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AGRAR/1604: Neue EU-Ökoverordnung - Gratwanderung zwischen Zuckerbrot und Peitsche (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 375 - März 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Gratwanderung zwischen Zuckerbrot und Peitsche
Der neuen EU-Ökoverordnung muss ein Spagat gelingen

von Claudia Schievelbein



Bis hin zur Apokalypse ist alles drin. Mecklenburg Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) vertrat auf der Biofach die Auffassung, der gesamte ökologische Landbau in Deutschland würde zusammenbrechen, wenn die Pläne der EU-Kommission zur neuen EU-Ökoverordnung Realität würden. Sein bayerischer Kollege Helmut Brunner (CSU) betrachtet das Ganze differenzierter. Der Entwurf beinhalte Ansätze, "die wir ausdrücklich begrüßen." Unter den Interessensverbänden war der durchgesickerte Vorschlag zur neuen EU-Öko-Verordnung der Aufreger auf der Biofach. Aber während Jan Plagge von Bioland die Praxisferne und Strenge an manchen Stellen kritisiert, weil man damit noch weniger Bauern und Bäuerinnen zum Ökolandbau motivieren könnte, geht es für den Biobeauftragten Graf Heinrich von Bassewitz darum, dass mit dieser strengen Verordnung der Ökolandbau keinen weiteren Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in der gesamten Landwirtschaft leisten könne. Ökolandbau sei nicht das Ziel sondern nur ein Weg, so Bassewitz. Und so wird deutlich, dass die Entwicklung einer Verordnung nur ein schmaler Grat ist, auf dem die beteiligten Diskutanten wandeln zwischen Glaubwürdigkeit, Ernsthaftigkeit und Lächerlichkeit. EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos will eine neue Ökoverordnung machen, in einer Zeit, die es in sich hat. Der Biomarkt ist aus der Nische heraus, und inzwischen in fast jedem konventionellen Discounter. Kontinuierliche Wachstumszahlen locken auch Marktbeteiligte an, denen es nur ums Geld geht und nicht auch nur ansatzweise um eine Lebensanschauung. Gleichzeitig können es sich immer weniger Bauern und Bäuerinnen leisten auf Ökolandbau umzustellen, da ihnen längst auch konventionelle Handelspartner oder konventionelle Strukturen unter ökologischen Handelspartnern die Niedrigpreise diktieren. Anonymisierung, Unübersichtlichkeit und Überzeugungslosigkeit sind der Nährboden für Skandale, die dann auch passierten. Die einstmals aus dem Überzeugungstätertum gespeiste Glaubwürdigkeit bei den Verbrauchern ist in Gefahr.


Generalisierte Strenge

Ciolos will sie mit generalisierter Strenge sichern. Diese Strenge ist angebracht, wenn es um Dinge geht wie die Teilbetriebsumstellung, geradezu eine Einladung zum beschubsen. 100 Prozent Ökofutter finden die Bioanbauverbände auch noch gut, sie arbeiten da selbst dran, Bauernverbandsmann Bassewitz sieht hier hingegen schon die Nachhaltigkeit gefährdet, wenn nun Bio-Soja aus Brasilien kommen muss. Schwieriger wird es bei den Ausnahmeregelungen, die - geht es nach Ciolos - alle fallen sollen. Für die Milchvieh-Anbindehaltung mit Auflagen wurde schon bei der letzten Reform heftig gestritten, in den Alpen wäre ihr Ende wohl tatsächlich gleichbedeutend mit dem Ende der Ökomilchviehhaltung. Die Ausnahmeregelungen bei der Verwendung ökologischen Saatguts werden - richtigerweise - immer damit begründet, das es bestimmte Arten tatsächlich überhaupt nicht in Ökoqualität gibt, aber es gibt auch nach wie vor den kostenoptimierenden Kartoffelanbauer, der in der Saatgutdatenbank Organicexseeds nachguckt, ob es die von ihm gewünschte Sorte als Ökopflanzgut gibt, um erst dann Saatgut zu ordern, wenn es dort als ausverkauft gelistet ist.


Prozesse und Produkte

Fingerspitzengefühl ist auch gefordert in der Frage der Kontrollen. Die Interessenverbände kritisieren, dass durch die geplante Einführung von Rückstandskontrollen die einstige Prozesskontrolle zur Produktkontrolle wird. Dabei geht es der Kommission nicht um die Abschaffung des bisherigen Kontrollsystems, deren ausführende Organe sie in einer Evaluierung Ende vergangen Jahren noch ausdrücklich gelobt hat. Rückstandsfreiheit ist in den Augen der EU-Kommission ein Verbraucherwunsch. Gewährleistet muss nur sein, dass wegen einer unverschuldeten Kontamination vom Markt genommene Produkte nach dem Verursacherprinzip entschädigt werden. Ebenfalls geplante stärkere Kontrollen sogenannter Drittlandsware sind ein Thema, zu dem die Verbände weniger sagen, das aber unter dem Aspekt Skandalabwehr eine nicht unerhebliche Rolle spielt.


Unter einem Hut

So bleibt die Gradwanderung, die Ciolos gelingen muss, eine Verordnung zu entwerfen, die eben nicht den Ökolandbau in bestimmten Regionen und in eher bäuerlichen Strukturen durch zu viel Starrsinn abwürgt (wie es auch die Landesvereinigung ökologischer Landbau in Bayern in einem offenen Brief an den Kommissar befürchtet) und gleichzeitig denen ein Schnippchen schlägt, die in den vergangenen Jahren durch ein bis an die Grenzen der (Ausnahme) Regelungen und vielleicht auch noch ein Stück darüber hinaus gehen, reine Profitabschöpfung eines langjährigen Verbrauchervertrauens betrieben haben.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 375 - März 2014, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2014