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INNEN/498: Wer späht eigentlich wen aus? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 29 vom 18. Juli 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Wer späht eigentlich wen aus?

Andrej Hunko, MdB, zum Schengener Informationssystem SIS II



"Die Bundesregierung bestätigt die rapide Zunahme der heimlichen Verfolgung von Personen und Sachen mithilfe des Schengener Informationssystems. Das ist außerordentlich besorgniserregend. Trotzdem wollen die EU-Kommission und die Bundesregierung diese verdeckten Maßnahmen ausweiten. Die Folge wäre eine weitere Erosion der Privatsphäre", warnt der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko.

Das Schengener Informationssystem SIS II bietet die Möglichkeit der verdeckten oder gezielten Kontrolle von Personen oder Fahrzeugen. Wenn die Verfolgten innerhalb des Schengen-Raums angetroffen werden, erfolgt eine Meldung an die ausschreibende Polizeidienststelle. Die Betroffenen erfahren davon nichts. Andrej Hunko weiter:

"In den letzten fünf Jahren haben sich die heimlichen Fahndungen im Schengener Informationssystem verdreifacht. Besonders problematisch ist die Herabstufung der Eingriffsschwelle: Während früher mehrere 'schwere Straftaten' vorliegen mussten, genügt für die heimliche Fahndung nun das Vorliegen einer einzigen 'schweren Straftat'.

Die größte Zunahme erfolgte bei Ausschreibungen wegen 'erheblicher Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit des Staates'. Es handelt sich dabei um einen dehnbaren Begriff, der als Werkzeug gegen politischen Dissens missbraucht werden kann.

Deutsche Behörden nutzen die Möglichkeit zur heimlichen Fahndung intensiv. Nun ist eine weitere Steigerung beabsichtigt: Das SIS II soll der Kontrolle von Aus- und Einreisen sogenannter 'feindlicher Kämpfer' ('foreign fighters') dienen. Das Bundesinnenministerium bestätigt jedoch, dass der Begriff überhaupt nicht definiert ist.

Die Bundesregierung muss erklären, nach welchen Kriterien die überwachten Betroffenen ins Raster geraten. Denn die Rechte der Betroffenen werden gleichzeitig heruntergefahren: Laut der Bundesregierung werden die Ausgespähten nach Beendigung einer heimlichen Fahndung nicht einmal darüber benachrichtigt.

Ich bezweifle, dass sich Anschläge wie jüngst in Belgien mithilfe der digitalen Verfolgung verhindern lassen. Zweifellos ist das Phänomen religiös inspirierter Kämpfe und Anschläge eines der wichtigsten Probleme der Gegenwart. Sie sind aber auch die Folge einer verfehlten Politik europäischer Regierungen in Asien und Afrika: Die Kontinente werden weiter hochgerüstet, es profitieren westliche Rüstungsunternehmen.

Das SIS II ist nur eine der Möglichkeiten, unliebsame Reisebewegungen zu überwachen. Unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus wird das EU-Passagierdatenregister wieder aus der Mottenkiste geholt. Auf diese Weise entstünde eine weitere, riesige Vorratsdatenspeicherung sensibler Personendaten. Vor jedem Start eines Flugzeuges in der Europäischen Union würden die Daten der Reisenden mit polizeilichen Datenbanken abgeglichen. Die Linksfraktion lehnt dieses System entschieden ab.

Die neuen Vorschläge zur Überwachung und Kontrolle stammen vom EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove. Kerchove ist auch der Ideengeber für ein Maßnahmenpaket, das Deutschland diese Woche mit den Innenministerien mehrerer EU-Staaten gegen 'feindliche Kämpfer' beschlossen hat. Details sollen geheim bleiben.

Das ist keinesfalls hinnehmbar. Die Bundesregierung muss noch vor der Sommerpause zu den Überwachungsmaßnahmen Stellung nehmen. Insbesondere muss dargelegt werden, nach welchen Kriterien Ausreisesperren oder sogar Wiedereinreisesperren für Staatsangehörige der EU-Mitliedstaaten verhängt werden sollen. Das Bundesinnenministerium muss erklären, inwiefern die Maßnahmen grundrechtskonform sein sollen".

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 29 vom 18. Juli 2014, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2014