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AGRAR/1368: Die nächste Etappe der Milcherzeuger (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 329 - Januar 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die nächste Etappe der Milcherzeuger
Der politischen und verbandlichen Emanzipation folgt nun der Aufbau wirtschaftlicher Verhandlungskraft

Von Ulrich Jasper


Vor drei Jahren, am Ende der Grünen Woche 2007: Über 2.000 Milchbauern und Bäuerinnen des Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) verbinden in Berlin ihre Forderung nach 40 Cent je Liter Milch mit der Ankündigung, notfalls zu streiken. Die Milcherzeuger diskutierten den Milchpreis, und zwar nicht zurückschauend, sondern nach vorne. Sie stellten eine Preisforderung. Revolution.


2007: Demokratie?

Der Bauernverband distanzierte sich, stellte die Preisforderung an sich und in der konkreten Höhe sowieso als Illusion hin. Der Preisfrage der Bauern stellte der "Bauernverband" eine Diskussion über den Quoten-Ausstieg entgegen. Die mündete im Sommer 2007 im Bamberger Beschluss, mit dem die Mehrheit der paar Delegierten den Ausstieg aus der Milchquote absegneten - den gegenteiligen klaren Ergebnissen aller vorherigen Umfragen unter Mitgliedern von Landesbauernverbänden zum Trotz. Das Jahr 2007 wurde dennoch das Jahr, wo die deutschen Milcherzeuger in der zweiten Jahreshälfte endlich gutes Geld verdient haben, und zwar mit der Milch, nicht aus Nebeneinkünften oder Prämien. Der Streik konnte ausbleiben. Aber in den Dörfern wurde viel gelernt: über den Bauernverband, über Meinungsbildung und Demokratie. In Deutschland stieg der Erzeugerpreis Mitte 2007 über den EU-Durchschnitt, das erste Mal seit langer Zeit.

Kurz vor Weihnachten 2007 schlug die EU-Kommission in dem von ihr ausgerufenen Kampf gegen die gestiegenen Lebensmittelpreise u.a. vor, die Milchquoten kräftig zu erhöhen. Schon zum 1. April 2008 gaben die EU-Minister zwei Prozent mehr aus. Da schrumpften die EU-Exporte an Butter, Magermilchpulver und Käse schon längst - die EU-Statistiken machten das für alle sichtbar. In einen sinkenden Absatz wurden zusätzliche Quoten ausgegeben. Auch wenn die zusätzlichen Quoten längst nicht in allen EU-Staaten voll ausgemolken wurden, überschritt die Erzeugung doch die Nachfrage. Die Erzeugerpreise gaben seit Anfang 2008 wieder nach. Deutschland sackte im Januar 2008 wieder unter den EU-Durchschnitt und unterschritt noch im März die Marke von 35 Cent je Kilogramm.


2008: SoLidarität im Streik

Die 40 Cent noch in bester Erinnerung, wurde jetzt der Streik konkret vorbereitet. Mitte Mai schlug die EU-Kommission weitere Quoten-Erhöhungen vor (5 Jahre lang je 1 %). Ende Mai 2008 startete der Milchstreik, der erst am zehnten Tag beendet wurde. Zwei Drittel aller deutschen Milchviehbetriebe beteiligten sich, mindestens für ein paar Tage. Gegen diese Welle der Solidarität konnte der "Bauernverband" nicht länger an. Nachdem er sich anfangs gegen den Streik stellte, drehte er für ein paar Tage wenigstens öffentlich scheinbar bei, um aber gleichzeitig in den Berliner Runden ständig auf der Bremse zu stehen. Auch das wurden bleibende Erfahrungen der Aktiven.

Es folgten die kleinen und der große Milchgipfel in Berlin, der alle politischen Forderungen des BDM und der Streikenden übernahm. Doch auch das hielt nicht lange dem Widerstand der Bauernverbands-Spitze stand. Der Wortbruch im Bundesrat Ende Oktober bzw. Anfang November war sein Ergebnis.


Wortbruch und mehr

Auf der EU-Ebene nickten dann Ende November 2008 die Minister und Ministerinnen die weiteren Quotenerhöhungen (5 x 1 %) ab und legten noch die Änderung der Fettkorrektur oben drauf: nochmal 1,5 Prozent auf einen Schlag zum 1.4.2009. Innerhalb von zwei Jahren wurden durch diese Quotenerhöhungen EU-weit sieben Milliarden Kilogramm Milch mehr von jeglichen Superabgaben freigestellt. Das ist mehr als die Jahresproduktion von Niedersachsen und Schleswig-Holstein oder fast so viel wie die Jahresproduktion von Dänemark und Schweden zusammen.


BDM bleibt am Ball

Das Erstaunliche ist nun, dass nicht nur die BDM-Spitze, sondern auch die Basis nicht etwa aufgibt, sondern sich weiter trifft, sich sammelt und aus dem Gebirge an Gelerntem eigene Schlüsse zieht. Anders als von vielen gedacht, geben die Milchbauern und zeitweise vielleicht vor allem die Bäuerinnen sich und ihre gemeinsame Bewegung nicht auf, sondern sie festigen sie. Das Abarbeiten am "Bauernverband" weicht dem aktiven Austausch mit europäischen Kolleginnen und Kollegen.

Dieser europäische Austausch prägte das Jahr 2009. Wesentlich dafür ist, dass französische Berufskollegen Ende 2008 aus dem Stand eine ganz neue Bewegung begründen, indem wöchentlich mehrere Versammlungen organisiert werden, zu denen die Milchbauern zu Hunderten, zum Teil zu Tausenden erscheinen. Aus diesen Versammlungen entsteht nach und nach eine eigene Organisation, die APLI. Dabei hat Frankreich schon drei verschiedene Bauernverbände. Den Milchhauern ist das dennoch ein zu enges Korsett, sie formieren sich eigenständig, unabhängig. Die mehrjährigen Erfahrungen der deutschen Kollegen im BDM machen die Franzosen im Schnelldurchgang.

Im September 2009 ist die Zeit dann reif für den gemeinsamen "Aufstand" der Milchbauern mehrerer europäischer Länder. Die Forderungen dieses europäischen Milchstreiks richten sich an die Politik, damit sie die rechtlichen Rahmenbedingungen so setzt, dass die Milcherzeuger sich zu einer eigenständigen aktiven Kraft am Markt entwickeln können. Doch abgesehen von einigen Ländern signalisiert die Politik noch keine Bereitschaft dazu. In Deutschland ist die Bundestagswahl eine Zäsur: Bundes- und Länderministerien suchen mit dem "Bauernverband" noch mehr Schulterschluss. Es scheint schlimmer zu werden als zu Zeiten vor Minister Funke (1998-2000).


Verkaufen Lernen

Aber nicht nur das ist anders oder zumindest augenfälliger als im Streikjahr 2008 und vor der Bundestags- und vor der Europawahl 2008. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland konzentriert sich der Blick der Milcherzeuger jetzt noch stärker auf die Frage, wie sie aus der Position der absoluten Schwäche im Verhältnis zu den Molkereien herauskommen. Nach der verbandlichen Befreiung durch den Aufbau eigener Strukturen geht es jetzt daran, die Ohnmacht am Markt zu überwinden. Das richtet sich nicht gegen das Geschäft der Molkereien. Das Geschäft der Molkereien ist Verarbeitung der Milch und der Verkauf möglichst gefragter Erzeugnisse. Das Geschäft der Milch aber sollte eigentlich Sache der Bauern sein - ist es aber nicht. Sache der Bauern ist bislang nur die Erzeugung der Milch, nicht aber der Verkauf. Den Verkauf gibt es im eigentlichen Sinne nicht. Er beschränkt sich auf das Abliefern, ihm fehlt das Verhandeln über Preis und Qualität, ja ihm fehlt schon die Möglichkeit, darüber überhaupt ernsthaft zu reden.

Um das zu erreichen, müssen alle wiederum Neues lernen: die Molkereien natürlich, aber vor allen anderen die Milcherzeuger selbst. Dafür ist die Zurückhaltung vieler, sich horizontal, also unabhängig von den Molkereien im Milch Board zu bündeln, ein Beweis. Doch wie lernfähig ein großer Teil der Milcherzeuger in Europa ist, das haben sie schon unter Beweis gestellt. Das Jahr 2010 wird das Jahr des Aufbaus von Verhandlungskraft am Markt. Es wird nicht minder spannend als die vorherigen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 329 - Januar 2010, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2010