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PARTEIEN/302: MI5 bescheinigt die anhaltende Existenz der IRA (SB)


MI5 bescheinigt die anhaltende Existenz der IRA

IRA-Vergangenheit holt Sinn Féin wieder ein


Die Veröffentlichung eines "unabhängigen" Berichts zum Stand paramilitärischer Aktivitäten in Nordirland hat zur vorläufigen Beilegung jener politischen Krise geführt, die in der einstigen Unruheprovinz nach der Erschießung des ehemaligen IRA-Mitglieds Kevin McGuigan am 12. August entstanden war. Damals hatte George Hamilton, Präsident des Police Service of Northern Ireland (PSNI), erklärt, McGuigan sei einer internen Fehde republikanischer Paramilitärs in Belfast zum Opfer gefallen, besser gesagt von ehemaligen Kampfgefährten wegen des Verdachts der Urheberschaft für das tödliche Attentat auf Gerard "Jock" Davison, einem ehemaligen ranghohen IRA-Kommandeur, am 6. Mai. Daraufhin hatten Nordirlands Erster Minister Peter Robinson und seine Parteikollegen von der pro-britischen, protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) ihre Ministerialämter in der nordirischen Koalitionsregierung mit Sinn Féin, dem politischen Arm der IRA, aus Protest ruhen lassen.

Den damals aufgekommenen Verdacht, führende Ex-IRA-Mitglieder, die heute bei Sinn Féin wichtige Posten innehaben, wie Bobby Storey, der einstige Geheimdienstchef der katholischen Untergrundorganisation, hätten die Liquidierung McGuigans angeordnet, hat der neue Bericht, den David Camerons Nordirlandministerin Theresa Villiers in Auftrag gegeben hatte und in dem sich die Erkenntnisse des PSNI und vor allem des britischen Inlandsgeheimdiensts MI5 widerspiegeln, nicht bestätigen können. Nur wenige Stunden nach Bekanntgabe des entlastenden Befunds haben die DUP-Minister ihre Arbeit wieder aufgenommen. Doch andere von den Rechts- und Sicherheitsexperten Alex Carlile, Rosalie Flanagan und Stephen Shaw in dem Bericht festgehaltenen Erkenntnisse lasten schwer auf Sinn Féin.

Demnach existiert nach wie vor der siebenköpfige "Armeerat" der IRA und übt Einfluß auf die Politik Sinn Féins aus. Darüber hinaus unterhält die IRA, die sich 2005 vollständig abgerüstet haben sollte, weiterhin ein kleines Waffenarsenal, um sich gegen Übergriffe republikanischer Dissidenten, sprich Gegnern des nordirischen Friedensprozesses samt Karfreitagsabkommens, wehren zu können und späht diese auch noch aus. Wie Teile der ebenfalls noch existierenden loyalistischen Paramilitärgruppierungen Ulster Defence Association (UDA) und Ulster Volunteer Force (UVF) sind auch ehemalige IRA-Mitglieder zudem im kriminellen Milieu - Schutzgelderpressung, Zigarettenschmuggel u. ä. - tätig.

Auch wenn die Beibehaltung gewisser IRA-Strukturen, um den Übergang von der Kriegs- zur Friedenszeit zu gewährleisten, ein offenes Geheimnis gewesen ist, hat die konservative Presse in der Republik Irland hysterisch auf das Ergebnis des Sicherheitsberichts reagiert und Sinn Féin zum trojanischen Pferd einer illegalen Untergrundarmee aufgebauscht, welche für die demokratische Grundordnung in den südlichen 26 Grafschaften eine akute Bedrohung darstelle. Die sinn-féin-feindliche Berichterstattung der Dubliner Medien hat einen einfachen Grund. Im kommenden Frühjahr stehen Parlamentswahlen an, bei denen Sinn Féin die einzige glaubhafte Alternative zu den etablierten Parteien Fianna Fáil, Fine Gael und Labour darstellt. Während Sinn Féin einen progressiven keynesianischen Ansatz verfolgt, halten sich infolge der irischen Bankenkrise die Block-Parteien FF/FG/Lab streng an die neoliberalen Vorgaben aus Frankfurt und Brüssel.

Vor diesem Hintergrund hat Colm Dore in einem am 26. Oktober beim Blog des Publizisten Eamonn Mallie veröffentlichten Beitrag "It's the South, stupid" die naheliegende Vermutung geäußert, mit dem neuen Bericht habe der MI5 Einfluß auf die Parteienlandschaft im Süden Irlands nehmen und einer Regierungsbeteiligung von Sinn Féin vorbeugen wollen. Die Aufregung um den Doppelmord Davison-McGuigan hat sich in den vergangenen Monaten bereits meßbar negativ auf die Umfragewerte von Sinn Féin ausgewirkt. Die nun vom MI5 amtlich festgestellte Weiterexistenz des IRA-Armeerats dürfte Sinn Féin als künftigen Koalitionspartner für Fianna Fáil - ein Szenario, das vor wenigen Monaten als Option nach der Parlamentswahl anstelle der jetzigen Koalitionsregierung aus Fine Gael und Labour ernsthaft gehandelt wurde - unmöglich gemacht haben.

27. Oktober 2015


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