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ITALIEN/411: Armut und Verelendung brechen alle Rekorde - Millionen unter dem Existenzminimum (Gerhard Feldbauer)


Wachsende Armut trifft Rentner am stärksten

Millionen vegetieren unter dem Existenzminimum

von Gerhard Feldbauer, 12. August 2022


In Armut und Verelendung wurden unter der seit Januar 2021 amtierenden Regierung des früheren EZB-Chefs Mario Draghi alle Rekorde gebrochen. Ein schockierender Bericht des Unimpresa Study Center, einem Institut kleiner, mittlerer und kleinster Unternehmen, enthüllte im Juli, dass Ende 2021 in Italien 11,5 Millionen Menschen, weit mehr als bis dahin bekannt, in Armut lebten. Er stützte sich auf Daten des staatlichen Amtes für Statistik ISTAT für 2021. Davon werden die Rentner am stärksten betroffen. Sie sind die Ausrangierten, deren Arbeitskraft für das Kapital keinen Wert mehr hat. Laut dem Generalsekretär der Rentnergewerkschaft im AGB/CGIL, Alfred Ebner, ist die Zahl der Rentner in Geldnot in letzter Zeit kontinuierlich gestiegen. Auch die Mittelschicht sei betroffen - und könne damit nicht umgehen.

Mit einem Anstieg von 8 % im Juni 2022 erreichte die Inflation gegenüber 1986 einen 36-Jahres-Höchststand, meldete ISTAT. Im Mai waren es 6,8 %. Die Beschleunigung der Preise für verarbeitete und unverarbeitete Lebensmittel treibt das Wachstum der sogenannten Einkaufswagen noch weiter nach oben auf +8,3 %, auch hier der höchste Anstieg seit Januar 1986. Diese Inflation "frisst die Rente auf", so Ebner. Sei es bei der Bezahlung der Energierechnung oder beim Einkaufen im Supermarkt: Immer mehr Rentner haben Probleme, finanziell über die Runden zu kommen. Rechnet man dann noch die Zunahme von Gas, Strom und Lebensmitteln hinzu, ergibt sich die Situation, dass viele Rentner in die Armut abrutschen, stellte der Verband der Koordinierung der Selbständigkeit im Ruhestand (Cupla) in seinem 2022 vorgelegten "Report Pensions, Inflation and Taxation" fest. "Ältere Menschen gehören zu den Kategorien, die am meisten für die Auswirkungen der Krise bezahlt haben", hieß es in dem Bericht. Die ohnehin bescheidene Kaufkraft der Rentner sei in den letzten 15 Jahren um 30 % zurückgegangen. In einer "Charta für die Rechte der älteren Menschen und die Pflichten der Gemeinschaft" hatte Cupla schon im September 2021 Draghi aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, die "der Achtung der Würde der Personen im dritten Lebensalter" entsprechen. Verändert hat sich nichts. Der Leiter der Mailänder Caritas, Luciano Gualzetti, berichtete kürzlich im Interview mit Radio Vatikan, dass die Coronakrise dazu führte, dass es kaum noch einen Unterschied zwischen dem traditionell reicheren Norden und dem Süden, wo generell mehr Menschen in sozialen Schwierigkeiten leben, gibt.

Laut der italienischen Sozialversicherung IPNS lag die durchschnittliche Altersrente am 1. Januar 2019 bei 1196,98 Euro. Darin sind jedoch auch die verhältnismäßig besser gestellten Pensionäre, die Altersbezüge über 1500 Euro und mehr beziehen, einbezogen. Vor der Corona-Epidemie hatte IPNS etwa sieben Millionen Rentner, von denen 36,3 % weniger als 1.000 Euro im Monat erhielten, gezählt, die damit bereits an der Armutsgrenze lebten. 12,2 % kamen nicht über 500 Euro. In Südtirol, einer Region, die zu den wohlhabenderen zählt, bekommen derzeit "circa 30 Prozent der Rentner eine Rente unter 1.000 Euro brutto", sagt Ebner. Davon lasse es sich schon in Südtirol nur schwer leben. Und jetzt treffe es jene, "die ein bisschen darüber liegen - und die solche Situationen gar nicht gewohnt sind." Dabei müssen im übrigen Italien nach der Statistik mehr als 2 Millionen von einer Rente unter 500 Euro leben, wenn man das überhaupt so nennen kann.

Das Problem der steigenden Inflation wird die Situation in den kommenden Monaten noch verschärfen, glaubt Ebner. Denn die Inflation "steht nun kurz davor, in den zweistelligen Bereich vorzudringen. Wenn man bedenkt, was das an Kaufkraftverlust ausmacht, wird es natürlich immer schwieriger", sagt der Rentnergewerkschafter. Seine Gewerkschaft fordert deshalb sowohl strukturelle Maßnahmen als auch einmalige Beihilfen. Die Rente müsse an die Inflationsrate angepasst werden, auch unterhalb des Jahres. Mit Sozialhilfen müsse den Ärmsten unter die Arme gegriffen werden, dabei müssten auch die Probleme beim Mittelstand einbezogen werden. Dort schäme man sich dafür, eine Haltung, die "eigentlich falsch" ist. Weiter verlangt die Rentnergewerkschaft dringend, einen Runden Tisch zwischen Politikern, Sozialpartnern, Verbrauchern und Verbänden einzuberufen. "All jene, die sich gegen Armut im Alter einsetzen, müssen miteinander sprechen." Wenn "jeder alleine vorprescht, wird es sehr schwierig."

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 15. August 2022

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