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INNEN/435: Malta - Flüchtlinge in der Sackgasse (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 49 - Winter 2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

"Erzählt weiter, was hier los ist!"
Malta: Flüchtlinge in der Sackgasse

Von Fanny Dethloff


Malta, mit 400.000 Staatsbürgern, 316 qkm und ca. 1 Mio. Touristen im Jahr ist gastfreundlich. Jedenfalls wenn es sich um Ausländer handelt, die kommen, um Urlaub zu machen. Doch die hier anlandenden Flüchtlinge sind unerwünscht und haben dennoch keine Chance auf Weiterwanderung in andere EU-Staaten. Die Nordelbische Flüchtlingsbeauftragte Fanny Dethloff hat den EU-Inselstaat Malta im Mittelmeer im Oktober besucht.


"Times of Malta" ist voll von Leserbriefen, die einen ausländerfeindlichen Ton haben. Obwohl die Hälfte der Flüchtlinge eine Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention und deshalb auch einen Aufenthaltstitel erhalten, gelten pauschal alle als "Illegale".

Kommt man als Tourist, so ist Malta die zu Stein gewordene Abwehr des christlichen Abendlandes gegen die feindlichen arabischen Angriffe in der Geschichte. Die Festungen, die Kathedralen - alles zeugt von dieser Geschichte. Und zugleich ist es in Sprache und Bauweise die Vermischung der arabischen und christlichen Kultur zu einer wunderbaren Einheit. Die Integration verschiedener Kulturen und Einflüsse haben dieses Land geprägt. Gastfreundlich und offen ist das Land.

Von all dem merken Flüchtlinge nur begrenzt etwas. Immer mehr kommen gerade in den Monaten, wenn im Herbst die europäische Grenzschutzagentur "Frontex" die Fahrten im Mittelmeer einstellt. Rettung von Bootsflüchtlingen ist immer ein Thema, da man die Zuständigkeiten erst geprüft haben will: Libyen, Italien oder Malta, wer muss retten und aufnehmen? In den letzten 7 Jahren sind ca. 13.000 Menschen gekommen, ca. 6-7000 sind noch aktuell auf der Insel.

Die Flüchtlingsorganisationen, die auf der Insel arbeiten, die wenigen Engagierten bekommen Telefonanrufe von den Booten draußen auf See. Dinghies, Schlauchboote oder alte klapprige Holzboote. Kürzlich bekamen sie einen Anruf. Das ist wichtig, um die Boote dann orten zu können und es an die Rettungskräfte weiterzugeben. Doch als sie zurückriefen, gab es kein Signal mehr. Über siebzig Leute. Niemand weiß genaueres. Ahnungen, dass sie alle untergegangen sind. Im Hafen von Valletta kreuzt derweil ein kleines Holzboot mit ein paar Touristen. "Schau das Boot dort", erzählt A., "Das hat ein Freund von der Küstenwache preiswert erstanden. Ein Boot für höchstens 25 Menschen. Es war ein Flüchtlingsboot, was über 80 Menschen an Bord hatte. Unglaublich".


Abschiebebescheid zur Begrüßung

Sowie jemand gerettet wird, wird er mit einem Abschiebebescheid der maltesischen Administration, einem sogenannten "Removal-order", versehen. Es ist das Erste, was zur Begrüßung von Menschen in Not ausgestellt wird. Keinen Richter oder Anwalt bekommen Flüchtlinge dafür zu sehen. Damit ist sicher, dass man in die berüchtigten, drei durch Militär oder das eine durch Polizei kontrollierte "Detention Centre" überstellt wird. Es sind faktisch Gefängnisse, die offiziell nicht so genannt werden. Selbst europäische Gefängnisstandards erfüllen sie nicht. Versteckt hinter hohen Mauern drohen trotz Asylgesuch bis zu 18 Monate Haft.

Der Jesuiten Flüchtlingsdienst (Jesuit Refugee Service - JRS) ist die einzige Organisation mit einer maltesischen Rechtsanwältin, die die juristische Vertretungen der Betroffenen übernimmt. Manche versuchten mit falschen Ausweispapieren nach Europa weiterzukommen und nun sofort sechs bis sieben Monate Haft erhalten, wenn sie aufgegriffen werden. Italien hat das vehement gefordert. Malta befolgt alle Richtlinien der EU. Advocacy, Lobbyarbeit, Aufklärung - JRS macht alles zugleich. Gut und so laut sie können, und dennoch mit viel zu wenig Leuten.

Besonders verwundbare Gruppen sind von den Detentions Centres ausgenommen: Minderjährige, wenn sie nicht administrativ älter gemacht werden (Handwurzelröntgen inklusive), Kranke oder schwerst Behinderte oder Familien können früher entlassen werden. Frauen kommen eher raus, wenn sie schwanger sind, somit steigt die Schwangerschaftsrate.


Lebensverhältnisse

Das Asylverfahren dauert eine Ewigkeit. Viele, die aus Somalia, Eritrea, Sudan, Äthiopien kommen, haben keine Chance auf einen Flüchtlingsstatus, erhalten aber subsidiären Schutz. Andere bekommen von Malta eine Art humanitäres Bleiberecht. Alle müssen, sind sie aus den Detentions Centres entlassen, für mindestens sechs Monate in die sogenannten "Open Centres". Viele leben schon seit 2004 dort. Sie haben eine Arbeitserlaubnis, wenn es auch nur wenig Arbeit gibt. Solche Sammellager sind z.B. ein alter asbestverseuchter Hangar (der Platz heißt auch so) mit 200 Menschen und unzureichenden Sanitäranlagen oder ein Zeltlager, mit jeweils 24 der Kälte ausgelieferten Menschen pro Zelt und etwa 800 Menschen insgesamt.

Europäischen Normen und menschenrechtlichen Standards entsprechen diese Lager nicht. Es fehlt an sanitären Einrichtungen, an Decken, an medizinischer Betreuung. Eine therapeutische Versorgung der größtenteils durch Flucht, Verfolgung aus dem Heimatland, aber auch durch die lebensbedrohlichen Fluchtwege nach Europa und die Behandlung traumatisierter Flüchtlinge im Dentention Centre fehlt. Weit entfernt von allen touristischen Attraktionen, warten hier schwerst traumatisierte, kranke Menschen, die große Hoffnungen auf Bildung oder Demokratie und europäische Menschenrechtsstandards hatten, und langsam angesichts der Aussichtlosigkeit in Depression verfallen.


Offenes Zentrum

Anders ist noch das "Marsa Open Centre", von einer NGO geleitet, mit zu wenig Personal ausgestattet, neben einer alten Fischfabrik, mit einem offenen, stinkenden, verseuchten Kanal an der Seite. Aber vom Willen getragen, irgend etwas wie ein System vorzuhalten. So halten sich viele aus den anderen Centren in diesem am Wochenende auf. Es gibt informelle Cafés der verschiedenen Communities und einen kleinen Markt. Viele Schwarze erzählen, dass sie sich auf Malta kaum durch die Städte trauen und rassistische Überfalle und Angriffe, Ausgrenzungen und Beschimpfungen an der Tagesordnung seien.

Bei 450 Plätzen nimmt der Gebäudekomplex normalerweise 800, am Wochenende manchmal bis zu 1200 Menschen auf. Es ist eine Art Ghetto, wo sich eigene Communities zusammentun und ein sudanesisches, eritreisches, äthiopisches und somalisches Restaurant zum Verweilen und Zeittotschlagen einladen. Eine Moschee zeigt an, dass die Mehrheit einen islamischen Hintergrund hat. Eine kleine Kirche wird ebenfalls am Mittwoch und Sonntag geöffnet. Ein "Education centre" versucht mit Sprachkursen, kultureller Bildung und Computer-Kursen ein paar Angebote zu machen.

Psychiatrie und Krankenhäuser sind kostenlos und versuchen mit dem, was da ist, zu helfen. Doch niemand ist auf die genitalverstümmelten Frauen vorbereitet, denen bei der Geburt von Kindern viel Leid und Komplikationen drohen, oder auf die traumatisierten Menschen, die zwar mit Tabletten versorgt, aber ohne Behandlungsmöglichkeiten bleiben.

Bisweilen gibt es Registrierungen für Resettlement Programme. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sind federführend dabei. Die USA starten ihr Resettlement Programm in nächster Zukunft. Die Unruhe ist groß und manch einer, der beim letzten Mal von seinen Freunden, die weiterwandern durften, getrennt wurde, kam direkt in die Psychiatrie, weil er zusammenbrach. Deutschland habe kürzlich 14 Leute mit Familienkontakten aufgenommen, heißt es.


Rückschiebungen an der Tagesordnung

Klar ist auch, dass es vor allem die Verschlossenheit Deutschlands ist, die verhindert, dass die ankommenden Flüchtlinge in andere europäische Länder weiterreisen dürfen.

Rückschiebungen aus Finnland, Niederlanden, Schweden und Deutschland sind auf Grundlage der Dublin-II-Verordnung an der Tagesordnung. Und so treffe ich auf M., der aus Frankfurt zurück ist, wo er seinen Onkel hat und vielleicht etwas hätte lernen können. Oder im Zeltlager auf A., der als Minderjähriger dort lebt und immerhin acht Monate in den Niederlande zur Schule ging und nun ohne Aussicht auf irgend etwas im Zeltlager auf ein Wunder wartet. "Burden sharing" meint die "Belastung" der Flüchtlinge auszugleichen - ein ungeliebtes Thema in der EU. Die Länder könnten von ihrem Selbst-Eintrittsrecht Gebrauch machen und angesichts ihrer eigenen niedrigen Zahlen A. oder M. eine Zukunft ermöglichen.

Was er sich wünsche, frage ich Ahmed, der das Marsa Open Centre leitet für die NGO "Fondazzjoni Suret il-Bniedem" (Organisation für Menschlichkeit), die der ministeriellen Abteilung AWAS (Agency for the welfare of Asylum Seekers) untersteht. Seine Liste ist lang: "Mehr Personal, das kompetente Arbeit machen kann. Mehr Material und Hilfe beim Ausbau der Küchen und sanitären Anlagen. Mehr Decken und Kleidung für die Flüchtlinge. Mehr Hoffnung für die, die nie wieder zurück können, aber auch nicht weiterkönnen. Mehr Arbeitsangebote für die, die von etwa 120 Euro im Monat ihr Leben bestreiten müssen."

Und als kurzfristige Hilfe? "Mehr Informationen in der EU, was hier läuft. Mehr Freiwillige, die kommen und kompetent mitarbeiten können. Erzählt weiter, was hier los ist!".

Fanny Dethloff ist die Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche mit Sitz in Hamburg


Europas Jesuiten machen auf Elend der Bootsflüchtlinge aufmerksam

Auf die anhaltende menschliche Tragödie von afrikanischen Bootsflüchtlingen im Mittelmeerraum machen Europas Jesuiten aufmerksam. In Malta wiesen die Leiter der europäischen Jesuitenprovinzen in einer Erklärung darauf hin, dass weder Malta noch die Länder an der südlichen Außengrenze Europas dieses Problems allein lösen könnten und forderten die Europäische Union zum umgehenden Eingreifen auf. Die Möglichkeit, in Europa Asyl zu beantragen, müsse in der Realität auch erreichbar sein. Die Jesuiten fordern die EU-Mitgliedsstaaten auf, schutzsuchenden Personen effektiv Solidarität zu zeigen, die Verantwortung für die gemeinsamen Menschenrechtsverpflichtungen mit den überlasteten Staaten an den EU-Außengrenzen zu teilen und die Partnerschaft mit den afrikanischen Herkunftsstaaten auszubauen, um neue Möglichkeiten zu schaffen, ein Leben in Würde dort fortsetzen zu können. Der Einsatz für Flüchtlinge und Migranten ist weltweit eine Priorität des Ordens. In den EU-Mitgliedsstaaten sowie in Russland, der Ukraine, in der Schweiz, auf dem Balkan, im Mittleren Osten und den Maghrebstaaten gehören ihm 5.900 Jesuiten an. In Europa unterhält der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Büros und Beratungsstellen in 13 Ländern, darunter auch in Brüssel.

Quelle: Info-Brief des Jesuiten-Flüchtlingsdienst Oktober 2009


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 49 - Winter 2009, S. 37-39
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
Für Vereinsmitglieder ist Der Schlepper kostenlos.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2010