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ITALIEN/095: Italiens sozialdemokratische PD tief gespalten (Gerhard Feldbauer)


Italiens sozialdemokratische PD tief gespalten

Ex-Kommunist der PCI-Elite appelliert zur Einheit

Von Gerhard Feldbauer, 30.06.2015


Italiens sozialdemokratischer Partito Demokratico (PD) steckt in einer tiefen Krise. Die führenden Parteilinken und zahlreiche weitere Mitglieder haben aus Protest gegen den arbeiter- und gewerkschaftsfeindlichen Kurs des PD- und Regierungschefs Matteo Renzi die Partei verlassen und eine "reformistische und linke Area" gebildet, die am Wochenende ihr weiteres Vorgehen beriet. Es wird nicht ausgeschlossen, dass es zur Gründung einer neuen Linkspartei auf der Grundlage eines Zusammenschlusses mit der bisherigen Linken für Umwelt und Freiheit (SEL) kommen könnte.

Zu der dramatischen Situation hat sich auf der Tagung der PD-Abtrünnigen einer der letzten Ex-Kommunisten aus der einstigen Führungsriege der 1990 aufgelösten Italienischen Kommunistischen Partei (IKP), Alfredo Reichlin, mit einer Warnung vor den Folgen der Spaltung der Sozialdemokraten zu Wort gemeldet. "Der historische Führer der PCI kritisiere sowohl den Premier als auch die Linke in der Partei" schreibt die römische Repubblica, die ausführlich über die viel beachtete Rede des 90jährige Ex-Kommunisten berichtete. Reichlin habe betont, er sei "kein Gegner" des Premiers, dessen Kurs nach links korrigiert werden müsse. Das regierungsnahe Blatt titelt, seine Rede eine "Offensive der Hoffnung gegen Renzi", während er an die PD-Minderheit appelliere, "nicht als Sekte " zu agieren. Schärfer gibt das linke Manifesto wieder, Reichlin habe den Premier "einen Ignoranten" genannt, der für die Parteiaustritte und die Zersplitterung der PD verantwortlich sei. Um Schadensbegrenzung scheint dagegen der Mailänder Corriere della Sera bemüht, der zitiert, die Partei zu verlassen, sei ein Irrtum, es gehe um "einen Neubeginn". Das großbürgerliche Blatt und Sprachrohr führender Kapitalkreise gibt offensichtlich der Befürchtung Ausdruck, die von Renzi geführte PD als ihr derzeit bester Interessenvertreter könnte an Zugkraft verlieren.


Gramsci im Hintergrund

Reichlin, ein enger Vertrauter des langjährigen PCI-Generalsekretärs Enrico Berlinguer, des Begründers eines Historischen Kompromisses der Regierungszusammenarbeit mit den Christdemokraten, machte 2007 den Zusammenschluss der aus der IKP hervorgegangenen Linksdemokraten mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zur PD mit, den er in seiner von Widersprüchen nicht freien Rede auch verteidigt. Damit sei "eine breite Volkskraft der linken Mitte entstanden, die jedoch nicht nur ein Parlamentsbündnis sein dürfe, sondern eine Centro sinistra (linke Mitte), die das Zusammengehen der Linken mit den katholischen Volkskräften" verkörpere. "Italien braucht eine starke Volkskraft, eine Centro sinistra im Sinne auch einer großen sozialen Allianz", womit sich Reichlin ausdrücklich hinter die kürzlich erhobene Forderung des Vorsitzenden der Metallarbeitergewerkschaft FIOM, Maurizio Landini stellte.

Ohne Antonio Gramsci namentlich zu erwähnen, bezieht sich Reichlin wiederholt direkt auf den Mitbegründer und führenden Theoretiker der IKP, so wenn er zur Rolle der Linken deren Hegemonie erwähnt, das Zusammengehen der katholischen Volksmassen betont und die Bedeutung des Dialogs zwischen den verschiedenen Volksschichten. In diesem Kontext geht Reichlin offensichtlich auf Distanz zu dem von Renzi verkündeten Ziel, die sozialdemokratische PD zu einer "Partei der Nation" umzuwandeln. Entschieden wandte sich der Ex-Kommunist gegen das Paktieren Renzis mit dem faschistoiden Ex-Premier Berlusconi, das er als "Ein Katze und Maus-Spiel" bezeichnete. Zum weiteren Vorgehen fehle Renzi eine Konzeption "politischen Denkens". Zu den Versuchen des PD-Chefs die Linke auszuschalten warnte er: "Wenn du so fortfährst, sägst du am dem Ast, auf dem du sitzt".

Renzi selbst hat sich bisher nicht zu Reichlin geäußert. Beobachter in Rom erwarten nicht, dass er grundsätzliche Korrekturen an seinem Kurs vornehmen wird. Im Senat hat er gerade wieder ein Misstrauensvotum über seine Schulreform überstanden und Meinungsumfragen registrieren für ihn zwar leichte Wählereinbußen aber immer noch die seit dem Sturz Berlusconis 2011 mit knapp unter 40 Prozent höchsten Ergebnisse.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2015

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