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ITALIEN/283: Salvini will Mitte-Links bei Regionalwahlen in Umbrien schlagen (Gerhard Feldbauer)


In Italien dreht das Krisenkarussell sich weiter

Bei Regionalwahlen in Umbrien will Lega-Chef Salvini Mitte Links schlagen

von Gerhard Feldbauer, 24. Oktober 2019


Am kommenden Sonntag finden in Umbrien mit der Hauptstadt Perugia Wahlen zum neuen Regierungspräsidenten und Parlament statt. Die nördlich des römischen Latium liegende Region ist vor allem durch die Basilika des Heiligen Franziskus in Assisi bekannt, die als eine der sieben ranghöchsten katholischen Gotteshäuser jährlich Millionen Touristen anzieht. In der Region leben auf rund 8.450 km² nur 890,000 Einwohner, von denen 700.000 wahlberechtigt sind. Trotzdem gilt der Urnengang als ein Test für die seit knapp zwei Monaten amtierende Regierung der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) mit der Demokratischen Partei (PD) mit einem Rest linken, will heißen sozialdemokratischen Outfits. Jahrzehntelang eine Hochburg der traditionellen Linken Mitte wird sie seit 2011 von dieser mit der Präsidentin Catiuscia Marini von der PD regiert. M5S und PD haben sich auf den parteilosen Unternehmer der Tourismus-Branche und Präsidenten von Federalberghi Umbria, Vincenzo Bianconi, für die Präsidentschaft geeinigt. Lega-Chef Salvini hat eine Spitzenpolitikerin seiner Partei aufgeboten: Die Rechtswissenschaftlerin, Senatorin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Donatella Tesei. Sie wird von der Forza Italia (FI) Ex-Premiers Berlusconi und den faschistischen Brüdern Italiens (FdI) von Georgia Meloni unterstützt.

M5S war bei den Parlamentswahlen im März 2018 mit 34 Prozent erste Partei geworden, sank aber danach in der Regierung mit der Lega (bis August dieses Jahres) bei den EU-Wahlen und drei folgenden Regionalwahlen auf bis 17 Prozent ab. Nach dem Fall der Regierung mit der Lega im August machte sie eine Kehrtwende und bildete eine Regierung mit der einst verfeindeten PD. Nun hoffen die Sterne, dass die Wähler ihre Abkehr von der Lega honorieren und sie mit der PD einen Sieg einfahren. Salvini, der demgegenüber seine Stimmen von 19 Prozent 2018 bei dem EU-Votum auf das Doppelte steigern konnte, will mit einem Wahlsieg in Umbrien, wie ihn der Mailänder Corriere della Sera zitierte, "ein entscheidendes Signal" für die im Januar folgenden Regionalwahlen in der Emilia Romagna und Kalabrien gegeben, um danach in vorgezogenen Parlamentswahlen die PD-M5S-Regierung in Rom "davonzujagen".

In Umbrien tritt die faschistische Allianz trotz Meinungsstreitigkeiten - die von Salvini beanspruchte Führerschaft und sein offen an Mussolini orientierter Regime-Change sind umstritten - geschlossen an. Vom Gegenpol, der Regierungskoalition aus der M5S, der PD und der Linkspartei Freie und Gleiche (LeU), zu der inzwischen die von Ex-PD- und Ex-Premier Renzi aus der Abspaltung von der PD gebildete neue Partei Viva Italia (Lebendiges Italien) gehört, könne man das nicht sagen, vermerkt die der PD nahestehende römische La Repubblica am Donnerstag. Der parteilose Premier Conte, der vorher das Kabinett Lega-M5S anführte, hat inzwischen begriffen, dass man den arbeitenden Menschen einige Zugeständnisse machen muss (Mindestlohn, Steuererleichterungen, so Entlastung von Geringverdienern, Unterstützung von Familien, Abschaffung von Medikamentengebühren) und dass man, um das finanzieren zu können, gegen die maßlose Steuerhinterziehung der Reichen (die inzwischen auf 100 Milliarden Euro jährlich geschätzt wird) vorgehen muss.

Das auch, weil das Kabinett mit einer Staatsverschuldung von mehr als 2,3 Billionen Euro konfrontiert ist, was einem Haushaltsdefizit von 2,2 Prozent entspricht (das mit Brüssel vereinbarte liegt bei 1,5 Prozent), es wird aber wohl, nachdem die von der Lega betriebene Konfrontation beendet worden ist, toleriert werden. M5S-Chef Di Maio will sich dabei jedoch auf Kosten der PD profilieren und verhindern, dass diese wieder stärker ihre linke Basis, wohl gemerkt in keineswegs antikapitalistischer Orientierung, berücksichtigt. Di Maio ist auch dagegen, dass Conte Abstand nimmt von der von Salvini als Steuerreform propagierten flat tax, die eine Steuerentlastung zugunsten der vor allem aus Unternehmerschichten kommenden Lega-Wähler Norditaliens vorsah. Stattdessen will die PD einer Forderung der Gewerkschaften entsprechen und die abhängig Beschäftigten durch eine Senkung der Sozialbeiträge entlasten. Das linke Manifesto vermerkte, während Di Maio in der Regierung mit der Lega dieser gegenüber "zu jedem Kompromiss bereit war, lehne er jetzt jedes Eingehen auf den Partner ab". Er soll, so gewöhnlich zuverlässige Quellen, weiter Kontakte zu Salvini unterhalten und zu einem neuerlichen Zusammengehen mit diesem, wenn Berlusconi ausgeschlossen wird, bereit sein. Allerdings ist auch M5S gespalten. Partei-Gründer Grillo und Parlamentspräsident Di Fico unterstützen Conte und wollen die Regierung vorerst am Leben halten.

In diese Richtung gehen auch die Vorstellungen Renzis, der Zeit braucht, seine Partei aufzubauen. Die will er nach rechts bis zur FI Berlusconis öffnen, mit dem er schon einmal kollaborierte und selbst eine Regierung mit ihm bilden wollte. Allerdings kommt dafür der abgewirtschaftete Berlusconi nicht mehr in Frage. Eher wohl dessen frühere Ministerin Maria Carfagna, die den so genannten "gemäßigten Flügel" der FI anführt, den sie mit einem "liberalen, moderaten und reformistischen" Outfit vorstellen will. Eine solche extrem rechts ausgerichtete, aber mit Renzi "links" angehauchte Regierung, könnte auch den Vorstellungen der Confindustria (Verband der Großindustriellen) entsprechen. Ihr derzeitiger Chef, Vincenzo Boccia, ist ein alter Freund Renzis, mit dem er 2016 als damaliger Premier einen Pakt der Zusammenarbeit schloss.

Von PD-Chef Nicola Zingaretti verlautet inzwischen, dass man sich nicht endlos unter dem Damoklesschwert einer jederzeit ausbrechenden Regierungskrise bewegen und lieber selber den Zeitpunkt für Neuwahlen bestimmen sollte. Die Stunde der Wahrheit könne erstmals schlagen, wenn demnächst im Parlament über den Haushalt für 2020 abgestimmt wird.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2019

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