaset-Konzerns sichert. Mit dem Monopolunternehmen hatte der Ex-Premier den Staat um Millionenbeträge betrogen und war dafür rechtskräftig zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden, von denen er ein Jahr noch in Hausarrest oder Sozialarbeit verbüßen muss. Die Justiz will jetzt Mediaset wegen seiner Illegalen Auslandsverflechtungen, Unterhalt von Tarnfirmen u. a. Vergehen durchleuchten. Wie "La Repubblica" am Sonntag berichtete, hat Berlusconi seine FI wieder einmal aufgerufen, sich auf Neuwahlen vorzubereiten.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2014