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PARTEIEN/253: Irland fügt sich den Zwangsmaßnahmen von EU und IWF (SB)


Irland fügt sich den Zwangsmaßnahmen von EU und IWF

Dubliner Parlament läßt den Geist des Widerstands missen


Als "Tag der Schande" geht der 7. Dezember 2010 in die irische Geschichtsbücher ein. An jenem Tag hat Finanzminister Brian Lenihan von der Partei Fianna Fáil dem Unterhaus in Dublin seinen Haushaltsentwurf 2011 voller drastischer Steuererhöhungen und Sozialkürzungen vorgelegt, der mit den Vertretern des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Kommission der Europäischen Union (EU) abgesprochen worden war und von dessen Verabschiedung die Gewährung eines 85 Milliarden Euro schweren "Rettungspakets" abhängt. Ungeachtet der Tatsache, daß die Gelder aus dem "Rettungspaket" in erster Linie der Begleichung der Verbindlichkeiten der irischen Pleitebanken bei ausländischen Privatanlegern dienen und daß die zu entrichtenden Zinsen an IWF und EZB zusammen mit den Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen die Iren in eine Schuldknechtschaft zwingen, aus der sie möglicherweise niemals hinauskommen werden, wurden am Abend des 7. Dezember die ersten Punkte des umstrittenen Haushaltsentwurfs von einer Mehrheit der Abgeordneten verabschiedet. In den darauffolgenden ein bis zwei Tagen sollten die restlichen Posten folgen.

Rund um das Parlamentsgebäude Leinster House im Herzen von Dublin kam es den ganzen Tag über zu lautstarken Protestaktionen, an denen mehrere Hundert Menschen diverser Gruppierungen wie der People's Movement, des 1% Network, das für eine stärkere Besteuerung des schwerreichen, einprozentigen Bevölkerungsanteils eintritt, der neuen United Left Alliance (ULA) sowie Vertreter der linksnationalistischen Sinn Féin, teilnahmen. Es traten gegen Mittag der Parteipräsident Gerry Adams, der auf seine Abgeordnetensitze in Belfast und London verzichtet, um bei den bevorstehenden irischen Parlamentswahlen in der grenznahen Grafschaft Louth zu kandidieren, und Pearse Doherty, der frischgewählte Sinn-Féin-Abgeordnete für den Bezirk Donegal South-West, vor die Presse und kritisierten den geplanten Haushaltsentwurf als sozial unausgewogen und wirtschaftlich unsinnig.

Einige Stunden später im Unterhaus gab Doherty als Finanzsprecher von Sinn Féin deren offizielle Replik auf den gerade erläuterten Haushaltsplan ab. Er sagte Finanzminister Lenihan ins Gesicht, er und Premierminister Brian Cowen sollten sich dafür schämen, die Souveränität des Landes an den IWF, die EZB und die EU-Kommission abgetreten zu haben, und bezeichnete die angekündigten Kürzungen der staatlichen Ausgaben und die Steurerhöhungen in einem Gesamtvolumen von sechs Milliarden Euro 2011 und 15 Milliarden Euro über die kommenden vier Jahre als "wirtschaftliche Sabotage", weil sie die Binnennachfrage abwürgten, viele kleine einheimische Unternehmen in den Ruin und viele, vor allem junge Menschen in die Arbeitslosigkeit bzw. in die Emigration trieben.

Wer erwartet hätte, Doherty erhielte für seine kämpferische Rede unterstützenden Beifall von der restlichen Opposition, wurde eines Besseren belehrt. Die beiden großen Oppositionsparteien Fine Gael und Labour, die sich nach den kommenden Parlamentswahlen bereits zusammen in einer Koalitionregierung sehen, hielten sich an diesem Tag in ihrer Kritik an der Regierung auffallend zurück. Schließlich sind sich der Fine-Gael-Vorsitzende Enda Kenny, der Labour-Chef Eamon Gilmore und ihre Parteikollegen mit Cowen, Lenihan und den Grünen um John Gormley darin einig, daß die Zwangsmaßnahmen von IWF, EZB und EU-Kommission zu vollstrecken sind. Sinn Féin tritt als einzige Partei dafür ein, daß der irische Steuerzahler nicht für die Verbindlichkeiten der irischen Finanzhäuser geradesteht, und schlägt statt dessen vor, die Anleihegläubiger anstelle einer Auszahlung der investierten Summen - samt Zinsen - zu Aktieninhabern von Anglo-Irish Bank, Bank of Ireland, Allied Irish Bank und Irish Nationwide zu machen. In der Medienlandschaft auf der grünen Insel wird dieser Vorschlag von tonangebenden, neoliberalen Tribünen wie Stephen Collins von der einflußreichen Irish Times als Teufelszeug verschrieen - ungeachtet der Tatsache, daß namhafte internationale Experten wie zum Beispiel der Wirtschaftsnobelpreisträger und New-York-Times-Kolumnist Paul Krugman dringend zu einer solcher Lösung der Schuldenkrise raten.

Statt dessen versuchen die großen Parteien Fianna Fáil, Fine Gael und Labour dem gebeutelten irischen Wählern einzubleuen, sie hätten während der Jahre des sogenannten "keltischen Tigers" über ihre Verhältnisse gelebt und müßten deshalb die milliardenschwere Zeche für das kriminelle Fehlverhalten von Banken und Regierung begleichen. "Alle haben gefeiert", so die bündige wie verlogene Begründung Lenihans für die eigene Mutation vom Schatzmeister der irischen Republik zum Schuldeneintreiber Frankfurts, Brüssels und Washingtons. Damit tritt das Produkt der berühmten Dubliner Jesuitenschule Belvedere College in die Fußstapfen der sogenannten "gombeen men", die in der Zeit vor der Unabhängigkeit im Auftrag britischer Großgrundbesitzer die Pachtzahlung irischer Kleinbauern eintrieben und bei Nichtzahlung diese samt Familie auf die Straße setzten.

In seiner von der christlichen Morallehre stark geprägten Erklärung für das irische Wirtschaftsfiasko erhält Lenihan Unterstützung aus einer interessanten Richtung - nämlich von der ehemaligen Präsidentin Irlands, Mary Robinson. In einem am 5. Dezember bei der Sunday Times (Irland-Ausgabe) erschienenen Interview erklärte das frühere Aushängeschild der Labour Party, die Iren seien an ihrer Finanzmisere selbst schuld. "Gier war das Hauptproblem", so Robinson, die mit der Aussage natürlich maßgebliche Aspekte wie die niedrige Zins- und lockere Geldvergabepolitik der EZB völlig ausblendet. Anlaß des Interviews mit Robinson war deren geplante Rückkehr nach Irland nach dreizehn Jahren in New York zuerst als Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte und später als Gastdozentin an der Schule für internationale Politik an der Columbia University.

1997, als Robinson den begehrten UN-Posten übernahm, brach sie ihre Amtseit als Staatsoberhaupt frühzeitig ab, was ihr damals viele Iren als Herabsetzung des Präsidentenamts in Irland vorwarfen. Nun, wo sie doch nach Irland zurückkehrt und in der politischen Szene wieder mitspielen will, behauptete Robinson in ihrem Interview mit der Sunday Times, den umstrittenen frühzeitigen Weggang "zu bereuen". Glaube das, wer will. Die Vorzeigejuristin will in Dublin - in einer Immobilie in der extrem teuren South Leinster Street - eine Ökostiftung gründen, weil der Klimawandel angeblich die größte Bedrohung der Menschenrechte darstelle. Finanziert werden soll die Mary Robinson Foundation - Climate Justice (MRF-CJ) maßgeblich von der Rockefeller-Stiftung, einer der wichtigsten Akteure im sogenannten Globalisierungsprozeß.

8. Dezember 2010