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PARTEIEN/354: Großbritannien - bereits zu eng verbunden ... (SB)


Großbritannien - bereits zu eng verbunden ...


Völlig zerrissen durch den Streit um die bestmögliche Handhabung des geplanten Austritts des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirlands aus der Europäischen Union hat die politische Elite in London die Flucht nach vorne angetreten und einen massiven Streit mit Rußland angezettelt, um vom Kleinkrieg innerhalb der regierenden konservativen Partei abzulenken. Die Eskalationsspirale im neuen Ost-West-Konflikt, als deren Auftakt der mysteriöse, bis heute vollkommen unaufgeklärte Nervengiftanschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia am 4. März in Salisbury dient, fängt bei der scheinbar harmlosen Ausweisung von Diplomaten an, kann jedoch mit einem Atomkrieg enden. Doch daß sie allein des Machterhalts willen ein Ende der Menschheit riskieren, kümmert die britischen Tories nicht. Selbstsucht und Arroganz sind die traditionellen Markenzeichen dieser Bande gewesen, die stets - bisher jedenfalls - dafür hat sorgen können, daß andere die von ihnen angerichteten Schäden tragen mußten.

Der zweitägige EU-Gipfel am 22. und 23. März in Brüssel ging für Premierministerin Theresa May mit einem Erfolg in der Rußland-Kontroverse, der publizistisch eine ganz schwere Niederlage bei den Brexit-Verhandlungen überdecken mußte, zu Ende. Die Regierungschefs der anderen 27 EU-Staaten haben sich angesichts der Skripal-Affäre mit London "solidarisch" erklärt und die bislang durch nichts als Mutmaßungen und Vorurteile gestützten Anschuldigungen an die Adresse Moskaus zu eigen gemacht. "Es sei höchst wahrscheinlich, daß die Russische Föderation" - für den Vorfall -"verantwortlich ist; es gibt keine plausible alternative Erklärung", so der Wortlaut des offiziellen Kommuniqués aus der belgischen Hauptstadt, der zugleich auch Sitz der NATO ist.

Im Gegenzug für die gemeinsame Front gegenüber dem Kreml hat May bei den Brexit-Verhandlungen auf ganzer Linie nachgeben müssen. Vereinbart wurde eine Übergangsphase nach dem offiziellen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU Ende März von 21 Monaten - also bis Ende Dezember 2020. Während dieser Zeit sind alle EU-Regeln nach wie vor für die Briten bindend. Letzte Entscheidungsinstanz bleibt der bei den Little Englanders verhaßte Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg. Bis Ende 2020 wollen London und Brüssel einen neuen Modus Vivendi finden, der zunehmend auf eine Zollunion hinauszulaufen scheint. Dies kann May jedoch nicht offen zugeben, weil das ihre konservative Partei, deren Minderheitsregierung nur dank der Stimmen der zehn Abgeordneten der protestantisch-probritischen Democratic Unionist Party (DUP) aus Nordirland am Leben erhalten wird, spalten würde.

Des weiteren haben sich May und ihr Brexit-Minister David Davis darauf festlegen müssen, daß Nordirland, solange keine andere Möglichkeit gefunden wird, innerhalb der Zollunion mit der EU bleiben wird, um die notwendige Errichtung einer neuen harten Grenze zur Republik Irland zu vermeiden. Ungeachtet der Tatsache, daß ein Ausschuß des Unterhauses vor wenigen Tagen erklärt hat, weltweit kein Beispiel gefunden zu haben, wo sich zwischen zwei unterschiedlichen Zollregionen keine festen Grenzinstallationen samt Personen- und Warenkontrollen befinden, fabulierte Brexit-Minister Davis beim Auftritt im BBC-Fernsehen am 25. März erneut von einer "technologischen Lösung". Der ungebrochenen Zuversicht von Davis, daß London in der Frage der inneririschen Grenze doch noch das Ei des Kolumbus finden wird, liegt vermutlich ein schnödes Kalkül zugrunde. Die Brexiteers pflegen engste Verbindungen zum Sektor der privaten Sicherheitsdienstleister in Großbritannien. Folglich winken Millionenaufträge für jenes Firmenkonsortium, das mit allem möglichen High-Tech-Schnickschnack eine unsichtbare Überwachung des inneririschen Grenzverkehrs verspricht - selbst wenn sich das ganze Projekt später als teurer Flop à la Berliner Flughafenbau erweisen sollte.

Gerade diese Verquickung von Adel, Tory-Granden und Ex-Militärs beschert Großbritannien seit mehr als zwei Wochen einen handfesten Skandal, der weltweit Wellen schlägt. Die Rede ist vom millionenfachen Mißbrauch von Facebook-Nutzerdaten durch Cambridge Analytica, eine Tochterfirma von SCL, einem britisch-amerikanischen Unternehmen für Verhaltensforschung und strategische Kommunikation, zu dessen Hauptkunden die Außen- und Verteidigungsministerien in London und Washington gehören. Cambridge Analytica, SCL und die kanadische Firma AggregateIQ stehen unter dringendem Verdacht, 2016 mit illegalen Methoden die öffentliche Meinung in Großbritannien und den USA manipuliert und auf die Weise sowohl für eine Mehrheit der britischen Wähler für den Brexit als auch für den Sieg Donald Trumps bei der Präsidentenwahl gegen Hillary Clinton mit gesorgt zu haben.

Es geht hier nicht nur um die gezielte Adressierung bestimmter politischer Botschaften an ausgesuchte Bevölkerungsgruppen mittels sozialer Medien wie Facebook, Twitter, Snapchat oder Instagram, sondern in Großbritannien auch um Verstöße gegen die dort herrschenden Gesetze im Bereich der Wahlwerbung. Gegen verschiedene politische Organisationen wie Leave.Eu, Vote Leave, Be Leave, die extra für die Kampagne pro Brexit gegründet worden waren, ermittelt seit 2017 die britische Wahlkommission wegen Betrugsverdachts. Bis heute weiß zum Beispiel niemand - außer den Direktverantwortlichen selbst natürlich -, woher die rund eine halbe Million Pfund, welche die nordirische DUP hauptsächlich für austrittsbefürwortende Zeitungswerbung in London ausgegeben hat, gekommen sind.

Der Verdacht, Gelder aus dubiosen Quellen wurden an Gruppen verteilt, die lediglich zum Schein voneinander unabhängig waren, um nicht gegen die gesetzlichen Höchstgrenzen für Wahlspenden zu verstoßen, was politische Spenden betrifft, hat sich inzwischen verhärtet. Am 25. März hat sich in der Sonntagszeitung Observer ein Whistleblower namens Shahmir Sanni zu Wort gemeldet, dem zufolge damals Vote Leave 625.000 Pfund an Be Leave überwiesen hat, nur damit die wiederum das Geld an Cambridge Analytica zur Bearbeitung von Daten und der öffentlichen Meinung weiterleiten konnte. Wegen der Machenschaften stehen die zwei prominentesten Vertreter von Vote Leave, Boris Johnson und Michael Gove, in der Kritik. Doch seit dem Amtsantritt der May-Regierung im Sommer 2017 leitet Johnson das Außenministerium, Gove das Umweltministerium. Gerade beim Säbelrasseln gegenüber Rußland, nicht zuletzt durch den ungeheuren Vergleich von Wladimir Putin mit Adolf Hitler, hat sich Johnson in den beiden letzten Wochen für seine Partei- und Regierungschefin sowie die Kriegsfalken-Fraktion bei der NATO unverzichtbar gemacht.

28. März 2018


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