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PARTEIEN/229: Politische Krise lähmt die Regierung Nordirlands (SB)


Politische Krise lähmt die Regierung Nordirlands

Paisleys DUP ohne den großen Steuermann heillos zerstritten


In Nordirland hat sich die regierende Koalition aus der probritischen, protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und der katholisch-nationalistischen Sinn Féin in eine Krise hineinmanövriert, aus der ein Herausgekommen nur schwer möglich ist. Wesentliches Element der Krise ist die Weigerung der DUP, die mit Sinn Féin sowie der irischen und britischen Regierung im Rahmen des Abkommens im schottischen St. Andrews 2006 getroffene Vereinbarung, die Kontrolle über die Polizei von London auf Belfast zu übertragen, in die Tat umsetzen zu lassen. Sollte dies, wie von Sinn Féin gefordert, nicht in den kommenden Monaten geschehen, so ist damit zu rechnen, daß die DUP-SF-Koalition platzen wird. In einer Zeit, wo Dissidenten der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) immer aktiver werden, ist das keine erfreuliche Aussicht.

Ursache der derzeitigen Krise ist die Zerstrittenheit innerhalb der DUP selbst. Diese war Ende der sechziger Jahre von dem damaligen Haßprediger Ian Paisley gegründet worden, der jede Annäherung zwischen Nord- und Südirland strikt ablehnte und die IRA als verlängerten Arm des Antichristen in Rom - gemeint ist der Papst - verteufelte. Deswegen nahm die DUP auch nicht an jenen Verhandlungen, die 1998 in das Karfreitagsabkommen mündeten, teil. Jener Vertrag sah die Rückübertragung der Hoheit über Nordirland an eine neue Regierung in Belfast vor, die sich jeweils auf eine Mehrheit sowohl der katholisch-nationalistischen als auch der pro-britischen, protestantischen Abgeordneten in der neuen Volkversammlung in Schloß Stormont stützt. Damals stellten die gemäßigte Ulster Unionist Party (UUP) unter Führung David Trimbles und die Social Democratic Labour Party unter Seamus Mallon die größten Parteien der Provinz dar und haben zunächst mit Sinn Féin und der DUP sozusagen als Juniorpartnerinnen eine Allparteienregierung gegründet.

Eigentlich wollte die DUP mit der neuen Exekutive wegen der Beteiligung Sinn Féins, des politischen Arms der IRA, nichts zu tun haben, und ihre Vertreter nahmen deshalb auch an keiner Kabinettssitzung teil, sondern verkehrten lediglich mit Premierminister Trimble. Diesen zermürbten sie über die Jahre mit dem Vorwurf, er mache gegenüber den "Terrorpaten von Sinn-Féin/IRA" - gemeint waren vor allem Gerry Adams und Martin McGuinness - zu viele Zugeständnisse. Auf diese Weise lähmte die DUP die damalige Regierung. Die Verwirklichung des Karfreitagsabkommens kam nur äußerst schleppend voran. Doch die Verweigerungshaltung sollte sich für die DUP auszahlen. Durch die ständigen Vorwürfe, Trimble und Konsorten hätten die treuen Untertanen der britischen Krone in Nordirland an die pannationalistische Front - Sinn Féin, SDLP und die Republik Irland - verraten und verkauft, gelang es der DUP, sich zur vermeintlich wahren Sachwalterin protestantischer Interessen und zur größten Partei aufzuschwingen.

Doch damit fingen die Probleme der Paisley-Partei erst richtig an. Nachdem sie die UUP in der Wählergunst überholt und zur Bedeutungslosigkeit degradiert hatte, fiel den ewigen Nein-Sagern plötzlich die Aufgabe zu, die Führung der Allparteienregierung in Nordirland zu übernehmen. Doch nicht nur das. Das Erstarken der DUP hatte gleichzeitig dazu beigetragen, daß auf katholisch-nationalistischer Seite die radikalere Sinn Féin an der SDLP vorbeizog. Als dann 2005 die IRA dem bewaffneten Kampf abschwor und ihr Waffenarsenal "außer Dienst" stellte, schwand für die DUP endgültig die letzte Chance, eine Koalition mit der SDLP und der Rest-UUP unter Ausschluß der Sinn Féin bilden zu können. Aufgrund enormen Drucks willigte 2006 die DUP in das St.-Andrews-Abkommen ein, wodurch es nach vielem Hängen und Würgen am 8. Mai 2007 zur historischen Bildung einer neuen Belfaster Regierung mit dem geläuterten Paisley als Premierminister und McGuinness als dessen Stellvertreter kam.

Doch schon damals war der Widerwille einiger Abgeordneter der DUP und eines nicht geringen Teils ihrer Parteibasis unüberhörbar. Die DUP-Abgeordneten waren Paisley nur deshalb beim Überqueren des Rubikons gefolgt, weil niemand den Aufstand gegen den überlebensgroßen Parteiengründer wagte. Die überraschend gute Zusammenarbeit zwischen Paisley und McGuinness und ihre Bemühungen um gegenseitigen Respekt und einen jovialen Umgang als Beispiel für ein harmonisches Miteinander früherer Feinde lieferten jedoch den protestantischen Hardlinern bald Anlaß zum Spott. Es machte der Spitzname "Chuckle Brothers" die Runde, ganz als hätte sich der DUP-Chef vom Charm des Sinn-Féin-Vizepräsidenten einlullen lassen. Im Frühjahr 2008 ist der damals 82jährige Paisley aus Altersgründen als DUP-Vorsitzender und Premierminister Nordirlands zurückgetreten. An die Stelle des großen Steuermanns trat dessen langjähriger Vize Peter Robinson. Seit dieser das Amt des nordirischen Premierministers übernommen hat, hat sich das Verhältnis zwischen DUP und Sinn Féin kontinuierlich verschlechtert. Statt zusammenzuarbeiten, beschimpfen sich die Koalitionäre in der Öffentlichkeit nur noch gegenseitig.

Für diese Entwicklung sind protestantische Ewiggestrige innerhalb der DUP sowie bei der neuen Gruppierung mit Namen Traditional Unionist Voice des einstigen Paisley-Weggefährten Jim Allister verantwortlich. Diese Kräfte lehnen nach wie vor jegliche Zusammenarbeit mit der Sinn Féin und eine vollständige Umsetzung der bisherigen Friedensabkommen - darunter eine größere Rolle des Nord-Süd-Rates, in dem Regierungsvertreter aus Belfast und Dublin über allirische Angelegenheiten beraten, sowie eine Übertragung der politischen Kontrolle der Polizei an einen nordirischen Justizminister - strikt ab. Bei den Europawahlen im vergangenen Juni hat Allisters TUV der DUP viele Stimmen gekostet. Im kommenden Frühjahr stehen Wahlen zum britischen Parlament und Kommunalwahlen in Nordirland an. Aus Angst, Sitze im britischen Unterhaus sowie in den Kommunalräten an die TUV zu verlieren, blockiert Robinson eine Einigung im Bereich Innen und Justiz. Darüber hinaus macht er die Zustimmung der DUP zu einer Übertragung der Kontrolle der Polizei an Belfast unter anderem davon abhängig, daß die Parades Commission, welche seit 1998 einige sommerliche Oranierumzüge durch katholische Wohnviertel verboten oder deren Routen neu hat verlegen lassen, abgeschafft wird.

Mit dieser verfahrenen Situation schlagen sich seit einiger Zeit die britischen und irischen Premierminister Gordon Brown und Brian Cowen herum, obwohl beide Männer in Zeiten der großen Finanzkrise hauptsächlich mit der Rettung ihrer jeweiligen Volkwirtschaften befaßt sein müßten. Doch für Peter Robinson ist der Handlungsspielraum gering bis gar nicht existent. Läßt er sich auf eine erneute Einigung mit Dublin, London und Sinn Féin ein, werden im kommenden Frühjahr viele unzufriedene Unionisten ihr Kreuz bei der TUV machen, was zu einem Putsch innerhalb der DUP führen könnte. Geht Robinson dagegen keinen Kompromiß ein, sondern markiert den starken Mann, ist ein Kollaps der Koalition praktisch vorprogrammiert, was zur Folge hätte, daß im Frühjahr auch noch Wahlen für die nordirische Volksversammlung stattfinden werden müssen. Wegen der bisherigen Zusammenarbeit mit Sinn Féin werden einige DUP-Wähler ohnehin zur TUV abwandern. Diese Tendenz und die neue Zusammenarbeit zwischen der UUP und den britischen Konservativen unter David Cameron, denen Wahlforscher einen Sieg bei den britischen Parlamentswahlen vorhersagen, dürfte vermutlich dazu führen, daß Sinn Féin wie bei den Europawahlen im vergangenen Juni aus den Wahlen zur nordirischen Volksversammlung als stärkste Partei hervorgeht. Dies würde bedeuten, daß Martin McGuinness den Anspruch auf den Posten des nordirischen Premierminister hätte. Bisher haben die Unionisten - ob UUP oder DUP sei dahingestellt - mit Zähneknirschen die Sinn Féin lediglich als Juniorpartnerin akzeptiert. Unter den jetzigen Voraussetzungen dürfte es schwer bis unmöglich sein, irgendwelche unionistischen Politiker zu finden, die bereit wären, in einer Regierung unter der Führung von Sinn Féin zu dienen. Folglich ist ein baldiges Ende der derzeitigen Krise nicht in Sicht. Eher ist mit einer Verschärfung zu rechnen.

2. Dezember 2009