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INNEN/495: Kein Kurswechsel nach der EU-Wahl (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 22 vom 30. Mai 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Kein Kurswechsel nach der EU-Wahl
Linksparteien erreichen Zuwächse, aber keinen gravierenden Fortschritt

von Georg Polikeit



Das Gesamtergebnis der EU-Wahl 2014 lässt sich nach den Anfang dieser Woche vom EU-Parlament bekannt gegebenen Zahlen in drei Haupttrends zusammenfassen:

• Die etablierten Parteien, die bisher den EU-Kurs des neoliberalen Sparzwangs und des Sozialabbaus durchgesetzt haben, verlieren zwar an Stimmen, aber die Absage der Wählerinnen und Wähler an diese Parteien reicht nicht aus, um eine spürbare Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse zu erreichen. Sowohl die Rechtskonservativen wie die Sozialdemokraten, aber auch Liberale und Grüne haben weniger Stimmen und Mandate als 2009. Die Europäische Volkspartei (EVP) und die sozialdemokratische Fraktion S&D ("Sozialisten und Demokraten") stellen aber dennoch weiterhin die stärksten Fraktionen im EU-Parlament.

• Der vorhergesagte und in den vorherrschenden Medien oft geradezu herbeigeredete "Durchbruch" rechtsextremistischer, ausländerfeindlicher und rassistischer Parteien ist in der Tat besorgniserregend. Nicht nur in Frankreich und Großbritannien, sondern auch in mindestens neun weiteren EU-Staaten.

• Die Wahlergebnisse der linken Parteien und Bündnisse, linkssozialistischer wie kommunistischer Prägung, weisen in mehreren Ländern erfreuliche Verbesserungen auf, was sich auch in einer vergrößerten Linksfraktion im EU-Parlament niederschlägt. Aber die Tendenz ist uneinheitlich. In einigen Ländern sind auch Stimmenrückgänge zu verzeichnen. Insgesamt bleibt das Ergebnis der Linken hinter den Erwartungen und Vorhersagen, vor allem aber hinter dem für die Durchsetzung eines anderen politischen Kurses notwendigen Gewicht zurück.


Absage an den bisherigen EU-Kurs

Die rechtskonservative EVP kam zwar auf 213 Mandate (bei insgesamt 751 Abgeordneten), verlor aber 61 Sitze. Die Sozialdemokraten erreichten 190 Mandate, verloren 6 Sitze. Die Liberalen (ALDE) erhielten 64 Sitze, 19 weniger als 2009. Das Wahlergebnis der Grünen ist wechselhaft; beachtlichen Gewinnen in einigen Ländern (Österreich) stehen große Verluste in anderen (Frankreich) gegenüber. Insgesamt kommen die Grünen auf 53 Sitze, vier weniger als 2009.

Auch die in manchen EU-Staaten leicht gestiegene Wahlbeteiligung kann nicht als Zustimmung zum bisherigen EU-Kurs gewertet werden. Auf EU-Gesamtebene stagnierte die Beteiligung bei 43 Prozent. Das heißt, mehr als jeder zweite Wahlberechtige brachte seinen Missmut über die etablierte Politik dadurch zum Ausdruck, dass er nicht hinging. In der Slowakei fiel die Wahlbeteiligung auf das Rekordtief von 13 Prozent Das Hauptergebnis dieser Wahlen ist also unbestreitbar eine drastisch schwindende Zustimmung zu den bisher in der EU-Politik tonangebenden Parteien.

Dessen ungeachtet hat hinter den Kulissen nun bereits ein heftiger Posten- und Koalitionsschacher begonnen, da weder Juncker noch Schulz mit ihren Parteiformationen allein im EU-Parlament über die erforderliche Mehrheit verfügen, um zum künftigen EU-Kommissionschef gewählt zu werden. Kanzlerin Merkel hat sich für eine Vereinbarung mit den Sozialdemokraten über ein "Personalpaket" ausgesprochen, das mehrere EU-Spitzenposten einbezieht. Es dürfte also mit größter Wahrscheinlichkeit zur Fortsetzung der "großen Koalition" in der EU kommen, die auch bisher schon in der EU-Kommission bestanden hat.

Eigentlich ist es ziemlich unwichtig, wie dieser "Kompromiss" am Ende aussehen wird. Denn sowohl die EVP wie die Sozialdemokraten stehen für die im Wesentlichen unveränderte Fortsetzung des bisherigen neoliberalen Zwangsparkurses, für Deregulierung der Arbeitsmärkte und des Tarifvertragssystems und die Ausweitung des Niedriglohnsektors, für den Ausbau der Macht der EU-Zentralen über die Mitgliedstaaten und für den Ausbau der EU zu einer global agierenden und in Kriege verwickelten EU-Militärmacht.

Es wird somit weiterhin entscheidend auf die Entwicklung des außerparlamentarischen Widerstands gegen diese Politik ankommen.


Der gefährliche Vormarsch der Rechtsextremisten

Die alarmierenden Ergebnisse der rechtsextremistischen Parteien können dazu führen, dass sie im künftigen EU-Parlament mit mehr als hundert Abgeordneten den drittstärksten Block darstellen, auch wenn sich abzeichnet, dass sie sich infolge verschiedenartiger Differenzen wahrscheinlich nicht zu einer einzigen Fraktion zusammenschließen, sondern möglicherweise mit zwei Fraktionen auftreten werden, zusätzlich zu einer ganzen Reihe fraktionsloser Abgeordneter, die sich keiner der bestehenden Fraktionen anschließen.

Die größten Erfolge verzeichneten die Rechtsextremisten in Großbritannien mit der "Unabhängigkeitspartei" (UKIP 26,8 %), in Dänemark mit der "Dänischen Volkspartei" (DF 26,6 %), in Frankreich mit dem "Front National" (FN) unter Marine Le Pen (24,95 %) und in Belgien mit der "Neuen Flämischen Allianz" (N-VA - 16,35 %), die alle vier bei dieser Wahl in ihrem Land jeweils stärkste Partei wurden. Die antisemitische "Jobbik" in Ungarn erreichte 14,7 Prozent, und dies neben der gleichfalls rechtsextremen FIDESZ-Partei von Regierungschef Orbán, die 51,5 Prozent für sich gewinnen konnte. Die österreichische FPÖ kam auf 19,7 Prozent, ebenso wie die "wahren Finnen" (19,7 %). Die "Freiheitspartei" (PVV) des niederländischen Rechtsextremisten Geert Wilders kam auf 13,2 Prozent, trotz eines gewaltigen Stimmenverlusts gegenüber vorhergehenden Wahlen. Die "Schwedendemokraten" (SD) erreichten 9,7 Prozent und die griechische "Goldene Morgenröte" als drittstärkste Partei des Landes 9,4 Prozent.

Zweifellos sind diese Ergebnisse auf dem Boden des Unmuts und der Unzufriedenheit mit der bisherigen EU-Politik gewachsen. Es gelang den Rechtsextremisten offensichtlich, sich in erheblichen Teilen der Wählerschaft mit ihrer sozialen und nationalistischen Demagogie als die wahren Volks- und Arbeitervertreter gegen "die da oben" darzustellen und Enttäuschte und Empörte mit falschen Feindbildern, ausländer- und immigrationsfeindlichen Parolen von den wahren Verursachern ihrer Nöte abzulenken. In einer Stellungnahme der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) wurde sicher nicht zu Unrecht erklärt: "Wenn die Rechte und die Rechtsextremen vorn liegen, ist damit vor allem die Regierungsmehrheit (unter dem sozialdemokratischen Staatschef Hollande wegen ihrer nicht eingehaltenen linken Wahlversprechen, GP) sanktioniert worden".


Linksparteien mit verbesserten, aber insgesamt
unbefriedigenden Ergebnissen

Die Fraktion der "Vereinigen Linken" im künftigen EU-Parlament wuchs von 35 (2009) auf 42 Abgeordnete. So erfreulich dies ist, verbergen sich dahinter doch ganz unterschiedliche Ergebnisse in den einzelnen Ländern.

Der größte Zuwachs ergab sich in Griechenland, wo das Linksbündnis "Syriza" von 4,7 auf 26,6 % anwuchs und damit stärkste Partei im Land wurde. Sie erreichte 6 Mandate im EU-Parlament (statt bisher 1). Die in scharfer Konkurrenz zu Syriza kandidierende KKE errang mit knapp 6,1 Prozent zwei EU-Mandate (wie bisher, bei der EU-Wahl 2009 hatte die KKE allerdings 8,35 % erreicht).

Stimmen- und Mandatszuwächse für Linke ergaben sich auch in Irland (Sinn Fein 17 %, 3 Mandate, 2 mehr als bisher), Portugal (12,7 %, 3 Mandate für das von der PCP initiierte Bündnis CDU, und gleichzeitig bei deutlichem Stimmenverlust 4,6 % für den konkurrierenden "Linksblock" (BE) -1 Mandat statt bisher 3) und Spanien (Vereinigte Linke 9,99 %, 5 Mandate, 4 mehr als bisher).

In Frankreich erreichte die "Linksfront" nur einen Stimmenzuwachs von 0,34 % (von 6,0 auf 6,34 %, was einen Rückgang der Mandatszahl von 5 auf 4 zur Folge hatte.) In den Niederlanden konnte die linkssozialistische "Sozialistische Partei" (SP) von 7,1 auf 9,6 % zulegen und erreichte damit 2 Mandate. Stimmenzuwächse für linke Parteien gab es auch in Finnland (von 5,9 auf 9,3 %, 1 Mandat), Dänemark (von 7 auf 8 %, 1 Mandat), und Italien (von 3,4 auf 4 %, aber kein Mandat). In Belgien steigerte die "Partei der Arbeit" (PTB) bei der EU-Wahl ihr Ergebnis von 1 auf 3,6 Prozent, was aber ebenfalls für einen Mandatsgewinn nicht ausreichte.

Den Zugewinnen stehen jedoch auch Stimmenverluste gegenüber. So ging die Stimmenzahl für AKEL auf Zypern von 34,9 auf 26,9 Prozent zurück, was sich allerdings in der Zahl der EU-Abgeordneten (2 wie bisher) nicht auswirkte. In Tschechien ging die Stimmenzahl der KSCM von 14,2 auf knapp 11 % zurück (nur 3 statt bisher 4 Mandate im EU-Parlament).

Insgesamt ist es den linken Parteien nicht in dem wünschenswerten und vor allem für die Durchsetzung einer anderen Politik notwendigen Maß gelungen, sich den von der bisherigen EU-Politik enttäuschten und von den etablierten Parteien abwendenden Wählerinnen und Wählern als sinnvolle und glaubwürdige Alternative darzustellen. Es wird noch gründlich untersucht und diskutiert werden müssen, wo dafür die objektiven und subjektiven Ursachen liegen und was dafür verantwortlich ist, dass sich die unzufriedenen Menschen nicht in weit stärkerem Maß den Linken zuwenden.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 22 vom 30. Mai 2014, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2014