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AGRAR/1392: Professoren-Gutachten für weitere Industriealisierung (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 334 - Juni 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Professoren-Gutachten für weitere Industrialisierung
Der ABL-Vorsitzende übt deutliche Kritik an den Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats zur EU-Agrarpolitik

Von Ulrich Jasper


BAUERNSTIMME: Die 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren die heutigen Direktzahlungen der EU als zu unspezifisch, ja sogar als unwirksam in Bezug auf zentrale gesellschaftliche Ziele. Sie empfehlen den schrittweisen Abbau der Direktzahlungen. Ist das Rückendeckung für die AbL?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Das ist wohl eher eine professorale Irreführung. Herr Isermeyer als Vorsitzender des Beirats und seine Kolleginnen und Kollegen greifen die jahrzehntelange Kritik an ungestaffelten EU-Zahlungen zwar auf. Aber nun logischerweise unserer Forderung beizutreten, die Zahlungen endlich wirksam sozial und ökologisch zu staffeln, lehnen sie ab. Im Klartext fordert der Beirat also eine lineare Kürzung und trifft damit die bäuerlichen Betriebe am stärksten.

BAUERNSTIMME: Aber bisher profitieren rationalisierte, flächenstarke Ackerbaubetriebe doch am meisten von den Direktzahlungen. Die Kürzung würde diese Betriebe also am stärksten treffen. Wird es dann nicht fairer?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Nein, denn entscheidend für die Wettbewerbsverzerrung zwischen den Betrieben ist nicht die absolute Höhe der Zahlungen, sondern das Verhältnis. Rationalisierte Ackerbaubetriebe erhalten heute umgerechnet bis zu 120.000 Euro pro Arbeitskraft im Jahr, während bäuerliche Betriebe bei einem Zehntel davon landen. Würden die Zahlungen linear um die Hälfte gekürzt, bekämen die rationalisierten Betriebe immer noch das Doppelte ihrer Lohnkosten von Brüssel überwiesen, während die bäuerlichen Betriebe den Kopf dann ganz unter Wasser haben. Nur eine degressive Staffelung mit Berücksichtigung vorhandener Arbeitskräfte der Betriebe beendet die jetzt bestehende Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der bäuerlichen Landwirtschaft.

BAUERNSTIMME: Nach Auffassung des Beirats kommt der Großteil der Zahlungen aber nicht den Betrieben zugute, sondern ein wachsender Teil werde von den steigenden Pachtpreisen aufgefressen, also an die Grundeigentümer weitergereicht. Wenn die Direktzahlungen sinken, fallen die Pachtpreise tendenziell, sagt der Beirat. Also alles nicht so schlimm?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Tendenziell haben kleinere Betriebe einen geringeren Pachtflächenanteil als flächenstarke Betriebe. In der Logik des Beirates würden große Betriebe eine lineare Kürzung also durch fallende Pachtpreise ausgleichen können, während die Betriebe mit einem hohen Eigenlandanteil echte Verluste erleiden. Das unterstreicht noch mal, dass eine lineare Kürzung die Betriebe sehr unterschiedlich trifft. Aber wenn die Logik des Beirats stimmt, wäre es für die flächenstarken Betriebe ja auch kein Problem, eine starke Staffelung der Direktzahlungen zu tragen, weil bei ihnen die Pachtpreise danach am meisten sinken müssten. Also entweder hat der Beirat die Dinge nicht zuende gedacht, oder er versucht, Leute bewusst in die Irre zu führen.

BAUERNSTIMME: Klimaschutz, Erhaltung der biologischen Vielfalt und Entwicklung ländlicher Räume. Das sind auch aus Sicht des Beirats zentrale Herausforderungen für die Landwirtschaft. Er sieht hier "großen Reformbedarf" in der Agrarpolitik. Stimmen Sie denn da überein?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Die genannten Probleme sind ja nicht neu. Sie hängen untrennbar mit der Rationalisierung und Industrialisierung in Teilen der Landwirtschaft zusammen. Die ölgesteuerte Landwirtschaft ist Mitverursacher des Klimawandels. Notwendig ist also die globale Entwicklung hin zu einer solargestützten bäuerlichen Landwirtschaft. Im Ackerbau heißt das vielgliedrige Fruchtfolgen mit einem hohen Anteil Leguminosen, die energieaufwendigen Mineraldünger ersetzen und Kohlenstoff als Humus in den Boden einlagern. Also müssen die Direktzahlungen an eine solche Ökologisierung der Fruchtfolge gekoppelt werden. Das lehnt der Beirat aber ab. Er will den Klimaschutz im wesentlichen auf den "unproduktiven" Teil der Flächen beschränken.

BAUERNSTIMME: Die Maßnahmen sollen da ansetzen, wo die gleiche Wirkung am wenigsten kostet, empfehlen die Wissenschaftler.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Dabei kann dann rauskommen, dass die Wiesen und Weiden des Schwarzwaldes aufgeforstet werden, damit auf den Bördestandorten die Klimaemissionen gleich bleiben oder noch erhöht werden können. Das ist die alte Ausgleichslogik der Schutz- und Schmutzgebiete. Diese Denkweise findet sich im Beirat auch im Kapitel Biologische Vielfalt, wo er die Ökologisierung der Landwirtschaft auf die weniger fruchtbaren Standorte beschränkt sehen will, während er auf den ertragreicheren Ackerstandorten einen weiteren Strukturwandel empfiehlt und den Rückgang der ökologischen Vielfalt bei den Kulturpflanzen einfach als systemimmanent ansetzt. Die ganze Argumentation zielt darauf ab, die Landwirtschaft für die Produktion agrarischer Rohstoffe von den zentralen gesellschaftlichen Anforderungen freizuhalten, um sie weiter zu rationalisieren und ganz den Interessen der Industrie unterzuordnen. Damit wird alles aufs Spiel gesetzt, was die bäuerliche Landwirtschaft in Jahrhunderten an Kulturleistungen erbracht hat, die ja auch aktuell als gesellschaftliche Forderungen an die gesamte Landwirtschaft unumstritten sind.

BAUERNSTIMME: Was schlägt die AbL vor?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Es geht darum, die gesamte landwirtschaftliche Erzeugung in ihrem Kern so zu entwickeln, dass sie in der Erzeugung von Lebensmitteln insgesamt einen aktiven Beitrag zur Lösung der Probleme leistet. Deshalb hat die Forderung einer Mindest-Fruchtfolge mit einem Leguminosen-Anteil von 20 Prozent und einem maximalen Anteil einer Frucht von 50 Prozent an der Ackerfläche so eine Sprengkraft. Das bringt einen substanziellen Fortschritt für den Klima-, Natur- und Umweltschutz und auch für die heimische gentechnikfreie Eiweißversorgung in der Tierhaltung.

BAUERNSTIMME: Aber dann ist das oberste Ziel des Beirates in Gefahr, die europäische Landwirtschaft international wettbewerbs fähig zu halten.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Im Wettbewerb um Qualität im Sinne von ökologischer Prozessqualität würde die europäische Landwirtschaft erheblich gewinnen.

BAUERNSTIMME: Aber zu deutlich höheren Preisen.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Zu ehrlicheren Preisen, denn die gesellschaftlichen Folgekosten einer industrialisierten Landwirtschaft sind weit höher als die Preissteigerungen, die mit der flächendeckenden Ökologisierung durch eine bäuerliche Landwirtschaft verbunden sind. Die ölabhängige Agrarproduktion hat ohnehin keine Zukunft, nicht in Europa und weltweit schon gar nicht. Das zeigt der Klimawandel. Wir kommen also in Europa als auch international um eine grundlegende Reform der Agrarpolitik nicht herum. Je früher und je konsequenter wir damit beginnen, desto mehr Folgekosten und mögliche Klimakatastrophen bleiben uns allen erspart.

BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 334 - Juni 2010, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2010