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PARTEIEN/252: Irischer Haushaltsentwurf 2011 steht auf der Kippe (SB)


Irischer Haushaltsentwurf 2011 steht auf der Kippe

Fine Gael und Labour lassen Fianna Fáil die Drecksarbeit machen


In Dublin wird in diesen Stunden hinter verschlossenen Türen fieberhaft am Haushaltsentwurf gefeilscht, der am morgigen 7. Dezember dem Unterhaus (Dáil) des irischen Parlamentes (Oireachtas) zur Abstimmung vorgelegt wird. Die Koalitionsregierung aus nationalkonservativen Fianna Fáil und Grünen steht vor einer schwierigen Aufgabe. Die groben Eckpunkte des Entwurfs sind bereits im Verlauf der Verhandlungen mit Vertretern des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Kommission der Europäischen Union (EU) über die Gewährung eines 85 Milliarden Euro schweren "Rettungspakets" für das irische Bankensystem beschlossen worden und haben wegen ihrer sozialen Unausgewogenheit bei der Bekanntgabe am 30. November für große öffentliche Empörung gesorgt. Also sind die Spitzen von Fianna Fáil und den Grünen um irgendwelche Zugeständnisse wie eine Kürzung der Diäten für Abgeordneten bestrebt - Vizepremierministerin Mary Coughlan hat so etwas bereits angedeutet -, damit der Haushaltsentwurf eine Mehrheit findet. Sollte das nicht geschehen, stünden Neuwahlen an, und sie sind das Letzte, was die Koalitionspartner gebrauchen können. Den jüngsten Umfragen zufolge hätten derzeit die Grünen größte Probleme, den Wiedereinzug ins Parlament zu schaffen, während Fianna Fáil zum ersten Mal in ihrer Geschichte auf den dritten Platz hinter der nationalkonservativen Fine Gael und der sozialdemokratischen Labour Party fiele.

Seit Beginn der laufenden Legislaturperiode im Frühsommer 2007 hatten Fianna Fáil (70 Sitze) und die Grünen (6) gegenüber der Opposition aus Fine Gael (51), Labour (20) und der linksnationalistischen Sinn Féin (5) keine eigenen Stimmenvorsprung im 166sitzigen Dáil, sondern verschaffte sich ihre Regierungsmehrheit durch Absprachen mit mehreren der 10 parteilosen Abgeordneten. Durch den Sieg von Sinn Féins Pearse Doherty am 25. November bei der Nachwahl in Donegal South-West ist der Stimmenvorsprung des Regierungslagers auf zwei geschrumpft. In den letzten Tagen hat die Regierung deshalb besonders die parteilosen Abgeordneten Jackie Healy-Rae und Michael Lowry umworben und mit ihnen lange Gespräche geführt. Derzeit sieht alles danach aus, als würden die beiden Männer für den Haushaltsentwurf stimmen und die nötige Mehrheit für dessen Verabschiedung aufbringen. Für den Fall, daß es sich Healy-Rae und Lowry doch noch anders überlegen, hat sich die Fine-Gael-Rebellin Lucinda Creighton bereits als Mehrheitsbeschafferin angeboten.

Das zwitterhafte Verhalten von Creighton läßt auf die Schwierigkeiten schließen, mit denen die Abstimmung über den Haushaltsentwurf die beiden größten Oppositionsparteien konfrontiert. Fine Gael und Labour - angeführt jeweils von Enda Kenny und Eamon Gilmore - würden gern die Regierung zum Fall bringen, möchten aber nicht aber diejenigen sein, die das Land bzw. die Eurozone in eine erneute Krise stürzen. Darüber hinaus ziehen es Fine Gael und Labour vor, daß Fianna Fáil diejenigen sind, die der Bevölkerung die ganzen Sozialkürzungen und Steuererhöhungen bei Leuten mit geringem und mittlerem Einkommen aufoktroyieren. So bleibt beiden Parteien der voraussichtliche Sieg bei den Parlamentswahlen, mit denen im Frühjahr gerechnet werden, erhalten. Gleichzeitig können sie so tun, als würden sie einen ganz anderen, menschenfreundlicheren Haushaltsentwurf vorlegen, wenn sie an der Regierung wären. Fine Gael, die normalerweise stets dem Arbeitsgeberverband IBEC zu Diensten ist, versucht dieser Tage mit Kritik an der geplanten Kürzung des Mindestlohnes um ein Euro als Verteidigerin der Arbeiterklasse aufzuspielen.

Das unglaubwürdige Posieren von Fine Gael hat mit dem zunehmenden Linksruck bei der irischen Wählerschaft zu tun, die sich in den letzten Monaten besonders bemerkbar machte. Diese Entwicklung löst bei Fine Gael die Angst aus, daß nach den Parlamentswahlen sie selbst und nicht die Labour-Partei sich in der Rolle der Juniorpartnerin der neuen Regierung wiederfinden könnte. Die Verärgerung in der Bevölkerung über das "Rettungspaket" von IWF, EZB und EU und das ganze neoliberale Wirtschaftsmodell, das für die aktuelle Krise und den Ausverkauf der finanziellen Souveränität der irischen Republik an irgendwelche Erbsenzähler in Washington, Frankfurt und Brüssels verantwortlich ist, treibt viele Wähler sogar weg von der Labour Party zu Sinn Féin und der neuen United Left Alliance um Joe Higgins von der Socialist Party und Richard Boyd-Barrett von People Before Profits. Schließlich ist Sinn Féin die einzige Partei im Parlament, die das "Rettungspaket" kategorisch ablehnt und dafür eintritt, daß sich der irische Staat weigert, die Schulden der irischen Banken aus der geplatzten Immobilienblase auf der Insel in voller Höhe zu begleichen.

In den letzten Stunden vor der Abstimmung über den Haushaltsentwurf ist mit mehreren Demonstrationen - unter anderem von Sinn Féin und von der People's Movement - vor dem Parlamentsgebäude Leinster House und den nahe gelegenen Amtssitzen von Premierminister Brian Cowen und Finanzminister Brian Lenihan zu rechnen. Die Nachricht der Zeitung Sunday Tribune, daß Ex-Premierminister Bertie Ahern von Fianna Fáil einem Konsortium vorsteht, das demnächst im Zuge des geplanten Ausverkaufs von Volksvermögen den gesamten staatlichen irischen Forstbestand für 1,2 Milliarden Euro an sich reißen könnte, dürfte die Demonstranten anfeuern.

6. Dezember 2010