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INNEN/489: EU-Rat muss Konsequenzen aus Lampedusa-Katastrophe ziehen (Pro Asyl)


Pro Asyl - Pressemitteilung vom 7. Oktober 2013

Treffen des EU-Rates: EU muss Konsequenzen aus Lampedusa-Katastrophe ziehen

PRO ASYL erwartet Signal zur Abkehr von der Abschottungspolitik - auch aus Deutschland



Nach der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa wird erwartet, dass sich der heute zusammenkommende EU-Rat mit der Asylpolitik der EU befasst. PRO ASYL fordert vom Rat ein deutliches Signal zur Abkehr von der bisherigen Abschottungspolitik gegenüber Schutzsuchenden. "Deutschland muss hier sein politisches Gewicht in der EU endlich zugunsten einer Flüchtlingspolitik einsetzen, die Flüchtlingen eine gefahrenfreie Einreise ermöglicht", so Günter Burkhardt von PRO ASYL.

PRO ASYL kritisiert die Aussagen von Bundesinnenminister Friedrich, nach denen angesichts der Katastrophe nun die Bekämpfung der Schleuser intensiviert werden müsse, aufs schärfste. Die Schleuserkriminalität ist eine Folge der für Flüchtlinge verschlossenen EU-Grenzen. Flüchtlinge, die aus Eritrea, Somalia, Syrien, Afghanistan oder anderen Ländern fliehen müssen, bleibt kaum eine andere Wahl, als zu versuchen, mit Hilfe von Schleppern nach Europa zu gelangen. In den Transitstaaten finden Sie keinen Schutz. Die EU verweigert ihnen legale und sichere Fluchtwege nach Europa. Wer Schleuser bekämpfen will, muss legale Fluchtwege schaffen, nicht die Grenzen weiter abdichten.

Nachdem Griechenland 2012 auf Druck von Friedrich und anderer EU-Innenminister die griechisch-türkische Landgrenze am Evros hermetisch abgeriegelt hat, sanken die Flüchtlingszahlen in der Evros-Region deutlich. Zugleich stiegen sie in der Ägäis. Aufgrund des dortigen Frontex-Einsatzes und rechtswidriger Push-Back-Operationen durch die griechische Küstenwache verlagert sich die Route nach Italien. Die Intensivierung des Grenzschutzes sorgt nur dafür, dass die Fluchtrouten länger und gefährlicher werden.

Auch das Argument, die EU müsse sich statt für den Flüchtlingsschutz für die Verbesserung für die Situation in den Herkunftsländern einsetzen, geht an der Realität vorbei. Friedrich hatte formuliert, die Menschen bräuchten "stabile politische Verhältnisse und wirtschaftliche Perspektiven in ihrer Heimat" und dabei könne "Europa helfen". Angesichts der realen Verhältnisse in Syrien, Somalia, Eritrea, Afghanistan oder Irak ist dies illusorisch. Es ist derzeit in keiner Weise ersichtlich, dass die EU die gewaltsamen Konflikte in den genannten Ländern stoppen kann.

Ob weiterhin jedes Jahr Hunderte Flüchtlinge an den Außengrenzen Europas sterben, liegt dagegen in der Macht der EU. Die Organe der Europäischen Union und ihre Mitgliedstaaten können u.a. folgende Maßnahmen ergreifen:

- Europa muss gefahrenfreie Wege für Flüchtlinge eröffnen. Dies kann durch ein verändertes Visaregime geschehen, das Schutzsuchenden die legale Einreise ermöglicht. Gegenwärtig gibt es zum Beispiel immer noch keine unbürokratischen Möglichkeiten für Flüchtlinge, die Angehörige in Deutschland oder anderen EU-Staaten haben, legal in die EU einzureisen. Zudem kann Europa durch die proaktive Aufnahme von Flüchtlingen im Resettlement-Verfahren Flüchtlingen die gefährliche Überfahrt ersparen.

- Die europäische Grenzschutzagentur Frontex und auch die geplante Eurosur-Regelung haben das primäre Ziel, angeblich "illegale Einreisen" zu verhindern. Obwohl bereits zahlreiche technische Systeme zur Ortung von Flüchtlingsbooten im Einsatz sind, hat die EU immer noch kein funktionierendes Seenotrettungssystem. Bei allen Maßnahmen der EU, die die Außengrenzen betreffen, müssen die Rettung von Menschenleben und der Flüchtlingsschutz allererste Priorität erhalten.

- Das EU-Asylzuständigkeitssystem (Dublin-Verordnung) sieht vor, dass derjenige EU-Staat für ein Asylgesuch zuständig ist, über den der Asylsuchende in die EU eingereist ist. Dadurch wird die Hauptverantwortung für den Flüchtlingsschutz auf die EU-Randstaaten abgeschoben. EU-Randstaaten wie Malta, Griechenland oder Italien reagieren darauf mit einer Strategie der Abschreckung. Die Verweigerung von Seenotrettung, illegale Push-Back-Operationen, die Inhaftierung von Asylsuchenden, menschenunwürdige Aufnahmebedingungen und unfaire Asylverfahren sind Teil dieser Praxis. So sehr diese Menschenrechtsverletzungen auf das Konto der jeweiligen Nationalstaaten gehen, sind sie Folge des unsolidarischen Dublin-Systems. Die Staaten im Zentrum der Union, die am Dublin-System festhalten, sind daher für diese systematischen Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich. Sie müssen ihren Widerstand gegen eine grundlegende Veränderung der Asylzuständigkeitsregelung, die die Bedürfnisse der Schutzsuchenden in den Mittelpunkt stellt, endlich aufgeben. Die EU muss Verstöße gegen die Menschen- und Flüchtlingsrechte in all ihren Mitgliedstaaten konsequent unterbinden.

- Die Katastrophe vom 3. Oktober geschah, weil die Flüchtlinge verzweifelt versuchten, vorüberfahrende Boote, die die Flüchtlinge offenbar ignorierten, auf sich aufmerksam zu machen. Da Italien Fischer und andere Seeleute wegen angeblicher "Schlepperei" kriminalisiert, die Flüchtlinge auf dem Meer retten und an einen italienischen Hafen bringen, werden zahlreiche Flüchtlinge nicht gerettet, obwohl Schiffe an ihnen vorüberfahren. Es liegt an Italien, dieses Gesetz abzuschaffen. Die EU kann hierzu ihren Einfluss geltend machen.

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Quelle:
Pro Asyl - Pressemitteilung vom 7. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013