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PARTEIEN/277: Neue "IRA" in Belfast aus der Taufe gehoben (SB)


Neue "IRA" in Belfast aus der Taufe gehoben

Militante Sinn-Féin-Gegner erheben Anspruch auf republikanisches Erbe



Elf Tage nach der Erschießung des 52jährigen, protestantischen Gefängniswärters David Black in Nordirland haben sich republikanische Dissidenten am 11. November nicht nur zu der Tat bekannt, sondern zeitgleich eine neue IRA aus der Taufe gehoben. Der Zusammenschluß aus "Real IRA", die 1998 mit einem Bombenanschlag im Zentrum der Stadt Omagh 29 Menschen tötete und Hunderte verletzte, der Gruppe Republican Action Against Drugs, die in letzter Zeit durch brutale Übergriffe auf Drogendealer in der Stadt Derry von sich Reden macht, und …glaigh na hÉireann (Freiwillige Irlands), stellt eine sehr gefährliche Entwicklung dar. Zu befürchten ist entweder ein Aufflammen sektiererischer Gewalt, bei der loyalistische Paramilitärs Attentate republikanischer Dissidenten auf Protestanten durch Überfälle auf Katholiken vergelten oder ein Bruderkampf im katholischen Lager - oder beides.

1998 hatte die katholisch-linksnationalistische Sinn Féin, der politische Arm der Irisch-Republikanischen Armee, mit den anderen großen Parteien Nordirlands das Karfreitagsabkommen beschlossen und sich für den Gang durch die Institutionen entschieden. Auf diese Weise sollte auf eine Überwindung der Teilung Irlands und eine Beendigung der britischen Herrschaft im Nordosten der Insel hingearbeitet werden. Im Zuge der allseitigen Deeskalierung, zu der eine Reform der traditionell protestantisch dominierten Polizei Nordirlands, ein Abzug der meisten britischen Streitkräfte und die Schließung der meisten ihrer Basen und ihrer Beobachtungsposten entlang der inneririschen Grenze gehörte, hat die IRA 2005 unter Aufsicht und zur Zufriedenheit internationaler Militärbeobachter die eigenen geheimen Waffendepots geräumt bzw. vernichtet.

Seit Beginn des sogenannten Friedensprozesses war klar, daß die Sinn-Féin-Führung um Gerry Adams und Martin McGuinness nicht alle republikanischen Aktivisten für die Versöhnung mit den protestantischen Unionisten und dem vorläufigen Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich würden gewinnen können. Recht früh haben sich IRA-Splittergruppen gegründet und sich die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes auf die Fahne geschrieben. Doch durch den Schock des schrecklichen Omagh-Anschlages und die Hoffnung auf einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen protestantischer Mehrheit und katholischer Minderheit in Nordirland sowie zwischen Norden und Süden der Insel fanden die Gruppierungen Real IRA, Continuity IRA und …glaigh na hÉireann zunächst wenig Zulauf.

Allmählich ändert sich dies. Dafür gibt es mehrere Gründe. Immer mehr Menschen in den katholischen Arbeitervierteln Nordirlands gelangen zu der Ansicht, daß sich die Sinn-Féin-Führung in gut dotierten Parlaments- und Regierungsposten in Belfast gemütlich eingerichtet hat und sich nicht mehr für ihr Schicksal interessiert. Zusammen mit der Democratic Unionist Party um Premierminister Peter Robinson setzen Sinn-Féin-Minister die Austeritätspolitik Londons - Privatisierung, Sozialkürzungen, Stellenabbau im öffentlichen Dienst u. v. m. - gnadenlos durch. Darüber hinaus scheint die vielversprochene Reform des nordirischen Sicherheitsapparats auf der Stelle zu treten. Aufgrund bisher nicht veröffentlichter "Erkenntnisse" des britischen Inlandsgeheimdienst MI5 ist eine Reihe von ehemaligen IRA-Kämpfern verhaftet und ohne Anklageerhebung ins Gefängnis gesteckt worden. Seit über einem Jahr führen republikanische Haftinsassen von Her Majesty's Prison (HMP) Maghaberry einen Schmutzprotest gegen Leibesvisitationen durch.

David Black befand sich auf dem Weg zur Arbeit im Hochsicherheitstrakt Maghaberry, als er auf der Autobahn Dublin-Belfast zwischen Lurgan und Portadown aus einem vorbeifahrenden Wagen erschossen wurde. In einer Erklärung, die am 12. November bei der Redaktion der in Belfast erscheinenden, katholisch-nationalistischen Zeitung Irish News einging, bekannte sich die neue "IRA" zu dem Anschlag auf Black, einem Mitglied des protestantischen Oranier-Ordens, und begründete die Tat mit der Notwendigkeit "des Schutzes und der Verteidigung" der republikanischen Gefängnisinsassen und deren "Erniedrigung" durch die Leibesvisitationen.

In einem am 13. November ausgestrahlten Interview für die allmorgentliche Nachrichtensendung Adhmhaidin des gälischsprachigen Nachrichtensenders Raidió na Gaeltachta hat der in Dublin lebende Sicherheitsexperte Joe Tiernan, Autor des vielbeachteten Buchs "The Dublin and Monaghan Bombings", die Bedeutung der Erklärung hervorgehoben und vor einem mörderischen Kleinkrieg zwischen Anhängern der alten und der neuen IRA gewarnt. Es ist davon auszugehen, daß ein solches Szenario ganz im Sinne des MI5 wäre, zementierte es doch mittel- bis langfristig die britische Herrschaft in den sechs nordöstlichen Grafschaften Irlands.

14. November 2012