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ITALIEN/390: Massenstreik gegen die Abwälzung der Kriegskosten und für höhere Löhne (Gerhard Feldbauer)


Für das Kapital beginnt eine Eiszeit
Zehntausende Italiener forderten: Schluss mit der Abwälzung der Kriegskosten

Zentrale Losung war: "Weniger Waffen, höhere Löhne"

von Gerhard Feldbauer, 24. April 2022


Für diese Forderungen streikten am Freitag in ganz Italien Beschäftigte aller Wirtschaftszweige und gingen zusammen mit Studenten und Schülern von Mailand, Turin und Genua über Rom bis Neapel und Palermo auf die Straße. Die ganztägigen landesweiten Arbeitsniederlegungen der Beschäftigten der Luftfahrt, der Autobahnen, Häfen, Fähren, Busse und Bahnen sowie des öffentlichen Regional- und Nahverkehrs trafen, wie es der Gewerkschaftsführer Roberto Montanari auf den Punkt brachte, einen Nerv der kapitalistischen Wirtschaft, der für die Geschwindigkeit der Warenzirkulation verantwortlich und damit eine grundlegende Voraussetzung für Profit ist. Montanari ist Leiter des Logistiksektors der USB, deren zentrale Unione Sindacale di Base zu dem Streik aufgerufen hatte. Das linke Magazin Contropiano vermerkte in seinem Online-Portal zur Breite der Teilnehmer, er sei ein "Streik der Sammler, der Produzenten, der Verarbeiter, der Transporter, der Verlader und der Verkäufer der Waren zusammen mit anderen teilnehmenden Sektoren wie den Studenten".

In Rom versammelten sich nach einem Marsch durch die Straßen Tausende auf der Piazza della Repubblica, um eine Erhöhung der Löhne und Renten, darunter einen Mindestlohn von 10 Euro, und ein Ende der mit Beginn des Konflikts in der Ukraine einsetzenden Abwälzung der Kriegslasten zu fordern. Hier und anderswo hieß es in Sprechchören, auf Plakaten und Reden: "Krieg dem Krieg der NATO und der Regierung", "Italien raus aus der NATO" und "Bruch mit der EU".

Initiatoren des Kampftages waren die Basis-Gewerkschaften mit der USB an der Spitze, in deren Aufruf es hieß: "Die ohnehin schwere wirtschaftliche und soziale Krise ist durch die Folgen des in der Ukraine angeheizten Krieges enorm verschlimmert worden, was die Arbeiter jeden Tag durch die Entscheidungen der Regierung, der kriegstreibenden Seele dieses Machtsystems, zu spüren bekommen." Die Krise des Systems zeige sich heute in einer Kombination von Wirtschaftskrise, Umweltkrise, Gesundheitskrise und interimperialistischer Kriegskrise. Die Erhöhung der Militärausgaben werde das soziale Elend noch mehr vergrößern. Auf wirtschaftlicher Ebene müsse verhindert werden, dass bei der von der EU verfolgten so genannten Umstrukturierung des Produktionssystems nationale Unternehmen in die Wertschöpfungsketten großer europäischer Konzerne integriert werden sollen, was die Ausbeutung der Arbeiter verschärfe und den gewerkschaftlichen Kampf dagegen erschwere. USB-Sekretär Francesco Staccioli nannte den Streik "eine notwendige Antwort auf die zunehmenden Angriffe des Kapitals auf die Arbeiterrechte". Die stellvertretende Generalsekretärin der CGIL, Gianna Fracassi, erklärte, "es könne nicht länger hingenommen werden, dass die Krisenlasten auf Arbeitnehmer, Rentner und die schwächsten Bevölkerungsschichten abgewälzt werden".

Mit dabei waren Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Mitglieder der Linkspartei Potere al Popolo (Die Macht dem Volke), deren Leitung den Aufruf unterstützt hatte, aber auch viele Menschen ohne Parteibuch. Dazu gehörten Studenten, deren Organisation OSA zur Unterstützung der USB für den 22. April einen Streik der Studenten ausgerufen hatte. Sie machten darauf aufmerksam, dass die Bildungsausgaben im Haushalt 2022 von 4 auf 3,5 % des BIP absinken, während gleichzeitig Kriegsinvestitionen in Höhe von weiteren 15 Milliarden Euro bis 2026 geplant sind, und verwiesen auf die Ausbeutung der Studenten nach ihrem Wechsel ins Berufsleben durch das Kapital und auf die Schüler und Studenten, die in den vergangenen Monaten bei Arbeitspraktika tödlich verunglückten.

Die Studenten haben nicht vergessen, dass sich die USB ihrer Interessen annahm, was eine Identifikation, ein Gefühl der Gemeinsamkeit und des Miteinanders erzeugte. Auf ihren Transparenten war zu lesen: "Studenten und Arbeiter, Kinder des gleichen Zorns". So war das Zusammengehen mit den Studenten die Fortsetzung des breiten sozialen Bündnisses, das die Hafenarbeiter von Pisa in den vergangenen Wochen mit ihren Streiks und Protesten gegen Waffentransporte in die Ukraine und andere Kriegsgebiete wie den Jemen aufgebaut hatten. Das zeige, dass Arbeiter, wenn sie die Initiative ergreifen, in der Lage sind, einen größeren sozialen Block um sich herum zu vereinen, wertete Giovanni Ceraolo von der USB-Leitung die soziale Breite der Proteste. Er verwies auf die polizeiliche Durchsuchung der USB-Zentrale in Rom, mit der Unternehmer und der Repressionsapparat jede Kritik unterdrücken wollten.

Roberto Montanari vom USB-Logistik-Sektor betonte gegenüber Contropiano, der 22. April habe ein weiteres Mal den handelnden Arbeiter in den Mittelpunkt des Widerstandes gerückt, aus dem er nie ganz verschwunden war. "Und es waren die zwei Jahre der Pandemie, die das vielen bewusst gemacht haben." Dieser Prozess sei vor allem im Logistik-, Transport- und Hafensektor vor sich gegangen, der als Bindeglied zwischen industrieller Produktion und Handel ein verwundbares Glied der kapitalistischen Wirtschaft ist, in der die Geschwindigkeit der Warenzirkulation eine grundlegende Voraussetzung für Profit ist. Dieser Sektor wurde von der USB zu einem Knotenpunkt der Auseinandersetzungen, bei denen die heftigsten Angriffe auf Arbeitsbedingungen, Sicherheit und Löhne zur Gegenwehr führten, gemacht. Der Gewerkschaftsführer betonte, dass die Erhöhung der Militärausgaben und der Übergang zur Kriegswirtschaft zu einer ungeheuren Verarmung führen werde, was Erinnerungen an historische Traditionen der italienischen Arbeiter im Kampf gegen den Krieg wachrufe. "Wir stehen erst am Anfang, aber wir beginnen in Erscheinung zu treten: die Arbeiter der Flughäfen von Pisa, die des Transports, die Ilva-Stahlwerker, die Alitalia-Flugbegleiter, die die Autobahn besetzt haben, die Wanderarbeiter aus dem Süden, die Studenten." Für das Kapital beginnt eine Eiszeit.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. April 2022

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