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ITALIEN/085: Urteil des EU-Gerichtshofs wegen Polizeigewalt während des G8-Gipfels 2001 (Gerhard Feldbauer)


EU-Gerichtshof verurteilt Italien wegen Polizeigewalt während G8-Gipfel 2001 in Genua

Faschistischer Hintergrund wird ausgeblendet

Von Gerhard Feldbauer, 9. April 2015


Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am Dienstag Italien wegen Polizeigewalt und Folterungen beim G8-Gipfel 2001 verurteilt. Anlass ist die in Italien abgewiesene Klage eines Italieners wegen Folterungen durch Polizisten, dem jetzt 45.000 Euro Schadenersatz zuerkannt wurde.

Was geschah vor 14 Jahren in Genua, wo der der faschistoide Regierungschef Silvio Berlusconi das Gipfeltreffen ausrichtete? Im Mai 2001 war der Hitlerbewunderer und früheres Mitglied des Dreierdirektoriums der faschistischen Putschloge P2 mit seiner rechtsextremen Forza Italia (FI) im Bündnis mit den Faschisten der Alleanza Nazionale (AN), dem Nachfolger der wiedergegründeten Mussolinipartei MSI, zum zweiten Mal Regierungschef geworden.


Mit der Hinterlassenschaft der Linken aufzuräumen

Auf dem vorangegangenen EU-Gipfel in Göteburg hatte er unverhüllt angekündigt, in Italien mit "der Hinterlassenschaft der Linken" aufzuräumen und das Land von Kommunisten und Ex-Kommunisten (den sozialdemokratischen Linken) "zu befreien". In Genua, wo es nach Seattle, Prag und Göteburg die seit Jahren größten Massenproteste gegen weltweite imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung, gegen die von den USA angeführten Nato-Aggressionen gab, zeigte Berlusconi nun, wie "aufgeräumt" werden sollte.


Unter Hitler- und Mussolinibildern gefoltert

Über 600 Demonstranten wurden festgenommen und "Gefangenensammelstellen" (O-Ton) zugeführt. Der Student Carlo Giuliano wurde durch den gezielten Kopfschuss eines Carabinieri von einem Jeep aus getötet. Mehr als 300 Demonstranten, darunter zahlreiche Ausländer, so auch mehrere Deutsche, wurden zum Teil schwer verletzt. In der Dias-Schule, in der das Genueser Sozialforum untergebracht war, wurden 54 Personen blutüberströmt und schwer verletzt abgeführt. Sie wurden unter Hitler- und Mussolini-Bildern gefoltert und mussten "Viva il Duce" rufen.


Polizeiagenten organisierten gewaltsame Ausschreitungen

Polizisten sagten aus, dass Ordnungskräfte gewaltsame Ausschreitungen der Demonstranten selbst organisierten. Der Regisseur Davido Ferrario filmte Polizeioffiziere bei der Zusammenarbeit mit in den sogenannten "Schwarzen Block" eingeschleusten Agenten. Den Einsatz leitete Vizepremier AN-Chef Fini in der Genueser Polizeizentrale persönlich. In diesem Klima hemmungsloser Repression glaubten viele der im faschistischen Geist groß gewordenen Polizei-Offiziere, die von der MSI jahrzehntelang propagierte "Stunde X" der Abrechnung mit den Linken sei gekommen. Der Sekretär der neu gegründeten Rifondazione Comunista (PRC) sah, wie "Liberazione" schrieb (24. Juni 2001), die Gefahr der "Errichtung eines faschistischen oder autoritären Regimes".


FU-Professor Zeuner warnte vor Folterkellern der SA

Professor Bodo Zeuner von der FU Berlin warnte, "wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei es sich herausnehmen, politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht zu überfallen und brutal, ja lebensgefährlich zu verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt. Wer den Überfall auf die Dias-Schule in Genua als irgendwie entschuldbar durchgehen lässt, leistet Beihilfe zu einer schleichenden Faschisierung der Gesellschaft."

Auf die Proteste reagierte die Berlusconi-Fini-Regierung mit aus der Geschichte bekannten Ritualen. Innenminister Claudio Scajola (FI): die Polizei habe "ihre Aufgabe würdevoll erfüllt". Vizepremier Fini: die Demonstranten "hätten bekommen, was sie verdienten". Berlusconis Kommunikationsminister, der als Braccio di ferro (Eisenarm) bekannte Maurizio Gasparri, verbot der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt RAI, Sendungen über die Vorgänge in Genau auszustrahlen. Die Verantwortlichen wurden nicht zur Verantwortung gezogen.

Der EU-Menschenrechtsgerichtshof verwies unter anderem auf ein Urteil des Obersten Italienischen Gerichtshofes, der den Polizeieinsatz als "Strafaktion" bezeichnet hatte, deren Ziel es gewesen sei, Menschen zu demütigen und ihnen körperliches und psychisches Leid zuzufügen. Die Strasbourger Richter bemängelten zudem, dass die Polizisten, die den Mann damals misshandelten, nie identifiziert und zur Rechenschaft gezogen wurden.


Brüssel hatte nie Einwände gegen Altfaschisten des "Duce" in Berlusconis Regierungen

Dieses Urteil wirft viele Fragen auf: Eines der 600 Opfer erhielt Genugtuung. Dass die "schwarze Regierung" Berlusconis (eine Charakteristik des linken Manifesto) versuchte, von verdeckten zu offen terroristischen Methoden der Machtausübung überzugehen, wird völlig ignoriert. Das verwundert nicht, wenn man sich erinnert, dass es in Brüssel nie Einwände gegen die Berufung selbst früherer Gefolgsleute des "Duce" in der Salò-Republik, wie Mirko Tremaglia, zu Ministern gab.


Berlusconi wurde 2003 EU-Ratspräsident

Der Befehlshaber des Polizei-Einsatzes in Genua, AN-Führer Fini, konnte 2002 unwidersprochen in den Reformkonvent der EU einziehen und auch Berlusconi zwei Jahre nach Genua den halbjährigen Ratsvorsitz der EU antreten. Das macht bekanntlich inzwischen europaweit Schule: In Ungarn, Lettland, Estland, nicht zu vergessen in der Ukraine und in der wieder entfachten faschistischen Hetze gegen Russland und seinen Präsidenten Putin.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2015

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