Proteste gegen gnadenlose Polizeijagd gewaltsam niedergeschlagen
Mailänder Staatsanwaltshaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung
von Gerhard Feldbauer, 14. Januar 2025
Die seit Wochen in Italien stattfindenden Proteste gegen tödliche Polizeigewalt, die sich am Wochenende in mehreren Städten fortsetzten, wurden von Polizeiaufgeboten gewaltsam niedergeschlagen. Die Proteste richteten sich gegen Polizeiübergriffe, bei denen am 24. November 2024 in Mailand der 19jährige Ramy Elgaml, ein seit Jahren in Italien lebender Migrant aus Ägypten, bei einer Verfolgungsjagd über acht Kilometer durch drei Carabinieri-Patrouillen ums Leben kam. Der junge Arbeiter saß auf dem Rücksitz eines Motorrollers, den sein 22jähriger tunesischer Freund Fares Bouzidi steuerte. Er hatte an einem Kontrollpunkt nicht angehalten. "Ganze Kollektive sozialer Zentren, darunter sehr junge Menschen, füllten die Plätze der Revolte", die ein gemeinsamer Nenner - "Gerechtigkeit für Ramy Elgaml" - vereinte, berichtete ANSA.
In Rom versammelten sich Hunderte Menschen im Stadtteil San Lorenzo zu einer von Linksparteien und Studentengruppen organisierten Kundgebung, an der auch der bekannte Comiczeichner Zerocalcare teilnahm. Die Polizei, gegen die Molotowcocktails und andere Gegenstände geworfen wurden, ging mit Knüppelattacken vor. Bei dem Handgemenge wurden laut ANSA acht Polizisten verletzt, über Opfer der Demonstranten lagen keine Angaben vor. Bei den Protesten in Mailand, an denen Ramys Eltern und seine Freundin teilnahmen, wurde rote Farbe auf den Asphalt verschüttet und ein Transparent mit der Aufschrift "Ramy getötet, staatlicher Rassismus" gezeigt. In Turin hatten bereits am Donnerstag Sozialzentren und linke Kollektive, darunter das autonome Universitätskollektiv, die Proteste angeführt.
Auf einem von Rai 3 ausgestrahlten Video über die Verfolgungsjagd am 24. November im Mailänder Stadtteil Corvetto, die dem Ägypter das Leben kostete, sind schockierende Bilder zu sehen und Sätze zu hören. Nach einer ersten Rammung stürzte der Motorroller nicht, worauf ein Polizist sagt: "Scheiße, er ist nicht gefallen." Als es am Endes zwischen der Via Ripamonti und der Via Quaranta zu einem weiteren Zusammenstoß kam und die beiden Jungen die Kontrolle über das Fahrzeug verloren, meldete der Polizeiwagen per Funk, dass die beiden "gefallen" seien, darauf antwortete ein Polizist per Funk "gut".
Laut ANSA gehen die Mailänder Staatsanwälte von der Hypothese eines womöglich vorsätzlichen Mordes aus. Derzeit wird gegen den Polizisten, der das Auto fuhr, das den Motorroller am Ende rammte, wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Der Fahrer des Motorrollers und Ramys Freund, Fares Bouzidi, wird ebenfalls beschuldigt. Gegen zwei weitere Polizisten wird wegen Verfahrensbetrug und Irreführung bis hin zu Beihilfe ermittelt.
Das rechtsextreme Regierungslager stellte sich, mit Premierministerin Giorgia Meloni an der Spitze, die den Polizisten versicherte, "Wir sind auf Ihrer Seite", vorbehaltlos hinter die des Mordes beschuldigten Ordnungshüter. Innenminister Matteo Piantedosi kündigte an, die Angriffe der Protestierer würden "strengstens verurteilt". Auch Parlamentspräsident Lorenzo Fontana übermittelte seine "Solidarität mit den Beamten".
In der demokratischen Öffentlichkeit wird die tödliche Polizeigewalt dagegen entschieden verurteilt. Das kommunistische Magazin Contropiano nannte Rami auf seinem Online-Portal als Betroffenen der verschärften Repressionsgesetze der Meloni-Regierung, denen er zum Opfer fiel, weil er ein Arbeiter mit Migrationshintergrund aus den Vororten ist. Die Senatorin des Bündnisses Grüne und Linke, Ilaria Cucchi, forderte den Generalkommandanten der Carabinieri, Salvatore Luongo, auf, die beteiligten Carabinieri zu entlassen. Selbst der frühere Polizeichef von Mailand, Franco Gabrielli, verurteilte die Methoden der Carabinieri als übermäßige Kriminalisierung eines Verkehrsdelikts, für die es keine Rechtfertigung gebe, da ein Fahrzeug ein Nummernschild habe, das hätte notiert werden können.
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Quelle:
© 2025 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 24. Januar 2025
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