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PARTEIEN/357: Brexit - Zollunion ein zahlbarer Preis ... (SB)


Brexit - Zollunion ein zahlbarer Preis ...


In Sachen Brexit läuft alles auf eine Zollunion - auch wenn sie aus politischen Gründen diesen Namen nicht tragen darf - hinaus. Den Brexiteers bei der konservativen Regierung in London sowie im britischen Parlament ist damals in ihrem Drang, die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union zu beenden, ein folgenschwerer Fehler unterlaufen. Angesichts ihrer chauvinistischen, England-zentristischen Weltsicht haben sie die gewichtigste Hürde auf dem Weg hin zur neuen glorreichen Ära des "Global Britain" völlig vergessen - Irland und die künftige Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden. An diesem unüberwindlichen Hindernis zerplatzen derzeit alle Träumereien vom "Empire 2.0".

Mehr als ein Jahr nachdem Premierministerin Theresa May Artikel 50 des Lissabonner Vertrages aktiviert und sich London damit auf Ende März 2019 als Datum für den Austritt des Vereinigten Königreichs festgelegt hat, besteht immer noch Unklarheit darüber, wie die künftigen Beziehungen zur EU aussehen sollen. Grund für die Unklarheit ist die Uneinigkeit unter den Tories - sowohl der konservativen Fraktion im britischen Unterhaus als auch im Kabinett Mays. Die harten Brexiteers, angeführt von Außenminister Boris Johnson, Umweltminister Michael Gove, Handelsminister Liam Fox und Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg, Galionsfigur der rund 60 Abgeordnete starken European Research Group im Unterhaus, drängen auf Austritt aus dem europäischem Binnenmarkt und der Zollunion, damit Großbritannien künftig allein seine Einwanderungspolitik bestimmen und nach Gusto Freihandelsverträge mit Drittstaaten abschließen kann.

Die Republik Irland beharrt jedoch unter Berufung auf das Karfreitagsabkommen von 1998, mittels dessen der Nordirlandkonflikt nach 30 Jahren und 3500 Toten beigelegt werden konnte, auf die Beibehaltung der Unsichtbarkeit der inneririschen Grenze. Folglich hat Theresa May beim EU-Gipfel im vergangenen Dezember versprochen, keine festen Grenzinstallationen zu errichten. Kontrollen von Personen und Waren wären jedoch dringend notwendig, sollte das Vereinigte Königreich Zollunion und Binnenmarkt den Rücken kehren, wodurch die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) greifen würden, um Handel und Verkehr mit der EU abzuwickeln. In der nicht ganz so heimlichen Hoffnung, dieses Szenario herbeizuführen, spielten die harten Brexiteers bislang offen mit der Möglichkeit, die laufenden Brexit-Verhandlungen mit Brüssel scheitern zu lassen.

Wegen der Unmöglichkeit, die Vision der Brexiteers mit der harten Wirklichkeit zu vereinbaren, hat Theresa May endlich das schon länger anstehende Machtwort gesprochen. Bei Beratungen der parlamentarischen Fraktion der Konservativen Partei im Unterhaus kam es am 15. Mai zum großen Showdown zwischen der Premierministerin und Rees-Mogg. Berichten der Times of London und des Guardians zufolge hat sich May zum ersten Mal als Regierungs- und Parteichefin den Anführer der EU-Skeptiker, der sich bis dahin alles erlauben durfte, vorgeknöpft und ihm und allen Anwesenden gezeigt, wo der Hammer hängt.

In dem Streit hat Rees-Mogg den Standpunkt vertreten, das Vereinigte Königreich sollte die Forderungen Dublins und Brüssels ignorieren, einfach aus der EU austreten und es ihr überlassen, wie sie künftig die Grenzproblematik lösen will. Was die damit einhergehende Gefahr einer möglichen Volksbefragung in Nordirland über die Wiedervereinigung mit der Republik betrifft, war Rees-Mogg der Auffassung, daß es London darauf ankommen lassen solle, schließlich hätten 2014 die Anhänger der Union ein ähnliches Plebiszit in Schottland gewonnen. Daraufhin May: "Ich wäre nicht so zuversichtlich wie Sie. Das ist ein Risiko, das einzugehen ich nicht bereit bin. Wir können den Ausgang einer solchen Situation nicht einfach vorwegnehmen."

In einem am 20. Mai in der Sonntagszeitung Observer erschienenen Artikel über die "Klatsche", die May ihrem Widersacher Rees-Mogg verpaßt hat, hieß es: "Es war der Moment, nach dem sich die EU-freundlichen konservativen Unterhausabgeordneten lange gesehnt hatten - daß die Premierministerin den Ober-Brexiteer Jacob Rees-Mogg zur Schnecke macht. Ein Abgeordneter, der Mays neu gefundene Bestimmtheit erlebt hat, verglich sie mit einer leidgeprüften Lehrerin, die ihre Geduld mit dem Klassenbesserwisser endlich verloren hat. "Sie hat ihn so richtig abgewatscht. Sie hat gezeigt, daß sie es kann. Sie war fabelhaft."

Vieles stand in diesem Moment auf dem Spiel, nicht nur Mays Position als Regierungs- und Parteichefin, sondern auch die Einheit der Tories insgesamt und der Erhalt des Vereinigten Königreichs in seiner heutigen Form. Anders als Rees-Mogg hat May erkannt, daß der harte Brexit ein zu hoher Preis ist, wenn dafür Nordirland verlorengeht. Die Kräfte, die zur Wiedervereinigung Irlands führten, würden über kurz oder lang die Abspaltung Schottlands nach sich ziehen. Schon jetzt streiten sich Edinburgh und London über die Forderung der nationalistischen Regierung in Schottland, die nach dem Brexit an das Vereinigte Königreich zurückzuübertragenden Befugnisse nicht der Zentralregierung, sondern den Regionen zu überlassen.

Beim europäischen Sicherheitsgipfel im bulgarischen Sofia am 17. Mai hat May den Regierungschefs der EU-27 den Wunsch Großbritanniens übermittelt, die für den Brexit erforderliche Übergangszeit noch weiter über 2021 hinaus zu verlängern. Sie hat zudem angekündigt, daß London im Juni Brüssel endlich erste konkrete Pläne zur Bewältigung der Grenzproblematik, die nicht nur Irland, sondern auch den Flug-, Bahn- und Schiffsverkehr zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland betrifft, vorlegen wird. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch zum Zweck des Fortbestehens des Vereinigten Königreichs werden diese Pläne in etwa dessen Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum beinhalten.

21. Mai 2018


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