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ITALIEN/075: Mit Giorgio Napolitano kam erstmals ein Ex-Kommunist ins höchste Staatsamt (Gerhard Feldbauer)


Mit Giorgio Napolitano kam erstmals ein Ex-Kommunist ins höchste Staatsamt Italiens

Wie hat der frühere Führungskader der IKP das geschafft

von Gerhard Feldbauer, 15. Januar 2015



Mit seinem Rücktritt am 14. Januar hat der italienische Staatspräsident, Giorgio Napolitano, der im Juni dieses Jahres 90 Jahre wird, seine im April 2013 begonnene zweite Amtszeit vorzeitig beendet. Die erste hatte im Mai 2006 begonnen, als die Mitte Links-Regierung unter dem Christdemokraten Romano Prodi seine Wahl mit der erforderlichen Mehrheit durchsetzen konnte. Mit Napolitano stieg erstmals ein Führungskader der bis 1991 existierenden Italienischen Kommunistischen Partei (IKP) ins höchste Staatsamt auf. Wenn das in den Presseberichten, die ihn in Superlativen feierten, eher beiläufig erwähnt wurde, steht dennoch die Frage im Raum, wie er sich dafür bei den politisch herrschenden Kreisen, die auf solche Entscheidungen gewöhnlich Einfluss nehmen, qualifizierte. Er bietet das Bild eines Grandseigneurs der Politik, sein bescheidenes Auftreten suggeriert neben Volksverbundenheit das eines bürgerlichen Staatsmannes von Format, wie ihn Italien in seiner Geschichte bisher sicher nicht vorzuweisen hatte.


Furcht vor Links-Regierung

Bei der Suche nach einer Antwort wird man jedoch darauf stoßen, dass Napolitano in den entscheidenden Klassenauseinandersetzungen, in denen es in Italien in der Nachkriegsgeschichte die reale Möglichkeit gab, den Linken einen bestimmenden Einfluss auf die politische Entwicklung zu verschaffen, dazu beitrug, das zu verhindern. Anders ausgedrückt, er es den Kräften der Reaktion ermöglichte, denen des Fortschritts mit den Kommunisten an der Spitze entscheidende Niederlagen zuzufügen.(1) Nach dem Ersten Weltkrieg lösten diese Aufgabe die bereits 1914 auf die Positionen der imperialistischen Vaterlandsverteidigung übergegangenen Revisionisten in den Parteien der II. Internationale. Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, der insgesamt die Möglichkeiten des revolutionären Weltprozesses - und das nicht nur in Osteuropa - erweiterte, setzte eine ähnliche Entwicklung in Gestalt neuer Erscheinungsformen des Revisionismus ein, der nunmehr auch in die kommunistischen Parteien an der Macht einschließlich der KPdSU eindrang, was sich verheerend ebenso auf die Parteien in den kapitalistischen Industriestaaten auswirkte. Ausgehend von Lenins Analyse des Opportunismus (2) hat Kurt Gossweiler das in seinen beiden Hauptwerken eingehend untersucht.(3)

Der am 29. Juni 1925 in Neapel geborene Napolitano begann noch unter der faschistischen Diktatur 1942 an der Federico II-Universität seiner Heimatstadt ein Jurastudium, das er 1947 mit einer Dissertation zu Fragen der Volkswirtschaft beendete. Mit Beginn seines Studiums schloss er sich, wie seine Biografie ausweist, einer Gruppe junger Antifaschisten an. Nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 vertrieben die Antifaschisten Neapels in einem Volksaufstand vom 28. September bis 1. Oktober 1943 die Besatzer der Hitlerwehrmacht aus der Stadt. Soweit bekannt, hat der junge Student Napolitano an den Kämpfen nicht teilgenommen. Die Partisanenarmee befreite im April 1945 nach einem Aufruf der IKP zum bewaffneten Aufstand noch vor den einrückenden anglo-amerikanischen Truppen ganz Norditalien. Hunderttausende Italiener traten in die Partei ein, deren Mitgliederzahl von 400.000 Ende 1944 auf 1.770.856 1945 anwuchs. Zu ihnen gehörte auch Napolitano. Nicht wenige der neuen Parteimitglieder erwarteten, dass die IKP als führende Kraft von über einer halben Million bewaffneter Partisanen im Bündnis mit Sozialisten und weiteren revolutionären Linken die Macht übernehmen werde. Die von der Gruppe unter Palmiro Togliatti dominierte Führung verzichtete jedoch auf eine revolutionäre Option antifaschistisch-demokratischer Veränderungen und versuchte stattdessen, diese in der Fortsetzung des Bündnisses mit der nunmehr führenden großbourgeoisen Partei Democrazia Cristiana (DC) durchzusetzen. Der Versuch scheiterte. Auf Geheiß der USA vertrieb der Ministerpräsident der DC, Alcide De Gasperi, im Mai 1947 Kommunisten und Sozialisten aus der 1944 gebildeten antifaschistischen Einheitsregierung.(4)


Propagandist des Compromesso storicò

In diesem von der IKP nach dem Sieg über den Faschismus eingeschlagenen Kurs liegen erste Wurzeln der bereits in der zweiten Hälfte der 1960er Jahren einsetzenden Herausbildung einer sozialdemokratischen Strömung in der Partei, in der Napolitano zu einem der führenden Repräsentanten wurde. (5) Mit der Wahl in die Abgeordnetenkammer gelingt ihm 1953 der erste Sprung in die große Politik. Die IKP-Führung heißt das Eingreifen der UdSSR in Ungarn 1956 zwar nicht gut, verhält sich aber - im Gegensatz zum 12 Jahre später erfolgenden Einmarsch in die CSSR - noch still. Napolitano lehnt ihn, wenn auch nur parteiintern, bereits 1956 ab. 1966 wird er auf dem X. Parteitag Mitglied des Politbüros und des Sekretariats der größten westeuropäischen KP.

Politisch-ideologische Grundlage der sozialdemokratischen Strömung ist der sogenannte Eurokommunismus, der Ende der 1960er Jahre in einigen KPs der westlichen Länder (vor allem Spaniens, Frankreichs, Italiens, in Schweden in der Linkspartei Kommunisten) Anklang findet. Während Spaniens PCE unter dem späteren Sozialdemokraten Santiago Carillo kaum über Deklarationen hinauskam und Frankreichs PCF unter George Marchais bald wieder auf Distanz ging, wurde die IKP unter Enrico Berlinguer zu seinem Protagonisten. In dem von Berlinguer (seit März 1972 Generalsekretär) auf der Basis des Eurokommunismus bereits auf einer ZK-Tagung im November 1971 (und nicht erst nach dem Sturz Salvador Allendes im September 1973) offiziell verkündeten Kurs der Klassenzusammenarbeit mit der DC, dem sogenannten Compromesso storicò, wird Napolitano zur rechten Hand des Parteichefs, der als "graue Eminenz" oft hinter den Kulissen agiert.


Fühlte sich in der NATO sicher

Die IKP sagt sich in Grundfragen vom Marxismus-Leninismus los und proklamierte auf der Grundlage der Anerkennung der "Spielregeln der bürgerlichen Demokratie" und ihrer Integration in deren Parteiensystem einen eigenen "Weg zum Sozialismus", übernahm das bürgerliche Staatsmodell, für das sie lediglich eine "demokratische Transformation" forderte und anerkannte die kapitalistische Marktwirtschaft. Berlinguer erklärte, nicht nur die Bündnisverpflichtungen Italiens zu respektieren, sondern bekundete obendrein, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus.(6) Parteiintern wird verbreitet, Berlinguer wolle damit die Amerikaner beruhigen. Napolitano dagegen erklärt öffentlich, die NATO habe "nicht mehr die Charakteristika eines gefährlich-aggressiven Instruments" und er fühle sich unter ihr "sicherer" vor einer Einmischung des Warschauer Paktes. "Da Italien in diesem Teil der Welt liegt, Teil dieses politisch-militärischen Bündnissystems ist, gehen wir nicht das Risiko ein, das sich in den Ländern des Warschauer Pakts (ich denke an die Tschechoslowakei im Jahre 1968) ergeben hat, einen originären Versuch zur Erneuerung durch die Intervention anderer sozialistischer Länder unterbrochen zu sehen."(7)


Kissingers "favourite Communist"

In diesen Jahren nimmt Napolitano an zahlreichen Konferenzen von Instituten der internationalen Politik darunter in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland teil, auf denen er den eurokommunistischen Kurs des Compromesso storicò der IKP propagiert. Die USA gewährten ihm als erstem Vertreter der IKP ein Einreisevisum zur Teilnahme an wichtigen Veranstaltungen der Universitäten von Havard, Yale, Chicago, Berkeley und Baltimore (John Hopkins).(8) Er war ferner Gast von Tagungen des Center for Strategic and Internationale Studies (CSIS). Das formell der Georgetown University angeschlossene Institut, dem Ronald Reagan, NATO-General Alexander Haig, William Colby (langjähriger CIA-Chef in Rom, später Direktor des Geheimdienstes, Mitorganisator des Putsches gegen Allende) und Außenminister Henry Kissinger angehörten, war federführend an der Inszenierung des Mordkomplotts gegen den DC-Führer Aldo Moro, den Bündnispartner Berlinguers im Historischen Kompromiss, beteiligt. Für Kissinger, der Moro den "Allende Italiens" nannte, den er wiederum als "Kommunisten" und "viel gefährlicher als Castro" bezeichnet hatte, war Napolitano dagegen "my favourite Communist" (Corriere della Séra, 9. Sept. 2001).


IKP liquidieren, um "Regierungsübernahme den Weg zu ebnen"

Der von Berlinguer verfolgte Historische Kompromiss wird unter der Regie des CSIS zum Scheitern gebracht.(9) Für die reformistische Strömung in der IKP-Führung ist das kein Anlass, ihre Politik zu überdenken. Im Gegenteil, nach dem plötzlichen Tod Berlinguers durch einen Herzinfarkt am 11. Juni 1984 treibt sie die Sozialdemokratisierung der Partei weiter voran. Unter dem Einfluss der Perestroika Gorbatschows schlägt Generalsekretär Allessandro Natta auf dem Parteitag im April 1986 den Sozialisten die Vereinigung zu einer neuen linken Partei vor. Nachdem der korrupte PSI-Chef Bettino Craxi (10) abgelehnt hat, wird der nächste IKP-Kongress im März 1989 zum "Parteitag der Wende". Während der neu gewählte Parteichef Achille Occhetto die geplante Liquidierung der IKP noch als reformerische "Konstruktion einer neuen, demokratischen, politischen Formation des Volkes" zu verschleiern sucht, lässt Napolitano die Katze aus dem Sack und macht klar, es gehe darum einer "Regierungsübernahme den Weg zu ebnen" (Unita, 24. Dez. 1989, bzw. 8. Jan. 1990). Die Liquidatoren schöpfen aus dem Erfahrungsschatz der SPD, zu der Napolitano bereits seit 1986 als Leiter der Kommission der Partei für Außenpolitik und Internationale Beziehungen enge Kontakte unterhielt.(11) Die von den Revisionisten um Occheto/Napolitano gebildete neue Partei ging dann noch über Bad Godesberg hinaus und verzichtete auf die Vokabel sozialistisch oder sozialdemokratisch im Parteinamen und nannte sich schlicht Partei der Demokratischen Linken (PDS), ab 1997 nur noch Linksdemokraten (DS), bis diese sich dann 2007 mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zur heutigen Demokratischen Partei (PD) vereinigten.


Der Weg wurde aber erstmal für die Faschisten frei

Statt der von Napolitano verfolgten "Regierungsübernahme" durch die PDS wird nach der Ausschaltung der stärksten antifaschistischen Kraft in Gestalt der IKP im Mai 1994, wie die Zeitschrift "Manifesto" (15. Mai 1994) schrieb, der Weg frei für die erste "schwarze Regierung" des Mitglieds des Dreierdirektoriums der faschistischen Putschloge P2, den Medienmonopolisten Silvio Berlusconi. Nach einem Wahlsieg bildet der Hitlerbewunderer mit den Rassisten der Lega Nord eine Regierung, in die erstmals nach 1945 die Faschisten der Mussolini-Nachfolgepartei Movimento Sociale Italiano (MSI) aufgenommen werden (Um ihren faschistischen Charakter zu verbergen, nennt sich die MSI danach in Alleanza Nazionale - AN um).


Auch Napolitano berief Berlusconi zum Regierungschef

Erst als der Wahlsieg der Mitte Links-Koalition von 1996 bis 2001 die Regierung Berlusconi unterbricht, löst Massimo D'Álema von den Linksdemokraten 1998 den Christdemokraten Romano Prodi als Regierungschef ab. Napolitano, der von 1992 bis 1994 als Parlamentspräsident die dritte Stufe der Staats-Hierarchie erklommen hatte, begnügte sich in dem Kabinett mit dem Ressort des Innenministers. Obwohl er auch als Premier zur Disposition stand, verzichtete er und wartete höhere Weihen ab. Zwischendurch EU-Parlamentarier und Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsfragen erhält er diese nach dem Mitte Links-Wahlsieg 2006 mit der Wahl zum Staatspräsidenten. Ein Jahr vorher war er von seinem Vorgänger Carlo Azeglio Ciampi mit der Ernennung zum Senator auf Lebenszeit - einer der höchsten Würden, mit der nur Personen mit außerordentlichen Verdiensten bedacht werden - geehrt worden.

Nach dem Rücktritt der Prodi-Regierung legte der Staatschef für April 2008 vorgezogene Neuwahlen fest, bei denen die rechtsextreme Koalition unter Berlusconi noch einmal den ersten Platz belegte. Wie seine christdemokratischen Vorgänger beauftragte auch Napolitano danach den Mediendiktator, gegen den wegen Steuerbetrugs, Richterbestechung, Amtsmissbrauch und weiterer krimineller Vergehen über ein Dutzend Strafermittlungen liefen, mit der Regierungsbildung. Er sah auch keinen Anlass, die Berufung des Chefs der offen rassistischen Lega Nord, Umberto Bossi, der im Wahlkampf gehetzt hatte, es sei leider "leichter Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten", zum Vize-Premier abzulehnen.


Das Kapital ließ den Mediendiktator fallen

Den Höhepunkt seiner Karriere erreicht Napolitano nach dem Sturz Berlusconis, den die führenden Kapitalkreise 2011 zu Fall bringen, da sie angesichts der sich verschärfenden internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise befürchten, der ständig mit seinen Strafprozessen belastete Mediendiktator werde die Situation nicht in den Griff bekommen. Um seinen Sturz durch die zunehmenden Massenaktionen der Gewerkschaften und der Linken zuvorzukommen, gaben sie ihm dann selbst den Laufpaß. Als ihr Wortführer agierte der FIAT-Präsident und Agnelli-Erbe Cordero di Montezemolo, der Berlusconi für den "Bankrott des Landes" und die "beispiellose Staatskrise" verantwortlich machte. Unter diesem Druck trat Berlusconi am 12. November 2011 selbst zurück. Hätte Mitte Links den Auftrieb, den ihr der Sturz Berlusconi verschaffte, zur Durchsetzung vorgezogener Parlamentswahlen nutzen können, wäre es möglich gewesen, dem faschistoiden Ex-Premier und dem rechtsextremen Lager auch auf diesem Gebiet eine Niederlage zu bereiten. Staatspräsident Napolitano war jedoch nicht gewillt, diese Chance zu nutzen. Mit der Auflage, bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 zu amtieren beauftragte er den Wirtschaftsprofessor und früheren EU-Kommissar Mario Monti mit der Bildung einer Übergangsregierung der sogenannten "nationalen Einheit" aus allen Parteien (also auch der PdL Berlusconis).

Die Parlamentswahlen am 24./25. Februar 2013 führten im Senat, der zweiten Kammer, zu einem Patt zwischen dem rechtsextremen Lager von Berlusconi und der von der PD angeführten Linken Mitte, die jeweils auf etwa 30 Prozent kamen. Die PD, die in der Abgeordnetenkammer knapp vor der PdL lag, profitierte jedoch von dem von Berlusconi eingeführten Wahlbonus, der ihr die Mehrheit von 340 Sitzen sicherte. Den dritten Platz belegte mit etwa 25 Prozent die neu entstandene Protestbewegung M5S des Starkomikers Beppe Grillo. Mario Monti wurde für seinen rigorosen EU-Sparkurs abgestraft und kam im Parlament nur auf 10,5 Prozent.


Kuhhandel um eigene Wahl inszeniert

Da eine Regierungsbildung scheiterte, zogen die Parteien die anstehende Präsidentenwahl vor, zu der Napolitano zu seiner zweiten Amtszeit antrat. Seine Wiederwahl, die dann mit einer Zwei Drittel-Mehrheit von 738 der 1007 Stimmen erfolgte,(12) ließ er sich vorher in Absprachen von den Parteien, eingeschlossen Berlusconis PdL, zusichern. M5S-Chef Grillo nannte diesen Kuhhandel einen Staatsstreich.

Was der wiedergewählte Napolitano dann zustande brachte, stellte den bis dahin unerreichten Gipfel seiner Renegaten-Karriere dar. Der von ihm beauftragte aus der Gefolgschaft Berlusconis zur PD gestoßene Enrico Letta bildete eine Regierung aus den Sozialdemokraten (PD) mit der rechtsextremen PdL Berlusconis, die der Staatschef bestätigte und damit dem gestürzten Ex-Premier ein politisches Comeback verschaffte. Damit wurde, so Napolitano "ein Zeichen der Einheit" gesetzt.


Das erinnert an die Sozialfaschismusthese

Als Letta am Widerstand in der PD scheiterte, fand der Staatschef in der PD in dem früheren Christdemokraten Matteo Renzi einen willigen Erfüllungsgehilfen seiner "Einheit" mit der extremen Rechten und beauftragte ihn mit der Bildung einer neuen Regierung, die im Februar 2014 ihr Amt antrat. Berlusconi war inzwischen in letzter Instanz von verfassungstreuen Richtern wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe, Unterhalt von Scheinfirmen im Ausland und Anwaltsbestechung zu vier Jahren Haft verurteilt worden, die er reduziert in einem einjährigen Sozialdienst antrat. Gleichzeitig wurde ihm für vier Jahre untersagt, öffentliche Ämter auszuüben, und er aus dem Senat ausgeschlossen. Renzi hinderte das nicht daran, mit dem Straftäter einen sogenannten "Pakt von Nazareno" (13) zu schließen. Der Inhalt wird bis heute geheim gehalten. Für die Unterstützung seiner Reformpläne soll Renzi Berlusconi zugesichert haben, sich für die Aufhebung der Strafmaßnahmen einzusetzen. Berlusconi hat jedenfalls mehrfach unter Bezug auf den Pakt einen Gnadenerlass des Präsidenten gefordert, was dieser ablehnte. Spätestens hier stellt sich die nicht ganz unberechtigte Frage, ob das die aus der Komintern der 1920er Jahre bekannte problematische Sozialfaschismusthese hätte wieder beleben können? (14) Nicht zuletzt, wenn man einbezieht, wie heute beispielsweise die SPD (aber nicht nur diese) das mit Hilfe von Faschisten in Kiew durch einen Putsch an die Macht gebrachte Regime unterstützt, was auf etwas andere Weise, aber demselben Zweck dienend, an die Vorreiterrolle erinnert, die Italien nach Mussolinis "Marsch auf Rom" 1922 in Europa spielte.


Neue politisch herrschende Klasse formiert

Unterstützt und gefördert von Napolitano hat Renzi zwar der permanent fanatischen antikommunistischen Hetze Berlusconis ein Ende gesetzt, verfolgt aber dessen rigorosen sozialen Crash-Kurs und setzt den Abbau der Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte nicht nur fort, sondern setzte mit einer sogenannten Arbeitsmarktreform eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Aushebelung der Tarifverträge und vor allem die Beseitigung des bisherigen Kündigungsschutzes durch, was Berlusconi nicht gelungen war. Unter dem Duo Napolitano-Renzi ist eine Umgruppierung dessen, was unter der Herrschaft des Kapitals die "politisch herrschende Klasse" genannt wird, im Gange, die der bereits erwähnte Cordero di Montezzemolo gefordert hatte. (15) Die zentrale Rolle in dieser "Erneuerung" soll die sozialdemokratische PD, die Renzi in eine "Partei für alle" umwandeln will, übernehmen. Nach dem Vorbild der 1992/93 im Korruptionssumpf untergegangenen DC will sich die PD auf ein Bündnis mit der angeblich "moderaten" Rechten in Gestalt der 2012 von Berlusconis PdL (die danach ihren alten Namen Forza Italia (FI) wieder annahm) abgespaltenen Partei Neues Rechts Zentrum (NCD) stützen. Ihr Chef, Angelino Alfano, zuletzt rechte Hand Berlusconis, ist faktisch Vize-Premier Renzis und hat den Posten des Innenministers inne. Nach ebenfalls DC-Modell soll die Fortexistenz der FI Berlusconis für ein ausbalanciertes Kräfteverhältnis in dieser neuen politischen Kräftekonstellation beitragen. Denn diese Funktion hatte in der DC einst die faschistische MSI inne. Eine Drohkulisse gegen die damals starke Linke mit der IKP an der Spitze. Zu bilden, heute gegen die immer wieder mal rebellierende linke PD-Basis.


Wer wird Nachfolger und wie wird er aufgestellt

Es scheint offen, wie die Pläne Napolitanos bei der Wahl seines Nachfolgers aufgehen werden. Bis zur Stunde hat Berlusconi die beiden wichtigen Reformen Renzis - Auflösung des Senats als zweiter Kammer und die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes - verhindert. Er hat ein Mitspracherecht bei der Nominierung des Nachfolge-Kandidaten gefordert und erklärt, dass er nur einem Bewerber zustimmen wird, der danach per Gnadenerlass das über ihn verhängte Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter aufhebt. Das würde ihm die Rückkehr ins politische Leben und den Aufbau eines ständigen Protestpotenzials gegen Mitte Links, vornehmlich ihrer noch immer linken PD-Basis, ermöglichen.

Wie "La Repubblica" am Donnerstag meldet, hat Renzi die Forderung Berlusconis zurückgewiesen und gewarnt, den "Pakt von Nazareno zu untergraben". Eine Wiederholung der "nicht brillanten Lösung" von 2013 werde es nicht geben. Die PD werde alle Partner aufrufen, sich zu den von ihr vorgeschlagenen Kandidaten zu äußern. Wenn Berlusconi das ablehne, "werden wir es allein machen". Bis "Ende Januar werde es einen neuen Präsidenten geben", verkündete der PD- und Regierungschef, der hinzufügte, zuvor werde über die beiden Reformen (Senatsauflösung und neues Wahlrecht) entschieden.


Anmerkungen:

(1) In einer Analyse zum Eurokommunismus hielt Annette Jost fest: "Doch eigentümlicherweise befürchtete gerade die KPI einen Sieg der Linken, der den Weg zu einer Volksfrontregierung eröffnet hätte." In: Heinz Timmermann (Hg): Eurokommunismus. Frankfurt/Main 1978.

(2) Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale, Werke, Berlin (DDR) Bd. 21, S. 446 ff. Lenin charakterisierte darin die bis heute noch grundsätzlich zutreffenden Erscheinungen des Opportunismus als "Zusammenarbeit der Klassen, Lossagung von der Diktatur des Proletariats, Verzicht auf revolutionäre Aktionen, Anbetung der bürgerlichen Legalität, Mißtrauen gegen das Proletariat, Vertrauen zur Bourgeoisie".

(3) Wider den Revisionismus, Berlin 1997, u. Die Taubenfußchronik oder die Chruschtschowiade, München 2002.

(4) G. Feldbauer: 1945 fiel in Italien die Revolution aus. offensiv, 6/2012

(5) Aus einem Interview, das Eric Hobsbawm 1976 mit Napolitano führt (Auf dem Weg zum "historischen Kompromiss". Ein Gespräch über Entwicklung und Programmatik der IKP, Frankfurt/Main 1977), geht deutlich hervor, dass Napolitano zu denen gehörte, die darauf setzten, nach 1945 die Regierungszusammenarbeit mit der großbürgerlichen DC fortzusetzen bzw. nach dem Scheitern dazu zurückzukehren.

(6) Corriere della Séra und Unita vom 15. Juni 1976; zit. in: Giorgio Galli: Storia del PCI, Mailand 1993, S. 266 f.

(7) Hobsbawm/Napolitano, a. a. O., S. 16 f. Die Antworten Napolitanos strotzen nur so von demagogischen Beteuerungen, sind fern der Realität und werden samt und sonders durch das folgende Scheitern des Historischen Kompromisses ad absurdum geführt.

(8) Die Zeitschrift "Giorni" berichtete in ihrer Nr. 16/1977, dass die CIA an der John Hopkins University unter den italienischen Studenten Agenten anheuerte, die in Italien in linksradikale Gruppen eingeschleust wurden, wo sie im Rahmen der Spannungsstrategie Terroranschläge gegen Juristen, Wirtschaftsmanager und Politiker inszenieren sollten.

(9) G. Feldbauer: Compromesso storicò. Der Historische Kompromiss der IKP und die heutige Krise der Linken. Schriftenreihe der DKP Berlin Konsequent, Ausgabe 2/2013.

(10) Er wird 1992/93 wegen Unterschlagung von Hunderten Millionen Dollar zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

(11) G. Feldbauer: Grüße aus Bad Godesberg. Wie und warum die Heimkehr der IKP zur Sozialdemokratie betrieben wurde. jW, 8. November 2014.

(12) Die Wahl erfolgt in einer Versammlung der Abgeordneten, Senatoren und Vertretern der Regionen (Länder).

(13) So benannt nach dem Sitz der PD-Zentrale, in dem der Pakt vereinbart wurde.

(14) Um nicht mißverstanden zu werden, ich heiße die Sozialfaschismusthese (wie ich in vielen Publikationen geschrieben habe) nicht gut, wenngleich man die Haltung von Sozialdemokraten, die dazu führte, nicht außer Acht lassen sollte.

(15) In der Diskussion um die Neuformierung der Kräfte nach dem Fall Berlusconis hatte der Fiat-Erbe sich in einem Interview mit dem deutschen Manager Magazin (September-Heft 2012) dafür ausgesprochen, dass "die politische Klasse Italiens erneuert wird".

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2015


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